Hätten sie schon gern gehabt, die Heizer am Medienkessel. So einen richtigen Sängerstreit. Einer beleidigt, der andere schimpft zurück, Talkshow-Stoff, Schlagzeilenmaterial. Und Deutschland gespalten. »Ey, bist du für Herbert oder für Marius?« Ach, schön wär's gewesen, so wie Becker gegen Stich, Schröder gegen Stoiber, Bohlen gegen Verona, Beatles gegen die Stones. Duelle fördern die Auflage.
Aber die beiden, Grönemeyer und Westernhagen? Ihre Alben sind auf dem Markt, die CD-Stapel wie Schlachtentürme in den Läden, aber von Krieg keine Spur. Die Zeitungen können noch so anfeuernd schreiben, Grönemeyer und Westernhagen gehen sich auf ihren Wegen aus dem Weg. Der »Sängerkrieg« verpufft zwischen über einer Million verkauften CDs bei dem einen und 400.000 Vorbestellungen bei dem anderen - Stückzahlen, die im Weihnachtsgeschäft zu einem nationalen Klangteppich führen werden, niemand wird »Mensch« von Grönemeyer und »In den Wahnsinn« von Westernhagen entkommen können.
Und erst mal egal, wer der vielleicht bessere Barde ist, beide Alben sagen mehr über den Zustand des Landes aus als Wahlergebnisse oder Börsendaten. Musik, so Tolstoi, ist die Kurzschrift des Gefühls, und so, mal genau hingehört, ergänzen sich beide Alben zu einem Abbild einer seelenverknoteten, in sich verdrehten Mittelstandsgesellschaft, die unter ihren Kronleuchtern, in ihren Habitat-Möbeln und Salgado-Fotobänden nach zweierlei sucht: Griffigkeit und Ausbruch.
So wie in dem Werbespot von Ikea, bei dem in einer fröhlichen Küchengesellschaft einer aufsteht und ruft: »Dann lass uns wieder auf die Straße gehen!«, woraufhin alle betreten schweigen, und der Rufer sich mit »Na ja, man muss es ja nicht gleich überstürzen« wieder setzt, so muss man sich die Welt vorstellen, deren Chronisten Grönemeyer und Westernhagen sind.
Hier der griffige Trauerarbeiter Grönemeyer, der mit Baukastenlyrik »Wir haben versucht, auf der Schussfahrt zu wenden« und »Am Strand des Lebens ohne Grund ohne Verstand« den Untiefen der Gefühle beinahe passende Worte gibt; da der röhrende Rocker Westernhagen, der die Ratlosigkeit einer rot-grünen Stillstandsgesellschaft mit Denksplittern wie »Meine Morgenlatte bettelt um Gnade« oder »Mein Herz sprengt mir die Brust, und es stinkt nach Kotze, Sex und Blut«, zu piksen versucht.
Das kann zwölf »Wahnsinn«-Songs lang eine Qual sein. Westernhagen schreit, brüllt, gurgelt noch eine Spur rostiger, als man es kennt, seine Texte sind gewollte lyrische Schrotthaufen. Mag sein, dass er dennoch die Seele derer trifft, die ihm glauben. Eine Tortur wird das Album aber dann, wenn man spürt, wie MMW ins Posing verfällt, wie er den wilden Marius imitiert und mit der verbalen Schrotflinte schlecht formuliert Unerhörtes in die Luft schießt.
Für das Video von »Es ist an der Zeit« tänzelt er sich durch eine Berliner Prominentenparty und stört die Gesellschaft mit Zeilen wie »Es ist an der Zeit, dass du endlich verstehst, dass es nicht nur um dich geht« beim Essen. Und genau einen Tag nach seiner CD-Präsentation am vorvergangenen Montag sagte Bundeskanzler und Westernhagen-Freund Schröder in seiner Regierungserklärung: »Es geht nicht darum, immer nur zu fragen, was nicht geht.« Da merkt man's: Westernhagens »Wahnsinn« hat genau die Sprengkraft von Rot-Grün. Von denen hat er ja schon das Bundesverdienstkreuz.
Jochen Siemens