Corinne Bailey Rae Einfach betörend

In England bejubelt man sie in den höchsten Tönen, hierzulande ist sie noch weitgehend unbekannt: Corinne Bailey Rae. Sie liefert die beste Soulpop-Platte seit Jahren ab.

Dem Unbekannten sollte ein Denkmal gesetzt werden! Hätte vor fünf Jahren nicht ein Mann aus Leeds versehentlich seine Freundin geschwängert, würde Corinne Bailey Rae jetzt wahrscheinlich in muffigen Clubs Independent-Rock in einer Frauenband spielen. Aber es ist alles anders gekommen: Corinne Bailey Rae wird berühmt werden. Ohne Indie-Rock, ohne Frauenband. Sie wird es allein schaffen. Ihre magischen Songs werden sie tragen. Und ihre Stimme, in der so viel Kraft, Hingabe, Seele liegt. Lob, Preis und Dank sei dir, unbekannter, potenter Engländer!

Leeds, Nordengland, 2001: Drei junge Frauen stoßen an. Eine Plattenfirma will sie unter Vertrag nehmen. Die Frauen spielen Bass, Gitarre, Schlagzeug, nennen sich Helen und wollen so werden wie Courtney Loves Band Hole: laut, wild, dreckig. Aber dann wird die Bassistin schwanger. Und schmutziger Indie-Rock mit Babybauch lässt sich nun wirklich nicht gut vermarkten. Der Plattendeal platzt. Und Corinne Bailey Rae, Sängerin von Helen, eben noch bereit, die Welt zu erobern, fängt ganz von vorn an.

Sie geht zur Uni, studiert Literatur - und betritt irgendwann einen Jazzclub, der ihr Leben verändern wird. Dort hört sie Songs, die schöner und berührender sind als alles, was sie bisher kannte. Vergiss Hole! Die Lieder Marvin Gayes zeigen ihr, was Seele ist.

Corinne Bailey Rae bekommt einen Job im Jazzclub, und spätnachts darf sie ab und zu ans Mikrofon. Ihre Stimme klingt geheimnisvoll und hat vom ersten Ton an dieses Unverwechselbare, das man nicht lernen kann. Ihr erstes Album "Corinne Bailey Rae", das jetzt erschienen ist, ist das intimste, stimmigste, stärkste Debüt einer Sängerin seit vielen Jahren. Zum Schluss soll es unter den Plattenfirmen einen richtigen Kampf um die 26-Jährige gegeben haben. Kaum hatte sie in England ihren ersten Song veröffentlicht, die betörend schöne Ballade "Like A Star", erklärten die Zeitungen sie zur wichtigsten Sängerin des Jahres: "Bailey Rae ist so ein heißer Tipp, sie schmilzt schon", fabulierte die "Sunday Times".

Zum Dahinschmelzen schön ist das Album tatsächlich. Verblüffend, mit welcher Selbstverständlichkeit hier eine Sängerin ihren Stil zwischen Soul und Pop gefunden hat: In ihrer Musik stehen Zuversicht und Traurigkeit Ton neben Ton. Mal klingt sie weich und fast zerbrechlich, dann wieder fast provozierend lässig, abgeklärt und sexy. Oft erinnert die tiefe Glut ihrer Stimme an Lauryn Hill von den Fugees, und manchmal bricht ihre Stimme wie die der großen Billie Holiday. Erhabene Momente sind das.

Sie hat Mühe, zu verstehen, was um sie herum gerade passiert: "Mein Album ist zwar ziemlich gut", sagt sie, und es klingt nicht arrogant, "aber ich muss mich noch daran gewöhnen, dass die Leute mein Zeugs wirklich zu mögen scheinen."

Gern würde sie nochmals dorthin zurückkehren, in jenen magischen Jazzclub in Leeds, der alles veränderte. Aber er existiert nicht mehr. "Wo ich Billie Holidays Lieder sang, sind jetzt die Toiletten eines riesigen neuen Clubs." Vielleicht wird man eines Tages sagen, die Karriere der Corinne Bailey Rae begann mit einem Unfall im Bett einer Bassistin. Oder an einem Ort, der jetzt eine sanitäre Anlage ist.

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Tobias Schmitz

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