Ist eine Mutter, die ihrem Baby nicht die Brust gibt, sondern das Fläschchen eine schlechte Mutter? Hat sie ihr Kleines nicht lieb genug? Und wie begründet eine, dass sie lieber mit dem Kind zuhause bleibt statt es in die Krippe zu geben? Und dass sie keinen After-Baby-Body hat wie Herzogin Kate, ist das tatsächlich ihr Ernst?
Keine Frage: Mütter stehen unter Druck. Und nicht nur die. Eine ganze Gesellschaft ist rund um die Uhr damit beschäftigt, sich und die anderen zu beobachten, zu kontrollieren, zu vermessen, zu prüfen. Infiziert von der Selbstoptimierungs- und Wettbewerbsideologie heißt es dann: Daumen hoch - oder Daumen runter. Bei Heidi Klum läuft es nicht anders. Sie macht's wie wir und sagt's dann so: "Hier ist dein Foto". Oder: "Ich habe heute leider kein Foto für dich."
Bravo: Heidi ist also gut in die Gesellschaft integriert. Aber lieb hat sie trotzdem nicht jeder. Der Ikonenstatus bei einer Beauty-Schar junger "Mädschen" ist ihr zwar sicher, andere aber, die Feministinnen, die Psychologen, die Geht-Gar-Nicht-Sager, holen zum obligatorischen GNTM-Bashing aus. Nach dem Auftakt der zwölften Staffel von "Germany's Next Topmodel" am 9. Februar ist die selbsternannte Model-Mama wieder jeden Donnerstag im TV präsent.
Heidi Klum zeigt, wie's geht
Heidi, die mit der superguten Laune. Kreischend die Stimme, knapp der Rock, die Brüste sitzen. Auf High Heels hat sie sich ganz nach oben gestöckelt. Heidi sagt sich, ich träume nicht rum, ich lebe meinen Traum. Das ist doch was. Da sollte man ihr gratulieren. Ist doch so, Frau soll Karriere machen, nicht vor dem Kochtopf knien, das ist das Mantra. In die Chefetage aber schaffen es die wenigsten. Typisch stattdessen: Das Fahren mit angezogener Handbremse.
Laut einer Studie reden Frauen beispielsweise rund 20 Mal häufiger als Männer über ihre Schwächen als über ihre Stärken und Erfolge. Und immer noch wahr: Durchschnittlich verdienen Frauen 22 Prozent weniger als Männer. Und da kommt eine wie Heidi und zeigt wie's geht. Clever, tüchtig, Geschäftsfrau. So aber haben es sich die Feministinnen nicht vorgestellt. Du sollst unabhängig sein vom Mann, du sollst dich auf eigene Füße stellen - aber doch bitte nicht in Louboutins. Und gefälligst ohne Mascara, ohne Wackelhintern und ohne Dekolletee. Merke also: Wenn nicht gerade ein Mann in der Nähe ist, um der Frau ein Bein zu stellen, erledigen das die Damen hübsch brav untereinander.
"Kaltschnäuzige Schar-Führerin" hat Frauenrechtlerin Alice Schwarzer die Klum einmal genannt. Wegen ihrer erbarmungslosen, gebieterischen Strenge den Model-Anwärterinnen gegenüber. Heidi, pfui, geh zurück auf Los und begib dich ins Liebe-Mädchen-Syndrom. Epilier' dir lieber die Beine anstatt den Nachwuchs emotional zu guillotinieren. Könnte man sagen. Allein: Dass man sich in seinem Job anpassen soll und bloß nicht aufmucken, ist keine GNTM-Erfindung. Würde man eine Umfrage unter Deutschlands Arbeitnehmern machen, was käme da wohl raus? So scheußlich es auch ist, Heidi tut nichts weiter als die Mädchen auf die Gnadenlosigkeit des kapitalistischen Systems vorzubereiten.
Nur eine kann Germany's Next Topmodel werden
"Survival of the Fittest" bedeutet im Sinne der Darwin'schen Evolutionstheorie das Überleben der am besten angepassten Individuen - und nicht etwa der stärksten. Der Kapitalismus lehrt, wie das geht. Disziplinierung und „Integration“ sollen die totale Verfügbarkeit gewährleisten, um die Maschinerie funktionstüchtig zu halten. Unter der Parole "Nur eine von euch kann Germany’s Next Topmodel werden" dann die nächste Lektion: Konkurrenzkampf, jeder gegen jeden. Sich also als am besten Angepasster durchsetzen können. Heidi, und nicht nur die, nennt das dann "Persönlichkeit". Um die Täuschung komplett zu machen, geht es darum, sich wie ein Individuum zu fühlen und nicht zu merken, dass man gerade davor Angst hat und eigentlich ein Konsumprodukt ist.
Heidi tut nichts weiter als uns vorzuführen, wie es ohnehin läuft. Auch in der Mode. Sie lässt uns nicht weiterträumen, dass wir im Grunde alle Körpermaße auf den Laufstegen akzeptieren. Wir tun es nämlich nicht. Wir akzeptieren ja nicht mal unseren eigenen Körper, sondern trainieren und formen ihn, rennen ins Fitnessstudio und essen abends lieber nur eineinhalb Salatblätter statt drei. Letzteres gilt vor allem für Frauen. Man könnte schimpfen, genau das habe uns doch die Heidi eingebrockt, dieses überzogene Schönheitsideal. Wer das wirklich glaubt, sollte sich fragen, warum er sich einem Klum'schen Diktat unterwirft. Ja, warum er überhaupt macht, was andere sagen. Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek behauptet, dass Frauen ohnehin angepasst an den männlichen Blick leben.
Nur ein Ablenkungsmanöver
Dieses ständige Gefühl, nicht zu genügen. Das beschreibt auch Sonja Vukovic in ihrem Buch "Gegessen". Sie litt an Magersucht. Ja, das ist eine Krankheit, eine lebensbedrohliche, die uns ebenfalls von GNTM eingebrockt wurde. Angeblich. Wobei: Nicht ausschließlich. So genau weiß man es eben nicht. Erkenntnisse aus der Psychotherapie stehen neben Daten aus Neurobiologie und Genetik, aber von einem schlüssigen Gesamtbild kann keine Rede sein. Doch es ist bequem, und es tut auch weniger weh, GNTM verantwortlich zu machen. Dass die Auslöser tiefer liegen, legt ein anderes Zitat von Vukovic nahe: "Die Magersucht wurde zu meinem Schutzschild. Sie betäubte, was verborgen bleiben musste, solange ich noch nicht in der Lage war, mich dem zu stellen, was sie ausgelöst hatte." Und: "Sie gab mir das absurde Versprechen, wenn ich nur dünn genug bin, gut genug, dass ich irgendwann geliebt werde."
Letztlich wollen wir das alle: geliebt werden. Bedingungslos. Als die, die wir sind. Doch mit ihrer Show führt uns Heidi Klum vor, dass es so eben im Leben nicht läuft. Und, verdammt, das tut weh. Auf GNTM einzudreschen ist daher nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver.