Schlag für Hauptstadt-Tanzszene Choreographin Waltz will Berlin verlassen

Erst Vladimir Malakhov, jetzt Sasha Waltz: Wenige Tage nach dem Chef des Staatsballetts will nun auch die bekannte Choreographin Berlin verlassen. Für Malakhov ist offenbar ein Nachfolger gefunden.

Sasha Waltz, eine der international erfolgreichsten zeitgenössischen Choreographinnen aus Deutschland, sieht keine Zukunft mehr für ihre Tanzcompagnie in Berlin und sucht einen neuen Standort. Die Gruppe habe eine untragbare Belastungsgrenze erreicht, erklärte Waltz am Dienstag. "Berlin ist seit 1992 mein künstlerischer Mittelpunkt", so Waltz. "Aber die Diskrepanz zwischen meinen Visionen, den Möglichkeiten und dem Kampf um die Existenzsicherung der Compagnie drängt mich nach 20 Jahren zu dem Entschluss einer vollkommenen Neuorientierung."

Die Hälfte des Etats von jährlich vier Millionen Euro müsse das Ensemble unter großem finanziellen Risiko und ohne festen Spielort selbst erwirtschaften. Die Stadt könne dem Ensemble keine konkrete und dauerhafte Perspektive bieten. Dies sei bei einem Gespräch mit Kulturstaatssekretär André Schmitz deutlich geworden, erklärte Waltz. Schmitz teilte mit, er wolle Waltz in Berlin halten, sehe aber angesichts der Berliner Finanzlage keinen Spielraum für eine Erhöhung der Förderung von zurzeit 1,85 Millionen Euro im Jahr.

Bereits in der vergangenen Woche hatte der Intendant des Staatsballetts Berlin, Vladimir Malakhov, seinen Rückzug angekündigt. Er wolle seinen Vertrag nicht über die Spielzeit 2013/2014 hinaus verlängern. Der Tänzer und Choreograph hatte Schmitz vorgeworfen, ihn mit der Vertragsverlängerung "hingehalten" zu haben. Wie am heutigen Mittwoch bekannt wurde, ist allerdings schon ein Nachfolger für Malakhov gefunden: Schon morgen wolle Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit einen Nachfolger vorstellen, berichtete die Nachrichtenagentur DPA. Dabei soll es sich um den 56-jährigen spanischen Choreographen Nacho Duato handeln, der zur Zeit das Ballett des Mikhailowsky-Theaters in St. Petersburg leitet.

Auch Wegzug aus Deutschland möglich

Sasha Waltz verabschiedet sich dagegen auf Raten: Die 49-Jährige will in einem ersten Schritt die Aktivitäten in Berlin herunterfahren und sie nicht mehr über Koproduktionen und Gastspiele außerhalb der Stadt finanzieren. Darüber hinaus habe sie Kontakt zu nationalen und internationalen Partnern aufgenommen, "um einen neuen Standort für eine solide und langfristig tragfähige Situation für die Arbeit des Ensembles zu finden", erklärte sie.

Gleichzeitig forderte Waltz eine Neuausrichtung des Tanzes in Berlin. Das Jahr des 100. Jubiläums des Balletts "Le Sacre du Printemps", der den Aufbruch in die Moderne in Musik und Tanz markiert, wäre ihrer Meinung nach dazu der richtige Moment. "Die Pflege des klassischen Erbes macht erst im Kontext von Moderne und Gegenwart Sinn", erklärte Waltz. Eine Sprecherin von Sasha Waltz sagte auf Anfrage, es gebe keinen Zusammenhang zwischen dem Gespräch mit Schmitz und dem angekündigten Weggang Malakhovs. Das Gespräch sei schon länger vereinbart gewesen.

Experimentierfreudige Bewegungsforscherin

Sasha Waltz gilt neben der 2009 gestorbenen Pina Bausch als bekannteste deutsche Tanzkünstlerin. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Jochen Sandig gründete sie 1993 die Tanzcompagnie "Sasha Waltz & Guests". Waltz kam als erste Choreographin an die Berliner Schaubühne zur Saison 1999/2000, wo sie zusammen mit Thomas Ostermeier die Leitung des Theaters übernahm. Das Stück "Körper" avancierte schnell zur Sensation. Das Spiel mit Körper und Raum setzte sich in "S" und der Tanztragödie "noBody" fort. Die vielen Arbeiten und Tourneen waren für Waltz zu viel: Sie erlitt 2008 einen Zusammenbruch und musste sich eine mehrmonatige Auszeit nehmen.

In ihren Choreographien greift Waltz gerne Situationen aus dem Alltag auf und beschreibt soziales Verhalten. Das Wochenmagazin "Die Zeit" nannte sie "Deutschlands experimentierfreudigste Bewegungsforscherin". Immer wieder hat Waltz spektakuläre Tanzstücke in Museumsräumen aufgeführt. Bei der Uraufführung von "Dialoge 09" begeisterte sie im März 2009 mehr als 10 000 Besucher im von David Chipperfield restaurierten, noch leeren Neuen Museum in Berlin. Auch arbeitet sie regelmäßig für die Oper. Großen Erfolg hatte sie mit der Choreographie für Henry Purcells Oper "Dido und Aeneas", die zum Theatertreffen 2007 eingeladen wurde. Im kommenden Mai wird Waltz Strawinskys Ballett "Le Sacre Du Printemps" in Paris realisieren, dem Ort, wo das Werk vor genau 100 Jahren uraufgeführt wurde.

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Esteban Engel, DPA

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