Skulpturen aus Schokolade zum Anknabbern, eine als "Künstler-Scheiße" deklarierte geöffnete Dose oder eine mit Walddüften präparierte Wand - menschliche Sinne will die Kieler Kunsthalle mit ihrer internationalen Sonderausstellung "Von Sinnen - Wahrnehmung in der zeitgenössischen Kunst" von diesem Samstag an ansprechen. Die Besucher sollen weitgehend aufs Sehen beschränkte Ausstellungserfahrungen überwinden und selber Teil von Kunstprozessen werden, sagte Direktorin Anette Hüsch am Donnerstag bei der Vorbesichtigung.
So ist das Berühren der Kunstwerke, sonst in Museen ein Tabu, hier ausdrücklich erlaubt. Die Berliner Künstlerin Sonja Alhäuser hat ein Kunst-Depot geschaffen aus Schokolade, Marzipan, Popcorn, Buttermilch und anderen Zutaten. Jeder, der will, kann sich etwas nehmen, sogar die täuschend echte Bordüre ist essbar.
Abstoßend und anziehend zugleich wirkt "The Smell of Art" (Der Geschmack der Kunst) des in Madrid lebenden Künstlers Eugenio Merino. Ein kniender Mann - ein Kunstsammler? - hält andächtig eine geöffnete Dose "Artist's Shit" zwischen den Händen - eine Anspielung auf ein Kunstwerk des Italieners Piero Manzoni von 1961. "Es ist der Geruch der Kunst, der ihn zu fesseln scheint", heißt es im Katalog über den Knienden. Eine andere mögliche Assoziation: Geld stinkt nicht.
Kein Ewigkeitsanspruch der Kunst
Der Wiener Künstler Heribert Friedl hat in Kiel den größten Ausstellungsraum als "Forest" gestaltet. Nichts befindet sich dort, aber die Besucher können an den weißen Wänden mit ihren Fingern kratzen und so Waldgerüche erfahrbar machen. In den weißen Wänden sind Silhouetten von Baumstämmen erkennbar, die der Besucher dann ankratzt. "An einen Ewigkeitsanspruch meiner Kunst habe ich nicht gedacht, im Gegenteil, im Moment des Kratzens und Riechens entsteht und vergeht sie bereits", sagte Friedl in Kiel.
Wie eine Hügellandschaft wirkt ein Raum, den der in Amsterdam lebende Künstler Erik Kessels mit tausenden aufgeschütteten Fotos gestaltet hat. Die Bilderflut hat Kessels aus dem Internet heruntergeladen. Jeder, der den Raum betritt, muss sich erst einmal überwinden und über Fotos stapfen. Das einzelne Bild wird bedeutungslos, es geht in der Masse der Bilderflut unter, mahnt die eindrucksvolle Installation "24hrs in photos".
Zwischen Startum und Voyeurismus
Die Sinne werden beim Ausstellungsrundgang immer wieder aufs Neue gefordert. Etwa im "Wendekreis" des Berliner Künstlers Via Lewandowsky. In dem leeren Raum kreist an der Decke lediglich ein Sound-Beamer, der mit dem Summen und Brummen einer Stubenfliege nervt.
Die insgesamt 38 Ausstellungsobjekte stammen aus europäischen Sammlungen und den USA. Gezeigt werden bis 21. Oktober auch Arbeiten von der deutschen Biennale-Vertreterin Rosemarie Trockel, der französisch-amerikanischen Künstlerin Louise Bourgeois und dem britischen Bildhauer Tony Cragg.
Besonders herausfordernd wirkt die "Snow_Show" des russischen Künstlers Vadim Vishkin. Besucher können sich in die Raummitte unter ein Behältnis stellen und per Knopfdruck vermeintlichen Kunstschnee auf sich rieseln lassen. "Jeder Besucher muss selbst entscheiden, ob er zum "Star" werden will und sich in die Mitte stellt oder am Rande als Voyeur zuschaut", sagte Petersen.