Flugzeugbauer in Dauerkrise Nach 346 Toten: Boeing muss Strafe fürchten

Boeing: Eine Maschine des Typs 737 Max.
Eine Maschine des Typs Boeing 737 Max.
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Flugzeugbauer Boeing steckt seit 2018 in einer Dauerkrise. Bei zwei Abstürzen des Typs 737 Max starben damals 346 Passagiere. Bisher hatte das kaum strafrechtliche Konsequenzen – das könnte sich nun ändern.

Wer dieser Tage in ein Flugzeug steigt, achtet vielleicht zum ersten Mal darauf, von welchem Hersteller es ist. Die Angst fliegt zweifelsohne bei vielen mit, wenn sie in einer Maschine des Weltmarktführers Boeing sitzen – zu viele Probleme, immer wieder Pannen. Der Konzern steckt seit den Abstürzen zweier 737-Max-Jets mit 346 Toten vor mehr als fünf Jahren in einer Dauerkrise.

Strafrechtliche Konsequenzen in den USA blieben Boeing ob der Vorfälle bisher weitestgehend erspart. Das könnte sich jedoch bald ändern: Das amerikanische Justizministerium kam zu dem Schluss, dass der Flugzeugbauer gegen Auflagen aus einer Vereinbarung verstoßen habe, die ihn bisher vor Strafverfolgung bewahrte.

Boeing habe nicht wie abgemacht ein Programm umgesetzt, das Verstöße gegen US-Betrugsgesetze verhindern sollte, hieß es in Gerichtsunterlagen von Dienstag. Wie sie in der Angelegenheit weiter verfahren wird, hat die Regierung nach eigenem Bekunden noch nicht entschieden.

US-Justiz wirft Boeing Regelverstoß vor

Boeing hat nun einen Monat Zeit, um sich offiziell zu den Vorwürfen zu äußern. In einer ersten Reaktion am Dienstag betonte das Unternehmen, es habe sich eigenen Einschätzung nach an die Vereinbarung gehalten.

Bei Abstürzen zweier Maschinen des Typs 737-Max im Oktober 2018 und März 2019 waren insgesamt 346 Menschen ums Leben gekommen. Ein Auslöser der Unglücke war Ermittlungen zufolge eine Software der Flugzeuge, die Piloten unterstützen sollte, aber stärker als erwartet in die Steuerung eingriff. Boeing geriet in die Kritik, weil der Flugzeugbauer bei der Zertifizierung des Typs durch US-Behörden spezielle Schulungen für die Software für unnötig erklärt hatte.

Gemäß der Vereinbarung mit der US-Regierung zahlte Boeing eine Strafe von 243 Millionen Dollar (225 Millionen Euro). Die Betrugsvorwürfe im Zusammenhang mit den Angaben an die US-Behörden wurden zwar nicht weiterverfolgt. Allerdings galt so etwas wie eine Bewährungs-Regelung mit der zentralen Auflage, dass Boeing ein Compliance- und Ethik-Programm umsetzt. Das Justizministerium betonte nun, dass ein Verstoß dagegen wieder eine strafrechtliche Verfolgung des Unternehmens nach sich ziehen kann.

Probleme auch bei Boeing 767

Nachdem es im Januar dieses Jahres beinahe zu einer ähnlichen Katastrophe wie 2018 und 2019 gekommen war, steht vor allem die Qualitätsaufsicht von Boeing wieder verstärkt im Mittelpunkt. Bei einer Boeing 737-9 Max brach kurz nach dem Start ein Teil des Rumpfes heraus. Die Sitzreihe darüber war nur zufällig nicht besetzt und das Flugzeug befand sich in relativ geringer Höhe. Der Vorfall endete glimpflich – ist aber nur ein Beispiel für die massiven Probleme des Unternehmens.

Der jüngste Fauxpas: Ein Flieger des Logistik-Konzerns FedEx musste am Mittwoch letzter Woche am Istanbuler Flughafen auf dem Rumpf landen. Ursache war nach Angaben des Flughafens ein Defekt am vorderen Fahrwerk der Maschine. Bei dem betroffenen Flugzeug handelt es sich um eine Boeing 767. Verletzt wurde glücklicherweise niemand.

Auf Videos des Vorfalls ist zu sehen, wie die Boeing mit dem Hauptfahrwerk aufsetzt und dann über Meter auf dem vorderen Teil des Rumpfes über die Landebahn schlittert. Der Flughafen teilte mit, das vordere Fahrwerk habe nicht ausgefahren werden können. Der Fehler wurde offenbar bereits vor der Landung festgestellt, der Flieger habe beim Kontrollturm die Landung mit dem Rumpf beantragt, hieß es.

