Amerikaner sind - wie wir mittlerweile alle wissen - recht patriotische Menschen. Den Beginn der Vereinigten Staaten markiert der 4. Juli 1776, als die Unabhängigkeit vom britischen Mutterland erklärt wurde. Seitdem wird an dieser Tag Jahr für Jahr als "Independence Day" gefeiert. Und das Symbol des Beginns der Nation USA ist das Dokument, das diesen Schritt zur eigenständigen Nation markiert: die Unabhängigkeitserklärung.
Nun stellen Sie sich vor, Sie entstammen einer amerikanischen Familiendynastie von Archäologen. Seit Generationen jagen ihre Vorfahren und letztlich auch Sie - von der Wissenschaftler-Gemeinde verlacht und verspottet - einem der mythischen Schätze der Menschheit nach: dem Schatz der sagenumwobenen Tempelritter, einem militärisch-christlichen Ritterorden, der zur Zeit der Kreuzzüge gegründet wurde, nach Jahrhunderten in irgendwelchen Geheimbünden versickerte und letztlich von der Bildfläche der Geschichte verschwand. Ihr ganzes Leben haben Sie dieser einen Aufgabe gewidmet, von der Ihnen jeder sagt, dass sie reines Hirngespinst ist.
Schatzkarte auf der Unabhängigkeitserklärung
Sie sind Archäologe und Sie sind Patriot. Da werden Sie plötzlich in einen grausamen Gewissenskonflikt gestürzt: Sie erfahren, dass sich auf der Rückseite der über 200-jährigen Unabhängigkeitserklärung eine geheime, unsichtbare Schatzkarte befindet. Und wohin weist diese Karte wohl den Weg? Genau: Das Ziel Ihrer Träume und der Ihrer Vorfahren ist nun ganz nah. Nur zwei Sachen hindern Sie noch: Ihr Gewissen, eines der größten Symbole der USA stehlen zu müssen und zentimeterdickes Panzerglas, unter dem das historische Dokument im Nationalarchiv von Washington D.C. aufbewahrt wird.
Die Unabhängigkeitserklärung spielt neben Nicolas Cage alias Benjamin Franklin Gates die zweite Hauptrolle in "Das Vermächtnis der Tempelritter", dem neuen Blockbuster aus der Jerry-Bruckheimer-Schmiede. Allerdings kommt dieser "Indiana-Jones"-Verschnitt doch ein wenig zu einfallslos daher.
Charaktere mit schneller Hand gezeichnet
Cage spielt routiniert, aber große Herausforderungen bietet ihm die Rolle des Archäologen Gates nicht - wie alle Charaktere flach, klischeeartig und wie mit schneller Hand gezeichnet wirken. Ziemlich deplatziert erscheint daher auch Schauspiel-Grande Harvey Keitel in diesem Streifen. Deutschland-Export Diane Krüger liefert nach "Troja" ihre nächste große Hollywood-Produktion ab, leider genauso akzentfrei wie ihr Englisch.
Der Gewissenskonflikt Benjamins und der prekäre Raub bilden den Dreh- und Angelpunkt des Filmes. Man sollte nicht eine Sekunde erwarten, eine auch nur annähernd intelligent verschachtelte Geschichte um den Tempelritter-Orden vorzufinden, wie man sie in Umberto Ecos spannendem Weltverschwörungs-Roman "Das Foucaultsche Pendel" lesen konnte. Der Tempelritter-Orden und seine faszinierende jahrhundertealte Geschichte sind hier nur Kulisse und werden lieblos in wenigen Minuten zu Beginn des Films heruntergenudelt.
Lernprogramm über amerikanische Geschichte
"Das Vermächtnis der Tempelritter" ist in dieser Hinsicht ein durch und durch amerikanischer Film: Der große Geschichtskomplex interessiert erst da, wo die US-Historie beginnt. Daher wirkt der Film zuweilen leider wie ein Lernprogramm über amerikanische Geschichte - was vielleicht den guten Kassenstart in den USA erklärt. Rätsel flimmern einem entgegen, werden zunehmend kruder und noch viel schneller rattert Nicolas Cage die ebenfalls immer wirrer werdenden Antworten dazu herunter.
Das ist das, was das Gespann John Turteltaub (Regie) / Jerry Bruckheimer (Produzent) aus solch einem Plot machen. Das Zeug zu einem zweiten "Namen der Rose" hätte der Stoff allemal geboten. Aber als Vorbild diente hier wohl eher "Indiana Jones". Was dort jedoch temporeich und witzig erzählt wurde, ist beim "Vermächtnis" angestrengte Hektik und Seichtigkeit. Echte Tempelflitzer sind die "Tempelritter" daher nicht.
Jens Lubbadeh