Einen Klassiker der Weltliteratur zu verfilmen, an dem sich schon zahlreiche Regisseure versucht haben, erfordert Mut und vor allem sehr ausgefallene Ideen. Joe Wright hat es mit "Anna Karenina" gewagt und die Geschichte um Liebe, Moral, Ehebruch und die zaristische Gesellschaft größtenteils auf eine Bühne verlegt, auf der die Kulissen hin- und hergeschoben werden und die Menschen als Marionetten agieren.
Wright lässt sein 130-minütigen Epos als Musical beginnen: In einer riesigen Schreibstube sitzen Angestellte in Reih und Glied an kleinen Tischen und stempeln im Takt und mit übertriebenen Gesten Briefe ab - hindurch tänzelt Fürst Stepan Oblonskij (Matthew Macfadyen), Anna Kareninas Bruder.

Oblonskij ist ein notorischer Schürzenjäger, was seine Frau Dolly (Kelly Macdonald) nur schwer ertragen kann. Sie will sich nun endgültig scheiden lassen, da wird nach Anna Karenina (Keira Knightley) gerufen, die Dolly beschwichtigen soll. Und tatsächlich hat sie einen guten Rat für die betrogene Ehefrau. "Lass dich von der Liebe leiten", lautet der und soll der jungen Anna noch zum Verhängnis werden.
Heiße Affäre vor der Theaterkulisse
Sie hat nicht aus Liebe den ehrenhaften, aber doch sehr steifen Alexej Karenin (großartig und nur auf den dritten Blick als Jude Law zu identifizieren) geheiratet und verliebt sich während ihres Moskau-Besuchs in den feschen Graf Alexej Wronskij, auf den eigentlich Dollys Schwester Kitty hofft. Kitty wird später den ehrenvollen und gutherzigen Großgrundbesitzer Levin heiraten und die einzige glückliche und erfüllte Ehe der Geschichte führen.
Zwischen Anna und Alexej reichen nur kurze Blicke - und Liebe und Leidenschaft sind entfacht. Sie beginnen eine Affäre, die die russische Gesellschaft in Aufruhr bringt und das tragische Schicksal nicht nur des Liebespaares, sondern vieler Menschen um sie herum besiegelt.
Immer wieder bedient sich Wright der Theaterkulisse, mal für den herrschaftlichen Ball, mal für ein Pferderennen, bei denen Mann und Pferd tatsächlich auf einer Bühne immer wieder an dem Publikum vorbei gleiten, wie in einem Kasperletheater. Ein anderes Mal erstarren die Menschen um das Liebespaar, Blicke und Licht richten sich nur auf diese beiden Personen. Fließend sind die Übergänge zwischen Bühneninszenierung und filmischer Realität. Das kann man als Metapher auf die russische Gesellschaft im 19. Jahrhundert verstehen, hat die Geschichte aber gar nicht nötig.
Die Liebesgeschichte bleibt unglaubwürdig
Das Leben in der zaristischen Gesellschaft mag einer großen Inszenierung gleich kommen, in der die Menschen nur von Konventionen bestimmte Rollen spielen, der großartigen Literaturvorlage wird Wright damit allerdings nicht gerecht. Zu wenig verlässt er sich auf den Text des russischen Dichters und des Drehbuchautors Tom Stoppard. Stattdessen schwelgt er in opulenten, berauschenden, symbolhaften Bildern, die "Anna Karenina" doch nur zu einem Kostümfilm machen.
Und dann ist da noch Keira Knightley, mit der Wright nach "Stolz & Vorurteil" und "Abbitte" nun schon zum dritten Mal drehte. Ihre zarte Gestalt, ihr blasses Gesicht mögen der Anna eine Zerbrechlichkeit verleihen, die der Figur angemessen ist, doch mit stets tränenerfüllten Augen kann sie die Figur nicht tragen. Damit mag sie noch die Zickigkeit und kindische Rebellion der neurotischen Anna verkörpern, die Eleganz, den Charme und Mut sowie das Düstere dieser Person vermag sie indes nicht zu vermitteln. Und die Leidenschaft und Ernsthaftigkeit der Liebe zu dem blassen, blonden Jüngling Alexej nimmt man den beiden auch nicht ab. Eine der tragischsten Liebesgeschichten der Literatur bleibt in dieser Verfilmung somit unglaubwürdig.