Rettungsdienst und Feuerwehr seien daraufhin zur Landebahn entsandt worden. Einsatzkräfte waren am Morgen weiterhin damit beschäftigt, das Flugzeug von der Landebahn zu schaffen. Es habe einen Hydraulikfehler am Fahrwerk gegeben, zitiert die türkische Hörfunk- und Fernsehanstalt TRT das Verkehrsministerium, das sich auf die Aussage eines Piloten bezog.

Gefälschte Prüfberichte bei 737 Jets

Der Vorfall steht in einer Reihe weiterer Pannen bei Boeing-Maschinen. Auf die Abstürze der zwei 737-Max-Jets vor über fünf Jahren folgte ein mehr als 20-monatiges Startverbot für die Maschinen der Serie. Probleme mit weiteren Modellen warfen den US-amerikanischen Hersteller ab März 2019 weit hinter seinen europäischen Rivalen Airbus zurück.

Als auf dem Flug Anfang Januar 2024 das Rumpfteil aus der 737-9 Max herausbrach, griff die US-Luftfahrtbehörde FAA schließlich durch. Zunächst durften Maschinen bis zu einer technischen Überprüfung nicht mehr starten. Zudem nimmt die Behörde nun die Produktions- und Kontrollprozesse unter die Lupe.

Probleme mit Boeing 737 Max

Nun ermittelt die FAA erneut: Beim Bau einiger Maschinen des Langstreckenjets 787 "Dreamliner" von Boeing wurde wohl die Verbindung zwischen Tragflächen und Rumpf nicht überprüft. Boeing-Mitarbeiter hatten Prüfberichte zum "Dreamliner" gefälscht. Kontrollen der Verbindung zwischen Rumpf und Tragflächen seien zum Teil ausgelassen und trotzdem als durchgeführt eingetragen worden, teilte Boeing mit. Der Konzern betonte zugleich, es handele sich nicht um ein dringliches Sicherheitsproblem für die aktuelle Airline-Flotte und keine Flugzeuge müssten am Boden bleiben.

Boeing betonte, man habe die FAA umgehend über den Verstoß informiert. Ein Boeing-Mitarbeiter habe einen Verstoß gegen die Prüfungsvorgaben beobachtet und das Management informiert, schrieb 787-Programmchef Scott Stocker in einer E-Mail an die Belegschaft. Danach habe Boeing festgestellt, dass "mehrere Personen" im Werk im US-Bundesstaat South Carolina die vorgeschriebenen Tests nicht durchgeführt, aber in den Unterlagen als abgeschlossen vermerkt hätten. Die Inspektionen müssten nun außerplanmäßig nachgeholt werden.

"Starliner"-Testflug erneut verschoben

Mittlerweile reichen die Probleme bei Boeing sogar weiter als die Erdatmosphäre: Der erste bemannte Testflug des krisengeplagten Raumschiffs "Starliner" ist nach technischen Problemen weiter verschoben worden. Der Flug könne nun frühstens am 21. Mai starten, teilten die US-Raumfahrtbehörde Nasa und Boeing am Dienstag mit. Zuvor war der kommende Freitag angepeilt worden.

Der schon mehrmals verschobene Testflug war in der vergangenen Woche wegen Auffälligkeiten an einem Sauerstoffventil der "Atlas V"-Rakete kurz vor dem geplanten Start abgesagt worden. Nach einer gründlichen Überprüfung wurde entschieden, das Ventil auszutauschen. Zudem tauchte noch ein Problem mit einem Helium-Leck am Raumschiff auf. Am Weltraumbahnhof Cape Canaveral im US-Bundesstaat Florida würden weitere Kontrollen durchgeführt, hieß es.

Tod zweier Whistleblower

Auf die Probleme bei Boeing machten zuletzt Whistleblower aufmerksam. Zuerst war es der ehemalige Qualitätsmanager John Barnett, der jahrelang in einem 787-Boeing-Werk arbeitete. Bis März 2024 sagte er als Zeuge vor Gericht gegen Boeing aus, am 9. März 2024 wurde er mit einer Schusswunde im rechten Schläfenbereich tot aufgefunden. Ermittler gehen Medienberichten zufolge von einem Suizid aus.

Ihm folgte Joshua Dean, der Produktionsfehler beim Boeing-Zulieferer Spirit Aerosystems gemeldet hat. Nun ist auch er gestorben. Laut einem Bericht der "Seattle Times" hatte er zwei Wochen lang gegen eine plötzliche und aggressive Infektion gekämpft, bevor er starb.

In seiner Rolle als Qualitätsprüfer meldete Dean ein "schwerwiegendes und grobes Fehlverhalten des leitenden Qualitätsmanagers der 737-Produktionslinie" bei Spirit an die Federal Aviation Administration (FAA). Nach seiner Entlassung im April 2023 legte er Beschwerde ein und behauptete, seine Kündigung sei auf seine geäußerten Bedenken in Bezug auf die Flugsicherheit zurückzuführen.

mit dpa

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