Es ist ja so, dass man Dinge von früher gern mal heftig verklärt. In der Erinnerung sind sie größer, schöner und erhabener als heute. Das ist zum Beispiel oft mit Filmen so. Als Kind ist man eben kein Cineast. Nehmen wir die sehr erfolgreichen Karl-May-Verfilmungen. Beeindruckende Werke aus der Periode des cineastischen Holzschnitts. Grob zusammengezimmert mit dem dramaturgischen Schwingschleifer unter bewusster Auslassung jeglicher Zwischentöne. Die Helden, Winnetou und Old Shatterhand, wurden gebraut nach einer Art cineastischem Reinheitsgebot: Da durfte nix rein außer Heldenmut, edler Gesinnung und Blutsbrüderschaft. Den Rest verkörperten früher Typen wie Klaus Kinski. Humor hatten die Helden auch nicht. Dafür waren zu der Zeit Eddie Arend und Ralf Wolter zuständig, die ältesten Vertreter des humoristischen Pleistozäns, einer Zeit, als man die Pointen noch mit dem Faustkeil schnitzte. Witz komm' raus - du bist umzingelt.
Winnetou war so stark, so langhaarig
Aber das war einem damals als kleiner Junge oder Mädchen alles total egal. Solange er nur mitspielte: Pierre Brice. Als Winnetou, der tapfere Häuptling der Apachen. Ein dermaßen großartiger Held, dass einem der milchzähnige Mund dauernd offen stand. So gut aussehend. So stark. So aufrecht. So langhaarig. Er sprach von sich nur in der dritten Person wie ein König ("Winnetou sieht viele Reiter kommen.") Und dann immer diese Musik. Gänsehaut-Garantie, wenn die ertönte und der edle Hippie-Häuptling um einen Felsen bog auf seinem Pferd Iltschi. Das heißt Wind.
Man kann sich in dieser Rolle einfach niemanden anderen vorstellen als Pierre Brice. Er war perfekt. Nur Leonard Nimoy als Mr. Spock hat es später noch mal geschafft, mit einer Rolle so zu verschmelzen. Die deutsche Synchronisation der Filme tat ein Übriges. Diese sanfte Stimme, mit der Winnetou seine hehre Ureinwohner-Poesie in die Prärie säuselte. Ohren-Massage. Man wollte den Mann am liebsten "Wonnetou" nennen.
Selbst der französische Akzent sei ihm verziehen
Wer konnte ahnen, dass sich hinter der Sprecherstimme ein Mann versteckte, der "Äuptling" statt "Häuptling" sagte. Das merkten die meisten von uns erst, als Pierre Brice 1987 die Rolle seines Lebens auch bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg übernahm. Gut sah er da immer noch aus. Aber - Holy Shit - der Apache radebrach und klang wie Mireille Matthieu. Winnetou war in Wirklichkeit "Chief Baguette". Ein Franzose. Okay, wir hätten es wissen können: Der Name Pierre Brice klang nicht wirklich nach indigenem Amerikaner.
Aber eigentlich war es dann auch wieder egal. Nichts, was Pierre Brice machte, konnte den Winnetou in unseren Köpfen beschädigen. Selbst der grausige Song "Ribanna" nicht, den Brice 1965 als Sänger zum Besten gab. Marterpfahl-Pop der übelsten Sorte. Egal. Weghören und in Erinnerungen schwelgen, heißt das Motto. Das tun wir hier jetzt wieder. Denn Pierre Brice, unser edler Indianer der Herzen, wird heute 85. 'erzlischen Glückwunsch, mon Winnetou! Mögest du noch lange nicht in die Ewigen Jagdgründe entschwinden.