"Ich bin die andere" Nachts Hure, tagsüber Anwältin

Regisseurin Margarethe von Trotta ist bekannt dafür, in ihren Filmen Frauen ein Denkmal zu setzen - auch wenn die Vielschichtigkeit dabei manchmal auf der Strecke bleibt. Ihr neues Psychodrama "Ich bin die andere" richtet sie damit zugrunde.

Eine Blondine im knallroten Fummel macht im Hotel Männer an und wird von Robert, einem jungen Ingenieur, mit aufs Zimmer genommen. Nachts verschwindet Carlotta, ihren Liebeslohn lässt sie liegen. Am nächsten Tag sitzt Robert bei seinem Geschäftstermin der eleganten Carolin gegenüber - dezentes Make-Up, keine Perücke, aber die gleiche Frau. Dass die kühle Anwältin kein Zeichen des Wiedererkennens gibt, törnt ihn umso mehr an. Fortan kann er im Psychodrama "Ich bin die andere" nicht mehr die Finger von ihr lassen. Besonders in Frankfurt, wo der Film teilweise spielt, ist die Welt halt klein, und so hat die Heldin schlicht Pech. Wer weiß, wie lange sie etwa in Berlin ihr Doppelleben ungestört hätte führen dürfen.

Am Morgen danach im Büro sieht sie jedenfalls ausgeglichen aus, und da funktioniert der Modus Vivendi zwischen sexuellem Bedürfnis und Neurose auch noch. Dann aber nimmt Robert ihre Spur auf, sucht Caroline bei ihrer Familie heim und erlebt sie als pervers unterwürfige Tochter eines gelähmten Tyrannen. Das gar schreckliche Familiengeheimnis, dessen quälende Enthüllung nun bevorsteht, ist leider so schnell durchschaut, wie das Ende der schönen Schizophrenen vorhersehbar. Dass sie zur Strecke gebracht werden wird, dafür bürgt schon der Name Peter Märthesheimer, Autor der Romanvorlage. Der vor zwei Jahren verstorbene langjährige Mitarbeiter von Rainer Werner Fassbinder erdachte die gebrochenen Frauencharaktere der "Veronika Voss", "Maria Braun" und "Lola" und produzierte Fassbinders verstörendes Meisterwerk "Martha", in dem eine kranke Ehe als Spiegelbild gesellschaftlicher Ausbeutungsmechanismen dient.

Besitzerwechsel von Vater zu Milchbubi

Von weitem wirkt Carolins inzestuös angehauchtes Vater-Lover-Trauma wie eine Variante von "Martha", doch es zeigt sich schnell, dass Regisseurin Margarethe von Trotta hysterische Frauen zu ernst nimmt. Die Regisseurin ist bekannt für Frauendramen wie "Rosa Luxemburg", und zuletzt "Rosenstraße", in denen sie ihre Heldinnen ohne Wenn und Aber aufrecht aufs Podest stellt. Für Abgründe und Mehrdeutigkeiten hat sie keine Antenne, und so wirkt schon das Verhalten Roberts unverständlich, als er Carolin bei der zweiten Begegnung zu vergewaltigen versucht und sie dann, als ritterlich-romantischer Beschützer, unbedingt heiraten will. "Es ist wie ein Tausch", so kommentiert die labile Tochter und Teilzeit-Hure hellsichtig ihren Besitzerwechsel vom diktatorischen Papa zum dominanten Liebhaber: Sonst hätte der Zuschauer die sadomasochistische Tönung ihrer Beziehung zum Milchbubi auch gar nicht kapiert.

Ein großes Missverständnis verrät auch die eindimensionale Zurichtung von Katja Riemann als Opfer, dessen Hysterie nie über sich selbst hinausweist. Während Fassbinders Frauen stets ebenso interessant wie anstrengend waren, erlebt man hier eine "Soap" im Stil schlechter Fernsehfilme: Dank Trottas mitfühlender Umarmungsstrategie wirkt die kaputte femme fatale Carlotta/Carolin einfach nur wie eine überreife Nervensäge, die, ob in roten Strapsen und platinblonder Perücke, im geblümten Mädchenkleid auf dem väterlichen Weingut oder in arabischer Verhüllung in der Kasbah von Casablanca, unfreiwillig zum Lachen bringt. Und das hat diese hervorragende Schauspielerin nun wirklich nicht verdient.

Bei der Klimbim-Familie

Lächerlich wirkt in der plumpen Inszenierung auch die theatralisch repressive Familie, in der ein sardonischer Patriarch (alles andere als ein handfester Winzer: Armin Müller-Stahl), im Kreise seiner Hühner Hof hält. Wenn die sexy Zofe, die dauerbetüttelte Gattin und die überkandidelte Tochter in einen Hörigkeits-Wettstreit treten, wähnt man sich statt im aufregenden Psychodrama bei der Klimbim-Familie - der augenrollende, stumme Hausdiener schießt den Vogel ab. Lustig ist aber nur das "Badesalz"-mäßige Gebabbel von Kellnerinnen am Rande: Dank hessischer Filmförderung nämlich wird neben Frankfurt auch der Rheingau wie auf dem Präsentierteller dargeboten. Die schwelgerischen Rheinsteig-Panoramen, die großes Kino suggerieren, lassen das dort stattfindende Zwergendrama noch befremdlicher aussehen.

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Birgit Roschy/AP

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