In der siebten Klasse hatte ich eine Freundin, die einen relativ strengen Vater hatte. Und die war eine ganze Weile hochgradig besessen von Britney Spears. "Sie macht jeden Tag hundert Sit-ups, das versuche ich jetzt auch", erzählte sie mir. Ich weiß das heute noch, weil es mich so extrem erstaunt zurückließ. "Außerdem ist sie mit 16 schon so erfolgreich, weil sie so hart arbeitet, dass sie selbst Geld verdient. Sagt mein Vater." Ich schätze, damals war Britney also 16 und gerade dank "Baby One More Time" in Deutschland zum Superstar geworden. Im Rückblick war sie wirklich eine Art Traumtochter. Ein Ideal, das der Vater meiner Freundin ihr unter die Nase rieb – pflegeleicht und finanziell lukrativ für Britneys eigenen Vater.
Ebenfalls im Rückblick schaut man auch bezüglich anderer Aspekte ziemlich fassungslos auf die damalige Zeit. Besonders auf die Diskussion um Britneys Jungfräulichkeit. Große Medien berichteten tatsächlich über Gerüchte, ob eine junge Frau nun tatsächlich, ohne vorheriges Ja-Wort, mit Justin Timberlake geschnakselt hatte. Für uns Teenies schien das damals ganz normal, es war schließlich etwas, über das wir uns untereinander auch bezüglich diverser Klassenkamerad:innen unterhielten. Deren amouröse Erfahrungen landeten allerdings nicht auf den Titelseiten der Klatschmagazine. Es gibt eine Episode der bissigen Cartoon-Serie "South Park", in der es um Britney Spears und den grausamen Wahnsinn um sie herum geht. Darin wird die stets etwas naiv in die Welt lächelnde Blondine als kultisches Schlachtopfer der ganzen Welt dargestellt. Jene Folge erklärt den ganzen Irrsinn erschreckend gut.
Das Interesse an Britney Spears nahm auch nach Jahren nicht ab
Irgendwann war der Popstar Britney ein bisschen verblasst. Sie war Mutter, sie war geschieden, hatte ein paar Kilo zugenommen, sie schien karrieremäßig auf dem absteigenden Ast. Irgendwo hieß es, sie habe abgelehnt, "Umbrella" aufzunehmen – den Song, mit dem dann stattdessen Rihanna über Nacht weltberühmt wurde. Aber nur, weil ihre Musik nicht mehr für die große Begeisterung sorgte, nahm das Interesse an ihrer Person nicht ab. Das schaukelte sich stattdessen sogar in immer höhere Höhen auf – bis zu dem Tag, an dem die Verfolgung durch Paparazzi, der ganze Druck, ihre zum Zerreißen überspannte mentale Gesundheit, dazu führten, dass sie sich medienwirksam den Kopf rasierte.
Statt dies als triumphalen Schritt Richtung Freiheit zu deuten – weg mit der blonden Mähne, die sie so nett in die entsprechenden Schubladen der amerikanischen Popkultur einsortierbar machte – war für die ganze Welt sofort klar: Die ist verrückt geworden. Natürlich ging es der damals 27-Jährigen schlecht, man musste ihr nur in die weit aufgerissenen Augen schauen, um diese typisch depressive Leere, und die panische Angst vor dieser, zu erkennen. Aber statt sich dem hinzugeben, hatte sie vielleicht gerade versucht, dagegen anzukämpfen. Doch niemand verstand das.
Sie musste funktionieren und Geld verdienen
Seither ist Britney nicht mehr frei, sie steht unter der Kontrolle ihres Vaters. Sie muss Angst haben, ihre Kinder zu verlieren. Sie muss Sport machen, um auszusehen, wie ein Popstar eben aussehen soll. Sie muss auftreten, um Geld reinzuschaffen, sie darf kaum frei mit anderen Menschen sprechen. Sie musste Medikamente nehmen, die womöglich nicht optimal für sie waren. Durfte nicht Auto fahren, kein Handy benutzen. Es wirkt, als bezahle Britney Spears seit 13 Jahren für einen Zusammenbruch, an dem die, die diese Bestrafung für sie einforderten, die Hauptschuld tragen.
Jetzt gibt es erstmals Hoffnung – ihr Vater Jamie gab an, die Vormundschaft abgeben zu wollen. Daran dürfte das große, weltweite Engagement für Britney nicht unschuldig sein, eventuell hat er auch den ein oder anderen guten Grund, nicht noch mehr Richter allzu genau auf die finanziellen und menschlichen Aspekte seiner 13 Jahre währenden Vormundschaft schauen lassen zu wollen. Ein besserer Vormund wäre ein Schritt nach vorn für die Sängerin – aber kann man der 39-Jährigen nicht zumindest einmal die Chance geben, allein zurecht zu kommen? Ihre Kinder sind inzwischen alt genug, so dass sie keine Gefahr mehr für sie sein dürfte – sollte sie neuerlich einen Zusammenbruch irgendeiner Art erleiden. Und mit sich selbst kann eine erwachsene Frau letztlich anstellen, was sie will.
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Freiheit bedeutet, nicht mehr ständig gefallen zu müssen
Wenn Britney, sollte sie eines Tages wirklich frei sein, ihre Karriere an den Nagel hängen möchte – lasst sie doch. Wenn sie jeden Tag bei McDonald's futtern und 30 Kilo zunehmen möchte – lasst sie doch. Wenn sie zuviel Wein und zuviel Gras konsumieren möchte, dann ist das vielleicht unschön, aber – lasst sie doch. Es wird sicher Menschen geben, die erwarten, dass der Popstar die neugewonnene Freiheit nutzt, um sich und seine Karriere ordentlich aufzumöbeln. Zu optimieren. Aber vielleicht wird ihr nach dem genauen Gegenteil zumute sein, und das wäre auch okay. Sie gehört schließlich niemandem, außer sich selbst.

Aber dahin muss sie erst einmal kommen, denn noch ist sie längst nicht frei. Die #freebritney-Kampagne hat mit dem Rückzug des übermächtigen Spears-Vaters ein Zwischenziel erreicht, aber mehr eben noch nicht. Dennoch dürfte für Britney schon das Einsetzen eines hoffentlich faireren, auf ihr Wohl bedachten Vormunds eine große Erleichterung sein.