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"Tatort"-Kritik Die Kinderleiche im Neckar

Der raubeinige Hamburger und der smarte Ehrgeizling, dazu noch zwei rassige Damen mit Migrationshintergrund: Um die Ära der schwäbischen Behäbigkeit von Kommissar Bienzle zu beenden, hat der SWR scharfe Typen, schnelle Autos und eine Kinderleiche aufgefahren.
Von Kathrin Buchner

Er redet ungern über sein Privatleben, kommt mit leichtem Gepäck von Hamburg nach Stuttgart, steht auf Porsche, hat ein Projektil auf seinem Schreibtisch und eine Vergangenheit als Undercover-Ermittler. Nicht ganz so mürrisch wie Bienzle ist er wohl, aber zumindest in der Wortkargkeit sind sie sich nicht unähnlich, der alte und der neue Stuttgarter Kommissar Thorsten Lannert, gespielt von Richy Müller. Ein Ermittler in bester Schimanski-Tradition, raubeinig, unkonventionell und hemdsärmelig, einer, dem Autoritäten und Dienstvorschriften egal sind, der einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit hat und der den Fuß ungern vom Gaspedal nimmt.

Damit der Testosteron-Spiegel erträglich bleibt, hat dieser Lannert einen Partner bekommen. Sebastian Bootz (Felix Klare) ist ein zartgliedriger Emporkömmling mit ebenmäßigem Teint und Ehrgeiz, ein Durchstarter mit Bilderbuch-Familie, hübscher Frau und zwei niedlichen Kindern.

Der raubeinige Fischkopp und der smarte Karrierist. Das ist das neue Ermittler-Duo für Stuttgart, die gegen die schwäbische Behäbigkeit Bienzles antreten. Ergänzt wird das Herren-Duo von zwei schneidig-rassigen Damen mit Multi-Kulti-Hintergrund: Staatsanwältin Emilia Alvarez (Carolina Vera) und Kriminaltechnikerin Nika Banovic (Miranda Leonhardt). Das Interesse für das neue Power-Duo war groß: 7,9 Millionen Zuschauer sahen zu, so viel wie bei keinem anderen "Tatort" in diesem Jahr.

Auch die Thematik des ersten Falles in der "Tatort"-Folge "Hart an der Grenze" entspricht dem Zeitgeist: Es geht um illegale Adoptionen, womit sich zahlungswillige Paare gehobenen Alters ihren Kinderwunsch verwirklichen. Tragische Geschichten von verzweifelten Paaren, die von skrupellosen Geschäftsmännern ausgenommen werden. Eines dieser Kinder landet als Leiche im Neckar, was Lannert und Bootz auf die Spur von Kinderhändlern bringt.

Miami-Vice-Flair in der Schwaben-Metropole

So modern das Thema ist, so konventionell ist die Umsetzung der Geschichte: Am Anfang ist die Leiche, dann werden Verdächtige verhört, ein paar pseudo-moralische Floskeln werden mit skrupellosen Geschäftemachern ausgetauscht, "goldene Nase mit der Not der Menschen verdienen", es gibt eine rasante Verfolgungsjagd, im Zuge derer Lannert den schicken Sportwagen schwäbischer Herkunft der Staatsanwältin zu Schrott fährt - ein bisschen Miami-Vice-Flair in der Schwaben-Metropole. Und die bösen Kinderhändler kommen aus dem Osten.

Knie tätschelnd auf dem Adoptions-Sofa

Die schönste Szene des gesamten Krimis: Als die beiden Kommissare sich als schwules Pärchen ausgeben und für die Ermittlungen ihre Berührungsängste und ihr gockelhaftes Reviergehabe über Bord werfen, um sich auf der Couch der Adoptionsagentur gegenseitig die Knie tätscheln. Das hätte Bienzle nie zugelassen.

Trotzdem: Nur weil kein Schwäbisch mehr gesprochen wird und rasante Schlitten ums Stuttgarter Schloss rasen, ist noch keine Revolution geschehen. Dazu braucht es schon kreativere Inszenierungsideen. Die erste Lannert-Bootz-Folge ist ein Neustart, zweifelsohne, aber noch lange nicht der große Wurf.

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