Eurovision Song Contest 2012 in Baku Kein Grand Prix der Claqueure

"Die feiern hier ultra ab", sagt Roman Lob. Der Eurovision Song Contest löst in Baku Begeisterung aus. Viele Jugendliche sehnen sich nach Spaß und Unterhaltung, die ihnen sonst verwehrt bleibt.
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Roman Lob singt "Standing Still"

"Ich will eure Hände sehen", schreit Roman Lob in die Menge. Prompt recken sich Hunderte Menschen vor der kleinen Bühne an Bakus Strandpromenade Bulvar in die Höhe, um den deutschen Teilnehmer des Eurovision Song Contest bei einem Live-Gig zu feiern. Mit kindlicher Freude jubeln sie einem Sänger zu, den die meisten im Publikum bis zu dieser Sekunde gar nicht kannten und wedeln Fähnchen mit seinem Konterfei. "Die feiern hier ultra ab", freut sich Lob, "das ist Wahnsinn."

Szenen wie diese spielen sich derzeit zuhauf ab. Baku freut sich auf den Eurovision Song Contest. Die autoritäre Führung hat in der ganzen Stadt dafür gesorgt, dass diese Freude sichtbar wird. Sie hat Eurovisionsfahnen aufhängen lassen und dem aserbaidschanischen Fernsehen Dauer-Grand-Prix-Berichterstattung verordnet. Viele Geschäfte in der Fußgängerzone berieseln die vorbeigehenden Passanten mit Eurovisionsmusik in Endlosschleife, eine neu aufgestellte LED-Wand zählt die letzten Tage bis zum Finale herunter. Trotzdem ist Baku weit davon entfernt, ein Song Contest der Statisten und Jubelperser zu sein. Denn das ist gar nicht nötig.

Der Song Contest ist ein Straßenfeger

"Die Aserbaidschaner lieben den Eurovision Song Contest", sagt Saburi Bagirow. Natürlich gebe es Leute, denen der Wettbewerb egal sei, der überwiegende Teil der Aserbaidschaner würde ihn jedoch seit Jahren im Fernsehen verfolgen. "Wenn Eurovision läuft, sind die Straßen leer", sagt der 22-jährige Student. Alle seien sehr stolz, den Contest jetzt in der eigenen Stadt abhalten zu dürfen und so vielen ausländischen Besuchern ihre Heimat zeigen zu können.

Trotz der Menschenrechtsverletzungen und der Gängelung der Presse- und Redefreiheit im Land wirkt Baku nicht beklemmend wie Moskau, wo der Song Contest 2009 stattfand. Das liegt zwar auch an den schönen Fassaden, die ja eigens für den Zweck errichtet wurden, zu beeindrucken und vergessen zu machen, wie es dahinter aussieht. Aber vor allem an den Menschen im Land. Ihr Stolz, ihre Eurovisions-Euphorie und ihre Hilfsbereitschaft sind es, die Baku so sympathisch machen. Dinge, die nicht oder nur schwer von oben verordnet werden können.

Spaß haben ist für Jugendliche nicht vorgesehen

"Das können nicht alles Schauspieler sein, die hier flanieren", sagt Thomas D. über die vielen Menschen, die abends durch die Straßen Bakus gehen und fast jedem Eurovisionsbesucher, den sie auf der Straße entdecken, "Hello" und "Where from?" zurufen. Er wisse, dass die Aserbaidschaner in Punkto Menschenrechten einiges aufzuholen hätten, sagt der Jury-Präsident von "Unser Star für Baku" und Mentor von Roman Lob. "Aber das ist eben nicht so, wie wir uns das zuhause vorstellen, dass hier alle ängstlich und unterdrückt rumlaufen und dass an jeder Ecke einer zusammengeschlagen wird." Die Menschen in Baku zeigten eine Begeisterung für den Eurovision Song Contest, die er nicht erwartet habe.

Gerade die Jungen sind von dem Großereignis fasziniert. Sie sehnen sich nach Spaß und Unterhaltung, die es für sie sonst nicht gibt. Als einzige Beschäftigung bleibt ihnen oft nur, nachts mit ihren Freunden endlos über die Plätze und durch Fußgängerzonen zu ziehen. "Unter-18-Jährige dürfen in keinen der Clubs und in keine Bar gehen", erklärt Tabiba Badalova, die lange Jahre in Deutschland gelebt hat und in einem Restaurant am Springbrunnenplatz arbeitet. Anders als in Deutschland sei das Freizeitangebot für Jugendliche begrenzt, vielen bliebe nur der Sportverein als Beschäftigung. "Für die ist es ein Fest, dass jetzt zur Eurovision etliche Freiluftkonzerte und Ereignisse stattfinden."

Wie das Minikonzert von Roman Lob, der von mehreren tausend Jugendlichen am Bulvar begeistert gefeiert wurde. Es ist schade, dass sie am Samstag beim Finale nicht dabei sein werden. Tickets jenseits von 160 Euro können sich nur die wenigsten leisten. Deshalb ist zu befürchten, dass in der Kristallhalle überwiegend Leute aus der privilegierten Oberschicht Platz nehmen. Trotzdem wird der 57. Eurovision Song Contest kein Grand Prix der Claqueure sein. Denn der Geist des Grand Prix, von gemeinsamer Musik, Völkerverständigung und Freundschaft, weht längst durch Baku. Viele Betonköpfe der Regierung wird er nicht erreichen. Sie werden weiterhin daran arbeiten, mit dem Event ihr Image als skrupellose und geldgierige Despoten aufzubessern. Aber die Herzen der Menschen, die hat er bereits erreicht.

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