Ein absoluter Wecksong, der sich sofort ins Ohr bohrt, ist gleich das erste Stück des Albums: Mit Tusch und markanten Gitarrenriff startet "In the Morning" und erzählt von den Gedächtnislücken nach einer durchzechten Nacht. Ursprünglich war der Song als Hintergrund für eine Dior Männermodenshow von Hedi Slimane in Auftrag gegeben. Das passende Artwork im Booklet zeigt allerdings keine Sakkos oder Krawatten, sondern Fotos eines Kondensstreifens am morgendlichen Himmel in seinen verschiedenen Verwischungsformationen. Daneben haben sich die stilvoll-verlottert gestylten Mitglieder der Band mit ihren Handabdrücken verewigt - ein dezenter Hinweis darauf, dass man sich demnächst in die Annalen der Popgeschichte eintragen möchte?
Eingängiger Pop von stilvoll-verlotterten Musikern
Mit dem zweiten, selbst betitelten Album kann Razorlight das durchaus gelingen. Schon beim zweiten Lied "Who needs love" wird klar: Hier reiht sich nicht ein schraddeliger Song an den anderen, wird nicht einfach nur in die Seiten gedrescht, hier ist man konzeptionell ans Werk gegangen, abwechslungsreich und komplex arrangiert. Unterstützt von dem neuen Schlagzeuger Andy Burrows ist den vier Bandmitgliedern gelungen, an ihr mit Platin veredeltes Debütalbum "Up all night" nicht nur anzuknüpfen, sondern sich musikalisch weiterzuentwickeln. Noch weiter weg vom puren Drei-Akkorde-Rock hin zum ausgefeilten Popkunstwerk. Das bittersüße "Before I Fall to Pieces" wurde gemeinsam von Burrows und Frontman Johnny Borrell komponiert, die sonnige, vorwärts treibende Melodie ist unterlegt mit Textzeilen tiefer Trauer und Liebesschmerzes. Überhaupt steht der durchwegs poppige, ja fast schon kitschig angehauchte Popballaden-Sound in starkem Kontrast zu dem oft recht rüpelhaften Auftreten der Band und den coolen Jeans-Chucks-wilde-Mähne-dunkle-Sakkos-Outfits.
Hören Sie rein!
Schlicht, aber schön: Das Cover des zweiten Album, das wie die Band "Razorlight" heißt. stern.de präsentiert Hörproben aus dem neuen Album
Vom Ex-Doherty-Buddy zum professionellen Musiker
Zum neuen Sound passt auch die kürzlich gestartete Charmeoffensive beim Publikum: Nachdem Razorlight im vergangenen Jahr diverse Konzerte in Deutschland abgesagt hatten, konnten es Besucher eines kürzlich stattgefundenen Festivals in Hamburg kaum fassen: Für schlappe 15 Euro sah man Razorlight spielen - nicht mal als Hauptact, sondern eingereiht nach Art Brut und vor Kelis. Pünktlich, gut gelaunt, spielfreudig, sogar mit Zugabe. Keine Selbstverständlichkeit für diese Band: Schließlich hätte Johnny Borrell auch wie Pete Doherty enden können, mit dem der Razorlight-Frontman kurzzeitig bei den Libertines zusammengespielt hat. Erste Symptome des Doherty-Syndroms waren schon zu beobachten: 2004 ist Borrell während einer Show in Denver einfach mal von der Bühne verschwunden, weil er keine Lust mehr hatte. Sein Rock-Rüpel-Image pflegte der Razorlight-Frontman auch mit deftigen Kommentaren über Kollegen, die Freundin von Strokes-Gitarrist Albert Hammond Jr. hat er als Hure beschimpft. In der britischen Musikzeitschrift New Musical Express zog er über die Single der Kooks her, sie sei "das Furchtbarste, was ich je gehört habe".
Mittlerweile steht Borrell mit seinen Mannen aber nicht nur pünktlich und gut gelaunt auf der Bühne, sondern äußert sich in Interviews auch anerkennend über das gute Songwriting von U2 und Coldplay. Weg von der Londoner Gosse, hin zum Glamour der großen weiten Welt? So endet das Album mit "Los Angeles Waltz", vielleicht ein dezenter Hinweis, wohin Razorlight ihre Fühler ausstrecken: Next exit Sunset Boulevard, die Eroberung Amerikas kann beginnen.