Der Chef bin ich": verkündete Kerstin, 38, gleich zu Beginn von "Newtopia". Eine klare Ansage, immerhin geht es bei dem TV-Experiment auch darum, dass sich 15 Pioniere in der Wildnis ihre eigenen Regeln des Zusammenlebens schaffen. Blöd nur, dass sich niemand für ihre Führungskompetenzen zu interessieren scheint. Denn die übrigen 14 Abenteurer haben alle ihren eigenen Kopf.
Wie Hans. Während die übrigen Gruppenmitglieder beratschlagen, was sie an lebensnotwendigen Dingen mitbringen (Klopapier, Werkzeug, Schlafsäcke, Lebensmittel), hat der 30-jährige Fitnesstrainer ganz andere Prioritäten: "Für mich wär's cool, wenn ich ein paar Turnschuhe und einen Jogginganzug mitbringe, dann kann ich schon mal ein bisschen loslegen." Eine sympathische Einstellung: Es können ja schließlich nicht alle 15 die Kuh melken - ich bin dann mal joggen!
"Was hab ich davon?"
Da blieb dann den übrigen Teilnehmern für einen Moment die Luft weg. Der 29-jährige Student Lenny war der erste, der seine Worte wiederfand: "Ist das dein Ernst, Hans?". Und brachte sogleich seine Interessenlage auf den Punkt: "Was hab ich davon?" Was natürlich auch wieder viel verrät: Kritik am egoistischen Verhalten anderer mit dem Verweis auf den fehldenden Eigennutz zu kontern - das wird eine schöne neue Welt!
Schon nach zehn Minuten offenbarte sich mehr Konfliktpotenzial als in den 16 lauen Nächten des diesjährigen Dschungelcamps, das von einer alles überlagernden Harmonieglocke eingeschläfert wurde.
Candy mit dem Biberschwanz
Spannend dürfte auch die weitere Gruppenanbindung von Candy werden. Man muss sich den 44-jährigen Politikwissenschaftler vorstellen wie Rainer Langhans ohne Kopfstand und ohne Harem. Dafür mit einem dicken Biberschwanz am Hinterkopf. Als bekennender Polygamist hat sich Candy einiges vorgenommen. Gruppendynamisches Verhalten und Mithilfe beim Aufbau des neuen Heims zählen allerdings nicht dazu. Während die anderen Pioniere ihr Lager bezogen und sich kennenlernten, schlief der Berliner in der Scheune. Ganz nach seinem Motto: "Jeder sollte das machen, wozu er Lust hat."
Und da Candy mit dieser ultra-hedonistischen Lebenseinstellung in Newtopia nicht allein steht, könnten die nächsten Wochen interessant werden. Denn noch haben sich die Weltverbesserer und Erzieher in der Gruppe nicht geregt.
Bräsiger Off-Kommentar
Störend ist allerdings die behäbige Inszenierung. Während im Dschungelcamp bissige Kommentare über das öde Geschehen hinwegtrösteten, überlagert ein bräsiger Off-Kommentar die Bilder: "Es ist nicht leicht, die Fassung zu bewahren mit so einer schönen Frau in der Nähe" - bei Sat.1 führt die Suche nach neuen Lebensformen offenbar direkt in die 50er Jahre. Dazu eine Filmmusik wie im dramatischen Finale eines Hollywood-Blockbusters - das kann RTL um Lichtjahre besser.
Dennoch: Das Casting ist gelungen. Für die Pioniere könnte die Suche nach einer idealen Gesellschaft letztlich im Sartreschen Jenseits enden. Denn auch da gilt: "Die Hölle, das sind die anderen."