MIX-CASSETTEN Liebesbriefe auf Magnetband

Selbst bespielte Mix-Cassetten sind ein beliebtes Geschenk - nun sind Wissenschaftler dem Phänomen auf der Tonspur.

Sie hat was Liebenswürdiges. Ihre Spulen, ihr 250 Meter langes Magnetband, ihre Plastikhülle. Sie klappert, wenn man sie schüttelt. Und wenn man sie lange genug betrachtet, erkennt man mit ein wenig Fantasie das kantige Gesicht eines kleinen Roboters mit großen Zahnradaugen. Die gute alte Audio-Cassette, 1963 von Philips einer staunenden Öffentlichkeit vorgestellt. Sie stirbt langsam, aber gewiss. Wegen Minidisc, CD und MP3-Player werden nach Schätzungen des Branchenriesen Emtec in diesem Jahr nur noch 26 Millionen Cassetten verkauft, 2000 waren es noch doppelt so viele.

Das Charmanteste, was man mit dem Speichermedium anfangen kann, heißt in Jugendsprech »Mixtape«. Eine Leercassette, selbst bespielt mit bunt gemischten Songs. Ein typisches Jungs-Ding, glaubt man. Leidenschaftliche Plattensammler, die ihrer Angebeteten musikalisch die Aufwartung machen. »Ich nehm dir mal ein Tape auf!« statt »Willst du mit mir gehen?«

»Vor allem Männer zeigen lieber durch Cassetten ihre Emotionen, als nach Worten zu ringen«, berichten Gerrit Herlyn, 33, und Thomas Overdick, 31. Doch Frauen seien nicht nur die Empfängerinnen, sondern selbst begeisterte Taperinnen. Die zwei Volkskundler von der Universität Hamburg beschäftigen sich seit gut einem Jahr mit der Alltagskultur rund um den selbst gebrauten Mix. 70 Interviews mit passionierten Aufnehmern wurden im Rahmen eines Seminars geführt, mehr als 200 Mixtapes von über 120 Menschen untersucht, vom Teenager bis zum Rentner.

»Wenn du fünf Lieder errätst, lade ich dich zum Essen ein«, fordert da ein 39-jähriger Grafiker seine Freunde auf. Ein typischer Fall von ausgestelltem Kennertum. Ein 41-jähriger Unternehmensberater nimmt seine Lieblingsmusik auf, in der Hoffnung, den Beschenkten gefalle das auch. »Da gibt es oft Schnittmengen aus du und ich«, so Herlyn. Sich selbst darstellen, guck, was habe ich für einen tollen Geschmack. Und: Was würde der andere gern hören, was kann ich ihm zumuten?

Bei Namensgebung und Covergestaltung schöpfen die Hobby-DJs aus dem Vollen. »Lustgarten« heißt ein Tape, vorn drauf rekelt sich ein Paar im Auto. Stilistisch gibt es ebenfalls keine Grenzen: Indie-Rock, deutsche Schlager, Chansons, House und Techno, aber auch Jazz und Klassik. Der gewöhnliche Party- oder Jogging-Mix steht neben Sommersongs, Abwaschliedern, den persönlichen Jahres-Top-Ten oder lauter Titeln, in denen die Farbe Grün vorkommt .

Warum so viel Hingabe an ein analoges Medium? Immerhin ist Aufnehmen zeitaufwendig, man muss umdrehen, hin- und herspulen. Eben drum, meinen Herlyn und Overdick und sprechen von der Technik-Nostalgie der »Generation Walkman«. »Wenn du ein Tape machst, musst du dir Mühe geben«, sagt ein interviewter Schüler. »Da steckt Liebe drin.«

Matthias Schmidt

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