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Neues Album des Altrockers Alle lieben Udo Lindenberg – aber warum eigentlich?

Udo Lindenberg hat eine einzigartige Karrierekurve hingelegt: vom versoffenen Nuschel-Clown der Neunziger zum Star der Republik, auf den sich fast alle einigen können. Wie konnte das passieren? Kleine Analyse eines großen Phänomens.

Moritz von Uslar hat angefangen. Der renommierte Autor schrieb im März 2008 einen Artikel für den "Spiegel" über Udo Lindenberg und dessen Comeback-Album "Stark wie zwei". Uslars Text war weniger eine schnöde Rezension der überraschend gut gelungenen Platte als vielmehr eine Hymne auf den Altrocker, der damals seit fast zwei Jahrzehnten nur noch als uncoole Karikatur seiner selbst auf sich aufmerksam machte: Neue Songs wurden regelmäßig verrissen, Lindenberg war ständig betrunken und nuschelte in seiner "Ey, ihr Fuzzis"-Fantasiesprache herum. Rund um Udo war alles irgendwie ein bisschen peinlich.

Uslar konnte es nicht ahnen, aber sein vielbeachteter Artikel markierte eine Trendwende in der Karriere des Udo L. – Uslar schrieb über das "Wunder des neuen Udo-Sounds", der so "frisch und modern" klinge, und er formulierte einen ganz zentralen Satz: "Vorstellbar ist, dass der junge Hipster aus der deutschen Großstadt sich einen Udo-Song auf den iPod lädt. Und das würde ja nun wirklich etwas bedeuten."

Genau so kam es.

"Stark wie zwei" wurde das erfolgreichste Studioalbum in Lindenbergs Karriere, sein einziges, das auf Platz eins der Charts ging. Es folgte das MTV-Unplugged-Konzert "Live aus dem Hotel Atlantic", der daraus ausgekoppelte Song "Cello" wurde zum Hit – im Duett mit Clueso, einem der zahlreichen jungen Musiker, die sich heute auf Udo berufen: Von Jan Delay bis Max Herre wollen sie inzwischen alle schon immer von Lindenberg geprägt worden sein.

Udo Lindenberg: Wandlung in der Wahrnehmung

Diese Wandlung in der Wahrnehmung vom nervigen zum coolen Udo ist natürlich am besten anhand des Werks von Benjamin von Stuckrad-Barre nachzuvollziehen: Der (ehemalige) Popliterat hat es gerade mit seinem Biografie-Brocken "Panikherz" auf die Bestsellerlisten geschafft – ein Buch, das sich auch als Heiligsprechung seines großen Idols lesen lässt. Mehr Lindenberg als in "Panikherz" ließe sich auch in einer Autobiografie von Lindenberg nicht unterbringen.

Paradox: Zu Beginn seiner sprunghaften Karriere hatte Stuckrad-Barre sich noch kräftig über Lindenberg lustig gemacht. In seinem Buch "Remix" von 1999 fällte er folgendes Urteil über Lindenbergs Lyrik: "Unglaublich penetrant, das ewigunddreihundert Jahre lange Hochhalten vom geistesschlanken, allein der Alliteration und dem Schnellreim verpflichteten Vokabular". Später im Text schreibt Stuckrad-Barre noch, dass Lindenberg "neben den Haaren langsam auch die in den letzten Jahren ohnehin raren Ideen" ausgehen würden. Keine Frage: So wie er Udo heute verehrt, ihn für seine Texte (die er laut eigener Aussage alle auswendig kennt) und Weisheit feiert, dürften Stuckrad-Barre diese Ergüsse inzwischen verdammt peinlich sein.

Denn Udo gut zu finden, gehört längst zum guten Ton, unter Musikerkollegen wie auf dem Hipsterkiez. Aber natürlich nicht bloß, weil ein paar Journalisten oder Schriftsteller ihn abfeiern. Die Gründe dafür gehen tiefer. 

In unsicheren Zeiten wie diesen flüchtet man sich gerne in Udos Welt – in diese Welt der Außenseiter und Lebenskünstler, in der alles halb so wild, aber dafür voll easy ist, in der man seine Träume noch lebt und sich keine Sorgen macht, wie man die nächste Miete bezahlen soll, weil man sowieso nicht weiß, in welches Land man nächsten Monat auswandert. In der man keine Angst vor dem Terror haben muss, weil die Liebe regiert. Und überhaupt: im Hotel wohnen, mit Eierlikör malen, bei der Einreise in die USA vor den Zollbeamten eine Zigarre rauchen (wie im ersten "Panikherz"-Kapitel beschrieben) – dieser dauerhaft allen gesellschaftlichen Konventionen mit einem freundlichen Lächeln entgegengestreckte Mittelfinger, wer würde ihn manchmal nicht gerne hochhalten? Wer würde nicht gerne immer und zu jeder Zeit sein Ding machen?

20 Jahre Krise, zwei Millionen Drinks, ein Herzinfarkt

Dass dieser kompromisslose Lebensstil ihn viel gekostet hat, beinahe sogar das Leben, davon zeugen seine Storys, die er so unnachahmlich erzählen kann, und die traurigen Augen, mit denen er in letzter Zeit immer häufiger hinter der Sonnenbrille hervorlugt und sein Gegenüber entwaffnet. Sie machen das Gesamtkunstwerk Lindenberg nur noch authentischer: Der Typ hat 20 Jahre Krise, zwei Millionen Drinks und einen Herzinfarkt überlebt. Er weiß Bescheid, wie das Leben läuft. Ihm nimmt man einen guten Rat ab. 

"Es ist nie zu spät, um nochmal durchzustarten", singt Udo Lindenberg in "Durch die schweren Zeiten", der ersten Single seines neuen Albums "Stärker als die Zeit", "weil hinter all den schwarzen Wolken wieder gute Zeiten warten." Und es ist egal, wen man fragt, ob Clueso, Stuckrad-Barre oder die coolen Kids – sie alle wissen: Wird schon stimmen, wenn der Udo das sagt. Also keine Panik.

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