Was wurde gemäkelt über die Küsse zwischen William und Kate auf dem Balkon des Buckingham Palastes. Das sollen Märchenküsse eines Märchenpaares gewesen sein? Diese knappe Verabschiedung eines Sparkassenangestellten von seiner Frau, bevor er morgens zur Arbeit fährt? Mancher Kritiker wird sich gestern Abend die keusche Knutscherei der Royals zurückgewünscht haben. Denn bei Gottschalk wurde so feuchtfröhlich durchgewischt, dass einem glatt die Chipstüte aus der Hand fiel.
Man muss sich das mal vorstellen: Ein Mann knutscht mit Autoreifen. Er fährt mit seiner Zunge über das Profil, presst seine Lippen in die Ritzen und leckt das Gummi sauber. Alles in Großaufnahme, Porno zur Primetime. Dass die Angelegenheit nicht einen doch zu frivolen Zungenschlag bekam, war allein dem Gastgeber zu verdanken. Gottschalk at his best. "Wenn du noch lange machst", rief er dem Schleckermaul zu, "gibt‘s Aquaplaning." Und als er ahnte, dass die Sache kein erfolgreiches Ende nehmen würde, riet er ihm: "Hier ist der Name, willst du mal drüber lecken?"
Mit der Zunge Reifen geleckt
Vier von 30 Reifenherstellern wollte der Kandidat kraft seiner Zunge ermitteln. Seine Spucke reichte nur für einen. Trotzdem gehörte diese Wette zu den originelleren in den letzten Jahren und stellte mühelos einen Besteck-Verbieger, einen Eier-Umbläser und zwei Zahnpasta-Ertasterinnen in den Schatten. Lediglich die Kunststücke eines angehenden Lehrers waren ähnlich unterhaltsam. Der tanzte mit seinen Schulterknochen Rock 'n' Roll, und seine Freundin musste herausfinden, zu welchem Lied. Früher verdienten solche Leute auf dem Jahrmarkt ihr Geld.
Gestern ging die letzte reguläre Ausgabe von "Wetten, dass...?" über den Sender. Sie war so wie immer: wahnsinnig langweilig. Doch die Langeweile hat bei der immer noch größten Show Europas nostalgischen Charme, ja, geradezu pädagogischen Wert. Man kann der heranwachsenden Generation anhand von "Wetten, das...?" demonstrieren, wie Fernsehunterhaltung früher funktionierte. Mit ellenlangen Leerzeiten nämlich, in denen nichts passiert, umständlichen Begrüßungen und endlosen Gängen von der Couch zur Bühne und zurück. Oder auch mit Gags, die nicht von Gagschreibern ersonnen und optimiert wurden. "Wetten, dass...?" ist so altmodisch wie Filterkaffee in einer Welt der Pads und Kapseln.
Gottschalk wirkt gelöst und konzentriert
Thomas Gottschalk tut gut daran, diesen rostigen Dampfer zu verlassen. Und die Entscheidung hat ihm offensichtlich gut getan. Er wirkt gelöst und konzentriert und nicht mehr so fahrig und desinteressiert wie in den Shows davor. Es scheint, als wolle er die Sache zu einem guten Ende bringen. Zwar war auch gestern sein Couchgeplauder bar jeder Substanz – Whoopi Goldberg irritierte er mit der Frage, was denn Frauen dazu bringen würde, Nonne zu werden ("Keine Ahnung") –, es ließ aber zumindest die Vermutung zu, dass ihm dieser ganze Promiquatsch inzwischen auch einfach ziemlich egal ist. Den Opernstar Erwin Schrott, der mit seiner Lebensgefährtin Anna Netrebko zu Gast war, führte er mit den Worten ein: "Nach ihm ist in fast jeder deutschen Stadt ein Platz benannt". So einen Spruch hätte sich nicht mal Harald Schmidt getraut.
Ein grobes Versäumnis unterlief Gottschalk dann aber doch: Er schmiss Désirée Nick nicht raus. Die "Dschungelkönigin" von 2004 lieferte einen oberpeinlichen Auftritt ab. Erst delirierte sie über das Copyright auf die Prinzenhochzeit ("Das britische Königshaus ist durch und durch deutsch. Eigentlich war das unsere Hochzeit"). Dann präsentierte sie ihre ganz eigene Sicht auf die Kirchengeschichte ("Die Fröhlichkeit kommt aus den Klöstern") und haute Hugh "Dr. House" Laurie einen Eierbecher auf die Nase. Und als niemand mehr ihren dauernden Zwischenlispeleien Gehör schenken wollte, okkupierte sie die Aufmerksamkeit mit blanker Gewalt: einer Gesangseinlage, die Erwin Schrott noch breitere Schweißränder unter die Achseln malte.
Gottschalk griff nicht ein, sondern beließ es bei einem ratlosen "Da staunste!" Er hätte Nick zumindest dieselbe Frage stellen können, die er an den Reifenknutscher gerichtet hatte: "Bist du als Kind mal vom Auto überfahren worden?"