Fernsehen als Lebenshilfe Warum Coachingformate so erfolgreich sind

Von N. Draxlbauer, K. Hamberger
Sie erziehen Kinder, helfen bei der Jobsuche, beim Abnehmen oder aus der Schuldenfalle. Die Coachingformate der Privatsender sorgen für gute Quoten - selbst kleine Sender wie Kabel eins mit "The Biggest Loser". Doch warum sind diese Sendungen so erfolgreich?

Sie wälzen sich im Dreck, kämpfen gegen Kilos und gegen sich selbst. 16 übergewichtige Kandidaten haben seit Wochen auf Kabel eins einen harten Abnehmmarathon in der Show "The Biggest Loser - Abspecken im Doppelpack" bestritten. Bis zum Finale hat Boxerin Regina Halmich als Teamchefin ihre schwergewichtigen Schützlinge zum Fasten gebracht - die Waage immer kritisch im Blick. Von schmerzverzerrten Gesichtern bis hin zu Heulkrämpfen wurde in dieser Dokutainment-Sendung alles an Emotionen geboten.

Die großen Privatsender haben gezeigt, wie es geht: Nannys, die prügelnde Kinder erziehen, Schuldnerberater, die arme Schlucker aus der Schuldenfalle ziehen, Sterneköche, die runtergekommene Kaschemmen in Gourmettempel verwandeln. Auch Kabel eins hat den Trend erkannt: Mit dem Abspeck-Coachingformat wurde bei den 14-bis 49-Jährigen durchschnittlich gut sechs Prozent Marktanteil erreicht - etwas über dem Senderdurchschnitt, zum Finale kletterte die Quote wieder auf über sieben Prozent.

Für gute Quoten von 17,3 Prozent sorgte 2009 bei RTL "Die Super-Nanny": Im Schnitt schalteten pro Sendung 3,18 Millionen Zuschauer ein. "Rach, der Restauranttester" kassierte dieses Jahr sogar die Goldene Kamera für die beste Coachingsendung. In seiner vierten Staffel lag Sternekoch Christian Rach mit 22 Prozent Marktanteil weit über dem Senderdurchschnitt von RTL. Doch warum schalten die Leute bei solchen Sendungen ein?

Das Erfolgsrezept der Coachingformate

Wenn übergewichtige Menschen durchs Bild laufen, ist dies ein Hingucker, bei dem Zapper gerne hängen bleiben. Voyeuristische Motive spielen eine gewisse Rolle, doch den Vorwurf, dass die übergewichtigen Kandidaten nur vorgeführt werden, weist Kabel-eins-Sprecherin Daniela Allgayer-Koreimann von sich: "Ganz bestimmt nicht. Dafür sind unsere Kandidaten viel zu sympathisch und selbstbewusst." Doch der netteste Mensch kann durch eine unvorteilhafte Kameraeinstellung zur Lachnummer werden, wenn der Bauch beim Springen unter dem T-Shirt hervor lugt.

Tiefe Einblicke ins Privatleben bekam man als Zuschauer erst Anfang der Neunziger, als sich ProSieben, RTL und Sat.1 mit Talkshows ins normale Leben von normalen Menschen wagten. "Damals ging ein Aufschrei durch die Nation. Wenn man sich das heute anschauen würde, würde man denken, was ist das für eine lahme Veranstaltung", sagt Medienpsychologin Bettina Fromm von der Universität Köln. Die Talkshows wurden von den Gerichtsshows abgelöst, die mit schlechten Laiendarstellern und halbseidenen Geschichten das Nachmittagsprogramm füllten. Doch es fehlte an Authentizität, an echtem Leben und an Einschaltquoten. 2008 setzte RTL alle Gerichtsshows ab. Übrig blieben nur noch "Richter Alexander Hold" und "Richterin Barbara Salesch" auf Sat.1.

