"Markus Lanz" Virologe Streeck warnt vor "Impf-Mobbing" wegen 2G – und keinen interessiert's

Von Sylvie-Sophie Schin
Markus Lanz mit seinen Gästen Eva Quadbeck, Hendrik Streeck, Peter Tschentscher und Wiebke Winter
Markus Lanz (l.) mit seinen Gästen Eva Quadbeck, Hendrik Streeck (r.), Peter Tschentscher und Wiebke Winter
© Screenshot ZDF
Ungeimpfte Kinder würden auf dem Schulhof gemobbt, warnt Hendrik Streeck in der ZDF-Talkrunde von Markus Lanz. Doch mit dieser Meinung steht der Virologe ziemlich allein da.

Hamburg prescht vor: dort gilt seit Samstag das 2G-Optionsmodell. Gastronomiebetreiber können demnach entscheiden, nur noch Geimpften und Genesenen Zugang zu gewähren. Die Corona-Auflagen fallen dadurch weitgehend weg. Doch: Was signalisiert die Umsetzung von 2G?

Hendrik Streeck zeigte sich am Dienstagabend bei Markus Lanz alarmiert: "2G gibt eine Legitimierung, dass man Geimpfte und Ungeimpfte unterschiedlich behandeln darf." Und das wirke hinein bis in Deutschlands Schulhöfe. Der Virologe berichtete von der Begegnung mit einem 14-Jährigen in Berlin, der, anders als seine Freunde, unsicher sei, sich impfen zu lassen: "Er wurde von den anderen gemobbt, weil er den Impfpass nicht vorzeigen konnte." Streeck machte deutlich, dass die Politik damit "Impf-Mobbing legitimiert". Die anderen Talkgäste reagierten darauf gar nicht oder empathielos – ein bestürzender Talk-Show-Moment.

Impf-Mobbing: "Das regeln die Kinder untereinander"

Die Talkgäste in alphabethischer Reihenfolge:

Impf-Mobbing! Wollen wir das an unseren Schulen? Wollen wir das in unserem Land? Wiebke Winter hatte nur ein Stirnrunzeln für die Bedenken Streecks übrig. Es schien, als würde sie das für übertrieben halten. Eva Quadbeck sagte ungerührt: "Druck auf dem Schulhof gibt es ja bei allen Themen." Unter anderem bei Markenklamotten. Was für ein absurder Vergleich! Streeck versuchte ihr deutlich zu machen, und blieb dabei bewundernswert gefasst, dass es sich bei Mobbing wegen Markenklamotten und wegen des Gesundheitsstatus' um völlig andere Themen handle.

Quadbeck blieb weiter unbeeindruckt: "Wo es sozialen Ausschluss auf dem Schulhof gibt, können Sie nicht bestimmen. Das regeln die Kinder untereinander." Was so klang, als müsste man Mobbing ohnehin hinnehmen. Peter Tschentscher räumte gegenüber Streeck zwar ein, wenn auch emotionslos, er fände es "erschreckend, was Sie berichten". Diskriminierung sei "nicht das Ziel von Politik".

ntv-Reporterin Doro Steitz spricht über die neue Corona-Virusvariante aus Südafrika.
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© n-tv.de
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Hamburger Bürgermeister: Welt nicht nur aus der Sicht der Ungeimpften beurteilen

Streeck wiederum machte nochmal deutlich, dass es dennoch ein "Effekt" der 2G-Regelung sei. Er fände schwierig, dass so was entsteht.  Überhaupt, was wolle man denn eigentlich mit 2G erreichen? "Es besteht kein medizinischer Notstand, daher wirkt das wie etwas, mit dem man den Druck auf Ungeimpfte erhöht." Auch Lanz verwies auf eine "unglaublich polarisierte Gesellschaft". Der SPD-Politiker wehrte sich: "Was sollen wir denn machen." Es sei auch aus rechtlichen Gründen nicht mehr haltbar, Geimpfte und Genesene einzuschränken. Die Welt dürfe nicht nur aus der Sicht der Ungeimpften beurteilt werden. 300 Veranstalter und Betreiber hätten das 2G-Modell bisher angenommen: "Unsere Erfahrung ist: es funktioniert."

Dass er sich dennoch in einem Dilemma befindet, darauf wollte er nicht eingehen. Ob ihm wirklich nicht klar ist, welche angespannte gesellschaftliche Atmosphäre durch die Corona-Politik befördert wird? Man sollte an dieser Stelle Michel Foucault erwähnen. Der französische Philosoph prägte den Begriff der "Mikrophysik der Macht", wonach eine Macht sich durch ein Netz von Praktiken normierend und disziplinierend bis in die kleinsten Verästelungen des Gesellschaftskörpers auswirke.

Auch Alena Buyx vom Ethikrat, die regelmäßig beim Lanz-Talk dabei ist, warnt schon seit Monaten vor einer drohenden Spaltung der Gesellschaft und appellierte an die Politiker, die "temporär ungerechte Situation" ernst zu nehmen.

