Musik wirkt, im besten Fall, wie Medizin für die Seele. Sie sind traurig? Das "Impromptu für Streichorchester op. 5" von Jean Sibelius kann Sie trösten. Sie hatten Ärger bei der Arbeit? Ein paar Takte "Let There Be Rock" von AC/DC, und Sie fühlen sich gleich besser. Sie zweifeln an der Menschheit? Harry Nilsson gibt Ihnen mit seiner Version von "Mother Nature’s Son" die Hoffnung zurück. Oder Sie wollen einfach nur den Kopf frei bekommen und ein bisschen tanzen? Dann legen Sie am besten etwas von Prince, D'Angelo oder James Brown auf.
Nun erweitert Marika Hackman, 31, die Hausapotheke der Musik um eine weitere Arznei. Auf ihrem vierten Album "Big Sigh", das am 12. Januar erscheint, stellt sie sich ihren Ängsten. In zehn Liedern erzählt die Sängerin von ihrer Verletzlichkeit, von Wut, Trauer und Selbstzweifeln. Jeder Song gibt Einblick in ihre Seele.
Sich zu öffnen und das Publikum an Krisen teilhaben zu lassen zeichnet Künstler aus, egal ob sie Bücher schreiben, Bilder malen oder Musik komponieren. Das macht Mut. Die Botschaft: Wir sind mit unseren Ängsten nicht allein. Und kommen trotz allem ganz gut klar.
Aus der Angst entspringt die Kunst
Mit Ängsten kennt sich Marika Hackman aus. Sie war 17 Jahre alt, als sie mit dem Tod konfrontiert wurde. Damals platzte ihr Blinddarm, eine Not-OP rettete sie. Rückblickend sieht Hackman diese Erfahrung, die eine Sepsis im Krankenhaus noch verschlimmerte, als Ausgangspunkt ihrer musikalischen Karriere. "Das war ein großer Schock für meinen Körper", sagt sie. "Damals hatte ich meine erste Panikattacke, und seitdem bin ich ängstlich."
Ansonsten klingt ihre Kindheit durchaus idyllisch. Hackman wuchs mit ihrem älteren Bruder in Selborne auf, einem Dorf in der englischen Grafschaft Hampshire. Später zog die Familie nach Devon. Mutter und Vater, ein Finne, arbeiteten als Zeichentrickfilm-Animatoren. Hackman lernte früh Klavier, Bass und Schlagzeug zu spielen, später brachte sie sich Gitarre bei. Mit Cara Delevingne, heute als Model und Schauspielerin weltweit berühmt, gründete sie das Cover-Duo "The Clementines". Trotz erster Erfolge als Musikerin begann Hackman nach der Schule ein Kunststudium in Brighton. Mit 19 schmiss sie hin, wenige Monate später hatte sie einen Plattenvertrag.

Seitdem drehte sich ihr Leben um Musik – bis Corona kam und alles auf Eis legte. Die Stille, die damit einherging, habe sie als überaus quälend empfunden, erzählt Hackman. Freunde treffen, schwimmen und auf Tournee gehen – alles, was ihr gutgetan und sie auf andere Gedanken gebracht habe, sei von heute auf morgen aus ihrem Leben verschwunden. "Ich habe ziemlich starke Angstzustände. Normalerweise ist das zu bewältigen, aber während der Pandemie zwei Jahre lang keine Kontrolle zu haben war schlimm."
Hackman hörte auf, Musik zu schreiben. Ihre Ängste wurden immer größer. Mit dem Ende der Beschränkungen kehrte jedoch auch ihre Kreativität zurück. Aus ersten Ideen wurden Lieder, aus Liedern das neue Album. "Big Sigh" ist das Ergebnis dieser künstlerischen Wiedergeburt, sagt Hackman heute, die Arbeit sei ein mühsamer, aber heilsamer Prozess gewesen. "Es hat lange gedauert, dieses Album zu machen. Es war nicht einfach, und als ich am Ende angelangt war, war ich ruhig."
Marika Hackman hat es geschafft. Sie hat ihre Ängste und Verletzungen in aufregende Musik verwandelt. Ihren Mut kann man hören. Er ist ansteckend.