Ärger im Paradies Sylt: Wenn sich Insulaner ihre Heimat nicht mehr leisten können

An Sylt nagen die Gezeiten – und das ganze Geld. Wie der Tourismus Sylt zu zerreißen droht und Anwohner sich dagegen wehren.
dunkle Wolken über dem Strand von Sylt
Dunkle Wolken über Sylt: Da braut sich was zusammen
© Imago Images

Am Ostersamstag steht Catrin von Pirch-Witte in Klanxbüll am Bahnhof und wartet auf den Zug, der sie auf die Insel bringen soll, auf der für sie kein Platz mehr ist. Klanxbüll ist der letzte Bahnhof vor Sylt, die Fahrt führt über den Hindenburgdamm nach Westerland, dort arbeitet von Pirch-Witte in einer Modeboutique. Von Tür zu Tür braucht sie eine Stunde, wenn der Zug pünktlich ist. Der Regen prasselt, es ist acht Uhr morgens.

Von Pirch-Witte, Ende 50, war mal auf Sylt zu Hause, bis sie verdrängt wurde von den Kräften, die auf die Insel fast so stark einwirken wie die Gezeiten: schrumpfender Platz, steigende Preise. An der Stelle ihrer alten Wohnung steht jetzt ein Haus mit doppelt so teuren Miet- und Ferienwohnungen. Hier habe sie sich ohnehin nicht mehr wohlgefühlt, sagt von Pirch-Witte. Zu sehr habe sich die Insel verändert, zu viele Gäste, zu viel Verkehr. Aber natürlich, sagt sie: Manchmal habe sie schon Heimweh.

Mit ihr warten jeden Tag Scharen von Pendlern am Bahnhof von Klanxbüll: Kellner, Putzkräfte, Rezeptionistinnen. Ein Heer von Menschen, die sich Sylt nicht mehr leisten können, obwohl Sylt sie braucht.

Catrin von Pirch-Witte am Bahnsteig, sie muss nach Sylt pendeln
Warten auf den Zug: Catrin von Pirch-Witte pendelt täglich für ihren Job nach Westerland, die Miete auf der Insel wurde für sie zu teuer
©  Max Arens

Der Zug rollt los und gleitet über den schmalen Damm durchs Wattenmeer, dieser sonderbaren Insel entgegen mit all ihren Gegensätzen. Sylt ist noch immer ein Ort, der seine eigenen Klischees eifrig bestätigt: Auf der grauen Promenade Westerlands sind die Außenplätze vom Fischimbiss Gosch selbst bei schlechtem Wetter voll besetzt mit Menschen in bonbonfarbenen Daunenjacken, die Schaumwein zum Matjesbrötchen trinken. Und im makellosen Kampen, wo sich sanierte Reetdachhäuser hinter Friesenwälle ducken, geht die Steppjacken-Schickeria in den "Dorfkrug", der den 2005er-Pauillac vom Château Latour für 2600 Euro die Flasche anbietet.

"Uns Pendler müsste man auf Sänften auf die Insel tragen" 

Sylt ist aber auch ein Ort, an dem zwischen den Insulanern in den vergangenen Wochen ein Ringen darum ausgebrochen ist, wohin diese Insel steuert. Kurs auf noch mehr Tourismus? Noch mehr Exklusivität? Noch höhere Preise? Es ist ein erstaunlich heftiges Ringen, das man leicht als Provinzposse abtun könnte, wenn es nicht um Lebensträume und Existenzängste ginge, um Entfremdung und Verdrängung. Und wenn nicht auch für die normalen Touristen etwas auf dem Spiel stünde – nämlich die Möglichkeit, ein paar Tage im Jahr ein bisschen von dem verheißungsvollen Glanz dieser Insel abzubekommen, ohne Millionär zu sein.

Erschienen in stern 15/2024