Montagabend, 19 Uhr, der stern feiert seinen 75. Geburtstag mit einer STERN STUNDE. Zum Auftakt empfing Gregor Peter Schmitz, Chefredakteur des stern, den grünen Vizekanzler Robert Habeck und Bestseller-Autorin Juli Zeh. Themen des Abends: ein gespaltenes Deutschland und die Herausforderungen für die Ampel-Koalition. "Wie viel Veränderung verträgt unsere Gesellschaft und was darf man eigentlich noch sagen?" Beide Gäste haben darauf eine klare Antwort: So gespalten, wie in den Medien dargestellt, ist Deutschland längst nicht.
"Nichts ist schwarz oder weiß", sagt Zeh. Allerdings beobachte sie ein wachsendes Misstrauen in politische Institutionen. Für ihre Romane habe Zeh mit zahlreichen Menschen gesprochen und darunter seien viele, die nur AfD wählen, weil die Partei niemals mit den Grünen koalieren würde. "Das ist schon eine fatale Stimmungslage." Dagegen müsse man anarbeiten, findet Habeck.
Die Ampel-Koalition muss positiver werden
Warum er dann nicht mehr der Mann für Deutschlands Probleme sei, will stern-Chefredakteur Schmitz wissen. Das sei uninteressant, findet Zeh. Es gehe nicht um die einzelnen Personen, sondern um die Frage, wem die Bevölkerung zutraut, Politik in ihrem Sinne zu gestalten. "Das hat zu tun mit den Veränderungen, die es zuletzt auf einmal gab." Zum Beispiel den Ukraine-Krieg. Oder die Corona-Pandemie. "Genau da wehte es von oben herab: Ihr seid dumm, ihr seid Querdenker, ihr habt keine Ahnung." Kein Wunder also, dass sich ein gewisser Elitenverdruss gegenüber "denen da oben" ausgebreitet habe.
Negativschlagzeilen verkaufen sich zwar gut, positive Meldungen schaffen dagegen Vertrauen, sind sich die Talk-Gäste einig. Es bräuchte dringend mehr Erfolgsgeschichten, auch beim Thema Klimaschutz. Zum Beispiel aus der Lausitz, wo heute noch Kohle verstromt wird. Vor anderthalb Jahren hätten die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister dort nicht mit ihm sprechen wollen, sagt Habeck. "Jetzt sagen die: Hilf uns, unsere Pläne für die Zukunft umzusetzen."
Für die Ampel komme es nun darauf an, solche Erfolgsgeschichten zu erzählen, statt Negativ-Schlagzeilen zu produzieren. "Wir können uns nicht über angstmachende Szenarien verständigen", sagt Habeck. Das sieht auch Juli Zeh so. Nur, wendet sie ein, dass eine positive Haltung in Krisenzeiten viel zu schnell als Verharmlosung abgestraft werde. "Wenn das Aufbauen eines positiven Wir-Gefühls abgestraft wird in den Medien, als naiver Blick in die Zukunft. Das merken die Menschen, dann sind gleich die nächsten 20 Kilo auf der Misstrauenswaage." Der Ampel sei es unter anderem deshalb in den vergangenen acht Monaten kaum gelungen, Erfolgsgeschichten zu erzählen, sagt Habeck.
Wie viel Streit muss eine Demokratie aushalten?
Die Behauptung des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, Union und Grüne könnten nicht zusammenarbeiten, hält Habeck für "Unsinn". "Das ist verwunderlich, weil die Hälfte des Landes von Schwarz-Grün regiert wird", sagt er. Merz habe "die Rechnung offenbar ohne seine Partei gemacht". Er sei zwar nicht der Pressesprecher des Oppositionsführers. "Wäre ich es, würde ich ihm sagen: 'Hör' auf, Unsinn zu erzählen'". Deutschland sei aber ein freies Land, deswegen könne Merz, "so viel Unsinn erzählen, wie er will".
Anders als Merz hält Zeh Uneinigkeit in der politischen Zusammenarbeit für sinnvoll. Parteien müssten nicht immer einer Meinung sein sein. Gerade in einer Demokratie gehörten Diskurse und Polarisierung dazu. Durch die beschworene politische Einigkeit in der Ampel-Koalition würde die demokratische Idee dagegen "hintenrum ausgehöhlt und das halte ich für sehr gefährlich". Mit Blick auf die hitzigen Debatten auf X (vormals Twitter) gibt die Autorin zu bedenken: "Ich habe den Eindruck, wir können uns nur noch Konformität erlauben. Jeder, der Argumente abwägt, wird als Abweichler, Polarisierer, Verräter gesehen."
Und sie stellt die Frage: "Wann hat in Deutschland jemals alles perfekt funktioniert?" Um selbst zu antworten: noch nie. Früher habe sich die Bundesrepublik mit Arbeitslosigkeit herumgeschlagen. Heute sind es eine schrumpfende Wirtschaft, hohe Energiekosten, Inflation und eine mangelhafte Digitalisierung, zählt Habeck auf. "In der Kombination haben wir ein Problem", räumt er ein.
Am Ende des Talks verbreitet Zeh noch einmal Optimismus. Es sei richtig, eine Bestandsaufnahme über Probleme und Herausforderungen zu machen. Nur müsste den Bürgern klargemacht werden, dass sie an der Lösung beteiligt werden. "Das ist etwas, was die Leute wollen. Und es gibt ihnen ein Gefühl von Selbstermächtigung und Sicherheit."