Nach den Gerichtsshows kamen die Coachingformate

Es war die richtige Zeit für ein neues Format mit starken Persönlichkeiten: die Coachingsendung. Charaktere wie Peter Zwegat oder Katia Saalfrank, die glaubwürdig und sympathisch rüberkommen, wurden engagiert. Die Geschichten liegen auf der Straße, denn Menschen mit Geld- und Erziehungsproblemen gibt es genug. Das Geld für Studio und Promi-Gagen kann sich der Sender sparen, schließlich spielen normale Menschen die Hauptrolle. "Natürlich sind Coaching-Formate in der Produktion billiger als eine fiktionale Serie oder eine große Show", sagt RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer. Zum Vergleich: Der deutsche Spielfilm von Sat.1 "Die Grenze" kostete rund acht Millionen Euro, dagegen wirken 25.000 Euro Belohnung für den Gewinner von "The Biggest Loser" eher wie Trinkgeld.

Im Privatfernsehen gilt das Prinzip: Je günstiger produziert werden kann, desto besser. Denn in Zeiten der Krise steht Effizienz auch bei Fernsehsendern an oberster Stelle, für Experimente bleibt nur wenig Spielraum. Dass sich das Interesse der Zuschauer nicht immer mit den finanziellen Zielen der Fernsehsender deckt, davon geht Medienökonom Christian Steininger aus: "Wenn Zwegat das Zehnfache kosten würde, würde er nicht produziert werden, auch wenn die Quote stimmt." Günstige Produktionskosten und Quotenrenner: Die Coachingformate besetzen die besten Sendeplätze in der Prime Time, wo man vor allem das kaufkräftige Publikum erreichen will. Denn wer hohe Einschaltquoten hat, der kann auch Werbeplätze teuer verkaufen. Für einen 30-Sekunden-Spot während der Coaching-Sendung "Raus aus den Schulden" kassiert RTL zwischen 55.500 und 58.500 Euro.

Gerade hat die neunte Runde von "Die Super-Nanny" gestartet. Sieben neue Folgen, sieben neue Schicksale von Eltern, die mit ihren Kindern nicht klar kommen. Weiblich, unter 30, niedriges Einkommen und mindestens ein Kind. So sieht die durchschnittliche Zuschauerin von "Die Super-Nanny" aus. Dies fand Jürgen Grimm, Kommunikationswissenschaftler der Universität Wien, 2006 in einer Untersuchung heraus. Grimm kam zu dem Ergebnis, dass die Zuschauerinnen nicht aus Voyeurismus einschalten, sondern um sich zu informieren. Die vierfache Mutter Katia Saalfrank ist für viele Mütter Vorbild in Erziehungssachen.

Kindererziehung, Geld, Essen, Arbeit, Partnersuche. Die Themen der Coachingsendungen decken sich mit den alltäglichen Bedürfnissen der Zuschauer. Das macht die Sendungen so beliebt. Die Zuschauer vergleichen ihr Leben mit den Menschen, die ihr Leben im Fernsehen ausbreiten und fragen sich: 'Kann ich genauso schlecht mit Geld umgehen? Warum hört mein Kind nicht auf mich?' Für viele Zuschauer sind die Coachingformate eine praktische Lebenshilfe. "Man kann davon etwas lernen, oder es geht einem besser, oder man ist eben nicht allein mit seinem Problem", sagt Medienpsychologin Bettina Fromm. Auch Jugendliche, die sich in den Neunzigerjahren Talkshows ansahen, würden die Inhalte dieser Sendungen für ihr eigenes Leben nutzen: um ihre Identität zu bilden, sich zu unterhalten, zu orientieren und zu informieren. Zu diesem Ergebnis kam Kommunikationswissenschaftlerin Ingrid Paus-Hasebrink in einer Untersuchung im Jahr 2001.

Realität oder Inszenierung?

Doch bei all den positiven Aspekten der Coachingformate, von denen Zuschauer und Sender profitieren, ist es für Protagonisten oftmals riskant sich ins Fernsehen zu begeben, sie unterschätzen die Wirkung. Das echte Leben wird durch die Auswahl bestimmter Szenen und Schnitt inszeniert und damit auch verfälscht. Wer sich mit seinen Problemen ins Fernsehen begibt, tut dies auf eigene Gefahr. Nach der Sendung sind die Protagonisten wieder auf sich allein gestellt. Wie beim Jo-Jo-Effekt verschwinden die Probleme für kurze Zeit, aber aus der Welt schaffen Coachingsendungen sie bestimmt nicht.

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