Pro und Contra Stones: abtreten oder weitermachen?

Die einen gähnen, die anderen freuen sich schon auf die nächste Tour. Auch in der stern-Redaktion gibt es Stones-Fans und -Hasser. Weshalb wir hier beide Seiten zu Wort kommen lassen.

stern-Redakteur Hannes Roß meint: Rolling Stones - bitte hört endlich auf!

<BR>Soweit ich zurückdenken kann, waren diese Männer immer alt und faltig und hässlich. Wenn sie still standen, sahen sie aus wie Wachsfiguren bei Madame Tussauds. Wenn sie über eine Bühne hüpften, wirkten sie künstlich und fremdartig. Wie programmierte Rock-Roboter, dazu verdammt, bis zum Umkippen weiterzuspielen. Aber sie kippen einfach nicht um.

Ich bin 30 Jahre alt. Meine Generation kennt den Mythos Rolling Stones nur aus nostalgischen Erzählungen älterer Männer. Ich hätte wohl damals dabei sein müssen, um diesen Mythos zu verstehen, Mick Jagger mal mit 28 Jahren erlebt haben müssen, damals, als er noch dieses feuchte Beischlaf-Grinsen hatte. Aber was ist heute noch von der Magie übrig? Für diejenigen, die nicht von Erinnerungen zehren, sondern die Stones im Hier und Jetzt erleben?

Seit 1981 haben sie kein Nummer-eins-Album mehr gehabt. Stattdessen gab's Rhythm & Blues-Ausschussware, solange der Vorrat reicht. Alles Lüge, kreischen jetzt die empörten Stones-Fans! Was ist denn mit "Satisfaction"? Das ist von 1965. Mit "Paint It Black"? Von 1966. Oder "Street Fighting Man"? Von 1968. Ist das denn schon so lange her?

Ja, das ist es. Musikalisch sind die Stones seit 30 Jahren nur ihre eigenen Nachlassverwalter. Denkmalgeschützte Rockikonen, die der jungen Generation nichts mehr zu sagen haben. Wir haben unseren eigenen Rolling Stone. Er heißt Robbie Williams. Wollen wir Robbie Williams mit 66 Jahren noch auf der Bühne sehen? Nein!

Ich wünsche mir einen würdigen Abtritt weit vor dem Rentenalter. Aber die Stones rollen immer weiter und laden nun wieder einmal zur Nostalgie-Show, Eintritt um 100 Euro pro Person. Große Welttournee, neue Platte. "A Bigger Bang" heißt das Werk, weil sich Sir Mick Jagger durch das Universum inspiriert fühlte. Alles wird wieder mal größer. Nur besser wird leider gar nichts. Die Stones bieten nur solide Rock'n'Roll-Auslegeware. Eines muss man ihnen aber zugute halten: Diese Band gibt selbst einem 30-Jährigen wie mir noch das Gefühl, verdammt jung zu sein.

stern-Mitarbeiter Jochen Siemens meint: Rolling Stones - nur weiter so, Männer!

<BR>Menschen wie ich müssen lächeln, wenn sie alle zwei, drei Jahre die Nachricht hören: "Die Rolling Stones gehen wieder auf Welttournee und haben ein neues Album gemacht."

Dazu sieht man das immer gleiche Foto von vier Männern, die sich umarmen, wieder ein paar mehr Falten haben und noch diebischer lachen als die zwei, drei Jahre davor. Ich kann die Stones-Konzerte nicht mehr zählen, die ich gesehen habe. Es waren gute, mittelmäßige und grandiose dabei, schlechte nie und letzte nie, weil das letzte Stones-Konzert und das letzte Album das kurz vor ihrem Tod sein wird. Nicht vorher. Kein Ruhestand. Kein in Würde abtreten. Warum auch?

Rock'n'Roll, so die Botschaft, ist ein Leben, und deshalb wird gespielt, solange das Herz schlägt. Und über diese Botschaft müssen Menschen wie ich lächeln. Weil sie subversiv ist. Weil sie den Zyklus "Vorruhestand, Ruhestand, Rente, in Würde alt werden und nun ist mal gut" auf den Kopf stellt. Nun kommt zu den 39 Alben, die sie gemacht haben, das 40. dazu, "A Bigger Bang" heißt es.

Und, braucht man es? Menschen wie ich ja, weil das Gitarrenspiel Keith Richards noch dreckiger klingt als sonst, weil Jagger einen durch die 16 Titel jagt, weil Songs wie "Rain Fall Down" so weibische Jammerlappen wie Coldplay mit zwei Takten aus dem Ohr pusten und weil man zu "Biggest Mistake" einen Drink haben muss und seiner Freundin einfach an den Hintern fassen will, so lässig ist der Song.

Mit Nostalgie, mit dem Nachweinen auf ein ehemals wildes Leben hat das nichts zu tun. Niemand von uns hat Beethovens Jahre erlebt, kaum einer von uns die großen Zeiten Frank Sinatras, und trotzdem hören wir sie. Musik sollte eben, wenn sie gut ist, auch nach 20 oder 50 Jahren die Gefühle der Zeit autonomisieren und die Wildheit in einem ewig am Leben erhalten. Wer das nicht versteht, hat keine Ohren oder hört U2-CDs. Nächstes Jahr kommen sie. Die Stones. Ich gehe hin. Lächelnd. Bis dahin "Waiting On A Friend", auch so einer der besten Stones-Songs.

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