Um eine Ahnung zu bekommen, wie sehr Thomas Gottschalk gerade leidet, muss man nur in den "Spiegel" schauen oder in die "Bild". Dort stehen seit Wochen Artikel, die anmuten wie Hilferufe. "Ja, es holpert noch!", verkündete Gottschalk gleich nach dem Start seiner neuen Sendung "Gottschalk Live". "Man darf in diesem Beruf keinen nervösen Magen haben", stöhnte er eine Woche später. Würde man ihm "Wetten, dass ...?" zurückgeben, wäre er nicht abgeneigt. Gottschalk wünsche sich dringend eine Co-Moderatorin, hieß es nun am Montag, damit er "nicht mehr Motor" seiner Show sein müsse. Am liebsten wäre ihm "eine möglichst unbekannte, freche, kluge Frau". Das las sich dann schon nicht mehr wie ein Hilferuf. Eher wie eine Kapitulation. Eine TV-Nation sieht ihrem Idol gerade beim Scheitern zu. 19.20 Uhr im Ersten, vier Tage die Woche. Es ist die wohl bisher spektakulärste öffentliche Selbstdemontage im deutschen Fernsehen.
Glaubt man den aktuellen Wasserstandsmeldungen aus der ARD-Führung, ist das Ende von Gottschalks Sendung längst beschlossen. Schon im April könnten die Intendanten den Stecker ziehen, berichtete am Mittwoch die "Süddeutsche". "Zukunftspläne über den März hinaus gibt es bei mir nicht", hatte Gottschalk noch im Dezember im Spaß erklärt. Damals war das Selbstironie, heute ist es Ernst.
Hüsteln und Fremdschämmomente
In Zahlen sieht das Desaster so aus: Die Sendung vom Dienstag sahen nur 0,99 Millionen Zuschauer, nicht mehr als 3,8 Prozent des TV-Publikums. Thomas Gottschalk, der mit "Wetten, dass..?" noch vor wenigen Monaten locker mehr als zehn Millionen Menschen vor die Fernseher holte, hatte diesmal nicht einmal halb so viel Zuschauer wie die biedere Kochsendung "Das perfekte Dinner" oder die billig zusammengekloppte Polizeiserie "K11". Und irgendwie kann man die Zuschauer verstehen.
Eine durchschnittliche Episode von "Gottschalk Live" gleicht einer losen Folge von peinlichen Fremdschämmomenten. In der Sendung vom Dienstag erzählt Gottschalk ohne Not und dringenden Anlass, dass er einmal seinen eigenen Sohn geschlagen hat. "Das ist verjährt und ich bekenne mich", rief Gottschalk. Als müsste man die betretene Stille im Studio noch extra verdeutlichen, erklang von hinter der Kamera ein lautes Husten.
In seinen Jahrzehnten bei "Wetten, dass ...?" hatte sich Gottschalk mit all seinem Gäste-Betatschen, dem hakeligen Moderationskarten-Ablesen und den immer barockeren Bühnenoutfits mit jeder Sendung mehr zur eigenen Karikatur entwickelt. In der ARD wirkt Gottschalk dagegen bisweilen wie die Karikatur auf einen ideenlosen Entertainer, der seinen Zenit schon lange überschritten hat.
Thommy, der traurige Clown
Die Cartoonserie "Die Simpsons" hat diesem Typ TV-Unterhalter mit der Figur des chronisch lustlosen Fernsehclowns Krusty ein Denkmal gesetzt. Manche Gottschalk-Ausgaben erinnern verdächtig an jene Episode, in der Krusty versucht, ohne Konzept 24 Stunden am Stück zu moderieren. Krusty unterhält sich nach wenigen Minuten mit einem Benzinkanister. Gottschalk interviewt zwar lebende Prominente wie Heino Ferch. Er sagt zu ihnen aber Dinge wie: "Eine Minute noch bis zum Wetter von morgen. Du kannst deine Familie grüßen" - in der Hoffung, der Gast möge doch statt seiner die 60 Sekunden Leere bis zum Wetterbericht füllen.
Die Macher von "Gottschalk Live" haben auf das Debakel reagiert und einen neuen Chefredakteur engagiert. Markus Peichl erklärte zum Antritt, Thomas Gottschalk sei wie ein Auto das zwar 300 PS Leistung habe, aber nur 40 PS auf die Straße bringe. Schuld sei das fehlende Konzept.
Auch wenn die offensichtliche Ideenlosigkeit der Redaktion wenig hilft, macht Gottschalk selbst tatsächlich derzeit wenig anders, als in seiner ganzen Karriere. Die Zuschauer erleben nicht nur das Scheitern eines Sendungskonzepts, sondern auch das Scheitern des Prinzips Gottschalk.
Gottschalk wurde in jungen Jahren groß, weil es ihm im behördengleichen Rundfunkbetrieb der 70er- und 80er-Jahre gelang, starre Konzepte zu durchbrechen. "Wetten, dass ...?" war unter seinem Vorgänger Frank Elstner eine piefige deutsche Spielsendung, mit elektronischen Punktetafeln, Abstimmungs-Pulten und furchtbar komplizierten Regeln. Gottschalk machte daraus einen heimeligen, netten Promi-Plauderabend auf dem kuscheligen Sofa.
"Moderator Gottschalk erschien insgesamt ebenso ratlos wie rastlos." Was klingt wie aus einer aktuellen Abendkritik über "Gottschalk Live", stand schon im April 1979 in der "Süddeutschen". Gottschalk machte damals seine ersten Gehversuche als TV-Moderator im Bayerischen Fernsehen. Offenbar hat sich Gottschalk weniger verändert als das Fernsehen um ihn herum.
Generationen an spontanen, lockeren Moderatoren sind seit Gottschalks Anfängen über die deutschen Bildschirme gezogen. In der wachsenden Landschaft der Privatsender schafften es Sendungen mit zunehmend schwammigen Konzepten ins Programm. War das Fernsehen in den 70ern zum Gähnen staatstragend, ist es in den vergangenen Jahren zwar locker aber auch beliebig geworden. Erfolgreiche Shows heben sich heute wieder durch ein festgezurrtes Konzept aus der Masse ab, wie "The Voice" oder "Wer wird Millionär". Wer am Ende moderiert ist zweitrangig.
Die FDP des deutschen Vorabendprogramms
Als Gottschalk in den 80ern "Wetten, dass..?" übernahm war er der richtige Moderator zur richtigen Zeit. Erst hatte er den verkopften deutschen Filmbetrieb mit fröhlich dilletantischen "Supernasen"-Filmchen aufgemischt, nun brachte er internationalen Glanz ins dörflich provinzielle deutsche Fernsehen. Auf du und du mit den Hollywood-Stars! Und in Malibu wohnte er auch noch!
Damals mögen sich viele Menschen im Land nach etwas Glamour gesehnt haben. Damals regierten dicke Männer in dicken Brillen die Republik. Heute wünscht man sich manchmal wieder Volksvertreter, die nicht jede Woche mit ihrer Frau in der "Bunten" erscheinen. Und harmlose TV-Moderatoren wie Markus Lanz. Nicht nur das Fernsehen hat sich verändert, sondern auch Deutschland. Nur Gottschalk, der ist immer noch derselbe. Fernsehen ist wie eine niemals endende Volksabstimmung. Ein Druck auf die Fernbedienung genügt. Und auch wenn es wehtut: Danach ist Thomas Gottschalk so etwas wie die FDP des deutschen Vorabendprogramms.