Streeck: Druck auf Impfunwillige ist der falsche Weg

Streeck packte auch andere ungemütliche Themen an. Er bekomme täglich um die drei Dutzend E-Mails von Bürgern, die in Bezug auf die Impfung Angst und Skepsis empfänden. Auch wenn es richtig und wichtig sei, die Impfung zu empfehlen, auf diese Menschen Druck aufzubauen, sei der falsche Weg. Zudem müsse man deutlich sagen, was der Impfstoff kann und was nicht. "Es ist kein ehrliches Narrativ, wenn wir sagen, wir halten damit die Pandemie runter, die Impfung ist vor allem ein Eigenschutz." Herdenimmunität sei damit nicht erreichbar. Tschentscher widersprach ihm: "Die Geimpften schützen die anderen mit."

Dabei hatte er vor allem die Situation in den Krankenhäusern im Blick: "Wir müssen aufpassen, dass das Gesundheitssystem nicht belastet wird." Daran sei sicher jeder interessiert. Man steuere auf diese Gefahr im Herbst wieder zu. In den Krankenhäusern würden bereits jetzt vor allem die Ungeimpften liegen. Und auch die Inzidenz der Ungeimpften liege in Hamburg mit 200 mehr als doppelt so hoch wie die Gesamtinzidenz.

Wiegen sich ungetestete Geimpfte in falscher Sicherheit?

Uneinigkeit bei dem Politiker und dem Virologen auch bei der Frage, ob die Ungeimpften sich nicht erst recht ins Private zurückziehen würden, etwa zum gemeinsamen Fußballschauen, und es dann dort, wie Streeck meinte, zu "unkontrollierbaren Großausbrüchen" kommen würde. "Diese Befürchtung habe ich nicht", so Tschentscher, der anderswo einen "Unsicherheitsfaktor" einräumte: "Die Geimpften werden nicht so oft getestet wie die Ungeimpften." Streeck findet das schwierig, gerade im Herbst und im Winter: "Das ist die volatile Phase." Ungetestete Geimpfte könnten sich in falscher Sicherheit wähnen und das Virus weitergeben.

Laut der sogenannten REACT-Studie erkrankten vollständig Geimpfte zwar seltener – "eine Reduktion um das Dreifache"doch zu einer Infektion mit SARS-CoV-2 könne es trotzdem kommen. Für eine gewisse, wenn auch kurze Zeit, hätten Geimpfte und Ungeimpfte bei einer Infektion die gleich hohe Viruslast im Rachen.

Mitglied des CDU-Bundesvorstand bezeichnet Olaf Scholz als Marionette einer linken Strömung

Apropos Last. Die CDU und damit ihr Kanzlerkandidat Armin Laschet befinden sich bekanntlich in einem Umfragetief. Wie da rauskommen?  "Wir werden kämpfen", verkündete Wiebke Winter. Was sollte sie auch sonst sagen. Die 25-Jährige wurde erst vor wenigen Tagen in Laschets Wahlkampfteam zum Thema Klimapolitik berufen. Zu ihrer großen Freude, sie könne sich da sehr mit ihren Ideen einbringen: "Armin Laschet hört zu, er nimmt einen wahnsinnig ernst, ein absoluter Teamplayer." Erwartungsgemäß kickte sie gegen den SPD-Kandidaten: "Die Partei will ihn nicht mal als Vorsitzenden haben." Die SPD tue so, als wäre sie nur Olaf Scholz. Dabei verstecke sich hinter ihm ein ganzes Team. Er sei lediglich eine Marionette, insbesondere der linken Strömungen. Siehe beispielsweise Kevin Kühnert.

Natürlich durfte die Frage nicht fehlen, und sie ging an Tschentscher, warum Scholz sich nicht eindeutig gegen eine Koaliton mit den Linken ausspricht. Lanz biss sich daran regelrecht fest und drängte auf eine Antwort. Tschentscher blockte das entschieden ab. Ohnehin würden sich vor allem Journalisten für Koalitionsfragen interessieren, aber nicht die Bürger. "Sie wollen nicht die Geißel von Christian Lindner sein", schlussfolgerte Lanz irgendwann.

Er hätte noch viel mehr Stoff gehabt, um Tschentscher in die Mangel zu nehmen und brisante Themen in Bezug auf Scholz anzusprechen. Tat es aber – warum auch immer – nicht. Etwa die Wirecard-Affäre, das katastrophale Management des G20-Gipfels und den Warburg-/Cum-Ex-Skandal. Dabei ist das Thema frisch: Tschentscher sah sich just erst am Freitag Vorwürfen innerhalb des Parlamentarischen Untersuchungsausschusse zum Cum-Ex-Skandal ausgesetzt. Warum also hat die SPD trotz der offensichtlichen Vorwürfe, die Scholz zu machen sind, so hohe Zustimmungswerte? Dazu wiederum gab es ein Fazit aus der Talkrunde: er mache schließlich neuerdings die Merkel-Raute und sei auch sonst "wie Angela Merkel".

yks

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