Er hat mit dem Leben eigentlich abgeschlossen. Jean-Claude (großartig: Patrick Chesnais) ist über 50, geschieden, lebt allein, und jede Falte im Gesicht des mürrischen Gerichtsvollziehers erzählt von einer Enttäuschung. Sein Sohn soll die triste Kanzlei des Vaters übernehmen, aber der Job ist einfach zu frustrierend. Bleibt noch Jean-Claudes Vater, ein bösartiger, verbitterter Tyrann, der im Altersheim seine Tage vertrödelt und schlechte Laune verbreitet.
Aber eines Tages kommt unverhofft Bewegung in Jean-Claudes stillgestellte Existenz. Das Fenster ist geöffnet, Tangoklänge wehen von der gegenüberliegenden Tanzschule herein. Der ungeliebte Gerichtsvollzieher lässt sich auf ein Abenteuer ein. Er nimmt Tanzstunden, trifft die bezaubernde Francoise (Anne Consigny) und spürt sehr bald, dass es niemals vorbei ist mit dem Leben und der Liebe.
Aus vielem Kleinem etwas ganz Großes gemacht
Der französische Regisseur Stéphane Brizé hat eine wunderbar subtile, zarte Romanze in Szene gesetzt. In diesem sehr leisen Film kommt es auf die verstohlenen Blicke an, die schüchternen Gesten und versteckten Andeutungen. "Pointillistisch getupftes Kino der verstellten Gefühle, in dem Augenblicke des Schweigens mehr sagen als alle Worte", so lobte die französische Zeitschrift "Télérama" treffend Brizés lakonische Studie einer Annäherung zweier verwandter Seelen.
Details sind wichtig: Bei seinen deprimierenden Terminen als Gerichtsvollzieher steigt Jean-Claude endlose Treppenhäuser hinauf, zur Tanzstunde schwebt er dagegen in einem lautlosen Fahrstuhl empor. Dabei befindet sich dieser Mann keineswegs im siebten Himmel. Francoise ist mit Thierry (Lionel Abelanski) liiert, einem chaotischen Lehrer, der davon träumt, seinen ersten Roman zu schreiben. Die beiden wollen heiraten, deshalb nimmt Francoise die Tanzstunden. Und plötzlich steht da dieser ältere, etwas linkische Typ, und eine melancholisch getönte Romanze der etwas anderen Art nimmt ihren Lauf. Ein wenig erinnert diese Konstellation an Sofia Coppolas großartige Tragikomödie "Lost in Translation" (2003), in der Bill Murray den schweigsamen Sonderling gab.
Daneben erzählen Stéphane Brizé und seine Drehbuchautorin Juliette Sales noch eine anrührende Vater-Sohn-Geschichte. Jean-Claudes sonntägliche Besuche bei seinem Vater sind so etwas wie das Kontrastprogramm zu den Tanzstunden. Schweigen, Vorwürfe, unverstellter Hass - die Begegnungen verlaufen zumeist katastrophal. Aber zum Abschied blickt Jean-Claude vom Auto aus immer noch einmal hoch zum Fenster des Vaters. Der steht oben, beobachtet seinen Sohn und hat panische Angst, entdeckt zu werden. Es sind diese kleinen Szenen, die den Film so aufregend machen.