Darum geht es in Juli Zehs “Leere Herzen”
Deutschland 2025: Angela Merkel hat unter Tränen abgedankt. Ihre Regierung wurde hinweggefegt von der BBB - der “Besorgten Bürger Bewegung”. Die neue Chefin Deutschlands ist ebenfalls ein Frau: Regula Dryer. Flankiert wird sie von ihrer Innenministerin Wagenknecht. Ja, die Wagenknecht. Stück für Stück macht sich das Duo an den Abbau der Demokratie. Föderalismus? Zu teuer, braucht ohnehin kein Mensch. Drei Verfassungsrichter sollten ja vollauf genügen, die restlichen dreizehn können weg. Und die 5-Prozent-Hürde wird um zehn Prozent angehoben, zur Sicherheit. Medien? Weitgehend auf allen Kanälen gleichgeschaltet und auf den Smartphones vorinstalliert.
Deutschland befindet sich damit voll im internationalen Trend. Die EU zerfällt, nach Großbritannien verlässt nun auch Frankreich die Union. Die USA und Russland erklären die Uno für obsolet. Jeder für sich und seinen Möglichkeiten. Solidarität ist ein Auslaufmodell.
Die Autorin lässt von der ersten Minute keinen Zweifel daran, wen sie für den Schuldigen dieser Entwicklung hält: “Seht her. Das seid ihr”. Die heutige Generation der 25 bis 45 Jährigen. Satt, bequem, nur am eigenen Fortkommen in der eigenen kleinen Welt interessiert. Das Desinteresse am politischen und gesellschaftlichen Diskurs hat die BBB emporsteigen lassen. Sollen die da oben doch machen, solange mein Leben ungestört vor sich hinlaufen kann.
Den Leuten sei die Waschmaschine am Ende wichtiger als das Wahlrecht, sagt die Protagonisten Britta Söldner völlig desillusioniert. Sie hat sich mit dem System bestens arrangiert und ein gefühlskaltes, zynisches aber hoch lukratives Unternehmen ganz im Geist der Zeit aufgebaut: Die Brücke. Zusammen mit ihrem Freund und Geschäftspartner Babak bietet sie Therapien für suizidgefährdete Menschen an. Eine eigens entwickelte Suchmaschine durchforstet Foren im Web und im Darknet nach Menschen, die sich für den Freitod interessieren. Sie folgt diesen Personen, stellt Dossiers zusammen und errechnet einen Indexwert, der die Entschlossenheit zum Selbstmord in einer Skala abbildet. Einige bringt “Die Brücke” tatsächlich vom Freitod ab, doch andere sind zu allem entschlossen. Sie sind das eigentliche Kapital des Unternehmens. Sie wollen unbedingt in den Tod, am liebsten jedoch nicht sinnlos. Britta und Babak bilden diese Menschen zu Selbstmordattentätern aus und verkaufen sie an jede beliebige Organisation ob nun politische Radikale oder Umweltschützer. Die Selbstmörder erhalten zudem ein komplettes Servicepaket: Beerdigung, Regelung des Nachlasses, abmelden von Behörden und Sozialen Medien.
Das Geschäft läuft, Achtung Wortspiel, wie Bombe. Bis ein Konkurrent Britta und Babak aus dem Geschäft drängen will. Die beiden nehmen den Kampf auf, doch schnell wird klar: ihr Feind geht über Leichen. Nicht nur ihre Leben sind in Gefahr, sondern auch die der Familie und Freunde.
Wer spricht?
Die monotone Stimme von Ulrike C. Tscharre verleiht der Protagonistin Britta Söldner glaubhaft die Aura einer gefühlskalten allein auf sich fixierten Frau. Etwas mehr Spiel mit der Stimme hätte der Geschichte jedoch gut getan. Glücklicherweise erliegt sie nicht der Versuchung, den männlichen Figuren eine vermeintlich männliche Färbung zu geben, dafür hätte der Stimmumfang womöglich nicht gereicht.
Für wen lohnt das Hörbuch?
Für Freunde die gern düster mögen und laufend vor den Gefahren durch eines Rechtsrucks in Deutschland warnen. Fans der großartigen Autorin Juli Zeh seien jedoch gewarnt: “Leere Herzen” ist sprachlich und stilistisch völlig anders als ihr kleines Meisterwerk “Unterleuten”. Es ist ein politischer Action-Thriller mit wenig Zwischentönen.
Was nervt an “Leere Herzen”
Die fehlende Tiefe. Der Hörer erfährt wenig und wenn nur als eingestreute Infohappen in Gesprächen etwas über die Hintergründe der “Besorgten Bürger Bewegung”, das tagespolitische Geschäft, den Aufstieg dieser Partei oder die Gesellschaft dieses rechten Deutschlands. Die Dystrophie wirkt damit eher wie eine dünne Trägermasse für den Plot. Ein wenig Schade.