Schriftstellerin Juli Zeh über die Sylt-Sehnsucht der oberen Zehntausend: "Ich finde das nicht einmal widerlich, sondern bloß amüsant"

Sylt von oben
Als Symbol sei Sylt unschlagbar, sagt Juli Zeh
© Getty Images
Sie war Inselschreiberin, aber dem besonderen Sylt-Charme erlag sie nicht. Juli Zeh zieht es stattdessen nach Lanzarote. 

Frau Zeh, vor genau 20 Jahren verbrachten Sie einige Zeit als Inselschreiberin auf Sylt. Welche Erinnerungen haben Sie?
Ich war mit den üblichen Vorurteilen nach Sylt gekommen, hatte es mir als Vergnügungspark reicher Hamburger vorgestellt. Ich war nie eine Partylöwin, nicht an schicken Clubs und teuren Bars interessiert, hatte also meine Bedenken, ob ich mich dort wohlfühlen würde. Umso überraschter war ich, wie bieder und bodenständig es eigentlich war. Das schicke Sylt, das man aus den Magazinen kannte, ist mir kaum begegnet.

Portrait Juli Zeh
Zeh, 49, Autorin von Erfolgsromanen wie "Unterleuten" und "Über Menschen", zieht Lanzarote eindeutig Sylt vor – das Wetter sei dort besser
© Patrick Juncker/stern

Selbst das Luxusdorf Kampen wirkt heute wie ein reetgedecktes Schlumpfhausen für Milliardäre. Was sagt das über Deutschlands Geld-Elite, dass sie sich in so eine pittoreske Biederkeit flüchtet?
Das ist nur ein Aspekt, die gleichen Leute fliegen zum Shoppen nach New York und haben sicher auch ein Domizil an der Côte d’Azur oder in St. Moritz. Ich würde davon keine Art von Eskapismus oder gar Globalisierungsverweigerung der Oberschicht ableiten. Nach einer Woche Hongkong darf es eben auch mal das nette und überschaubare Kampen sein.

Erschienen in stern 15/2024