Im Februar 1928 erregte ein spektakulärer Strafprozess in Berlin das deutsche Publikum wie kaum ein anderes Gerichtsverfahren während der Weimarer Republik. Angeklagt vor dem II. Schwurgericht in Moabit war der erst knapp 19-jährige Oberprimaner Paul Krantz, der des Mordes beschuldigt wurde. Krantz wurde jedoch freigesprochen und lediglich zu einer Gefängnisstrafe wegen unerlaubten Waffenbesitzes verurteilt, die nach sieben Monaten Untersuchungshaft bereits als abgebüßt galt.
Was war geschehen? Noch einmal erzählt der neue deutsche Spielfilm "Was nützt die Liebe in Gedanken", der am 12. Februar in die Kinos kommt, jene Tragödie, die zwei junge Männer das Leben kostete und das weitere Schicksal von Krantz sowie das von zwei blutjungen Mädchen für immer bestimmen sollte. Es ist eine wahre Geschichte, die der Regisseur Achim von Borries zusammen mit Drehbuchautor Hendrik Handloegten in poetischer, stilistisch stimmiger und schauspielerisch außergewöhnlicher Weise auf die Leinwand gebannt hat. Und es ist zweifellos der Film mit dem schönsten deutschen Titel seit langer Zeit.
Ein rauschendes Fest eskaliert
"Was nützt die Liebe in Gedanken?", das sagt die frühreife Hilde zu dem schüchternen Jungdichter Paul, als dieser an einem verhängnisvollen Wochenende im Juni 1927 im Sommerhaus der Eltern seines Freundes Günther Scheller weilt. Dort wird ein rauschendes Fest gefeiert, die jungen Leute rauchen, trinken und flirten. Hilde verführt Paul, doch dann taucht der Kochlehrling Hans Stephan auf, einer von Hildes Liebhabern, der auch mit Günther bereits homosexuelle Kontakte hatte. Zusammen mit Hildes Freundin Elli begeben sich die drei Männer schließlich in die Steglitzer Wohnung der Schellers.
Die Eltern sind nach Stockholm verreist, die Situation eskaliert: Am frühen Morgen des 28. Juni erschießt Günther erst den hinter einem Vorhang verborgenen Kochlehrling, dann sich selbst. Geplant war allerdings, dass auch Paul und Hilde aus dem Leben scheiden sollten, doch so weit kommt es nicht. Alkohol, Lebensüberdruss, enttäuschte Liebe und romantischer Weltschmerz haben zu einer Tragödie geführt, die die ganze Nation bewegt. Natürlich gerät der Prozess gegen Krantz zur Sensation.
"Jugend ist Trunkenheit ohne Wein"
Legendär wird der Ausspruch von Erich Frey, dem berühmten Strafverteidiger des Angeklagten Krantz: "Ich frage nicht wie der Herr Staatsanwalt: Was ist geschehen? Ich frage: Was ist Jugend? Und darauf antworte ich mit dem Wort Goethes: Jugend ist Trunkenheit ohne Wein." Offenbar hat sich Regisseur von Borries in seiner Inszenierung an diesem Goethe-Wort orientiert. Er zeigt junge Menschen voller Lebenshunger und zugleich Lebensüberdruss, die sich einen tödlichen Strudel der übersteigerter Emotionen reißen lassen.
Borries verzichtet darauf, mit erhobenem Zeigefinger die Tragödie mit dem nahenden deutschen Unheil 1933 in Verbindung zu zwingen, er banalisiert das Geschehen auch nicht zum reißerischen Kriminalfall. So entstand im Grunde ein sehr unteutonischer Film: Elegant, stilsicher und mit bezwingend schönen Bildern der Kamerafrau Jutta Pohlmann.
Die Besetzung ist ein Glücksfall
Es ist ein Glücksfall, dass er immer etwas abgründig-vergeistigte August Diehl und der hübsch-sensible Daniel Brühl in den Hauptrollen zu sehen sind. Doch werden sie fast noch übertroffen von der 18-jährigen Berlinerin Anna Maria Mühe, die als Hilde mit einer Mischung aus Jungmädchencharme und naiver Sinneslust bezaubert.
Warum "Was nützt die Liebe in Gedanken" seine Uraufführung auf der diesjährigen Berlinale in der "Panorama"-Reihe, nicht aber im Wettbewerb feiern konnte, bleibt unverständlich. Denn dieser Film, dessen wichtigste Macher allesamt 1968 geboren sind, ist das Produkt eines deutschen Kinonachwuchses, der zu den schönsten Hoffnungen für die Zukunft berechtigt. Absolut lächerlich ist übrigens die Freigabe des Films erst ab 16 Jahren, derweil in der Regel brutalste Hollywood-Kost bereits ab zwölf Jahren "genossen" werden kann.
Wolfgang Hübner/AP