Ich kannte ihn. Wir waren Kollegen und - er "Bunte", ich stern - auch Konkurrenten. Aber es war etwas, was es heute nicht mehr gibt, es war eine Gentleman-Konkurrenz. Manchmal rief er an, "sag mal was weißt du denn über den? Du hast doch auch gehört dass der... Aber du kennst doch seine Ex-Frau, hat die mal... ?" und so weiter, es ging um Scheidung, Finanzamt und Sorgerecht, Name ist egal. Paul war ein Fuchs, er wusste genau, dass solche Geschichten im stern eher Beifang waren, er bot dann an, was er wusste. Oder zumindest hergeben konnte, weil es für die "Bunte" eher Beifang war. Einmal waren wir zusammen an einem großen Thema, ein Scoop könnte man sagen, aber es gelang nicht, uns fehlte die letzte entscheidende Information, das "smoking gun", wie die Amerikaner sagen.
Ich wusste natürlich genau, dass er es mir nicht verraten hätte, wenn er sie gehabt hätte. Die Beute will man dann doch alleine. Aber mit ihm war es ein großes Spiel, und richtig ernst nahmen wir die Menschen, über die wir sprachen, sowieso beide nicht. Das machte ihn, Paul Sahner, so unböse. Er war keiner, der zubiss, sondern mit seiner Art leise Schlingen legt, die er dann zuzog. Aber auch nie bis zum Ende, sondern nur soweit, dass es eine Geschichte wurde. Der badende Scharping, eines seiner Meisterstücke, hatte sich selbst entwürdigt, nicht Paul. Darüber sprachen wir öfter, auch in seiner damaligen Wohnung am Münchener Viktualienmarkt, und was ich nie vergesse, war die samtene Ruhe, in der Paul auch in hektischen Momenten blieb, als ob er das alles aus einem Lebens-Sessel heraus erlebte und machte.
"Sorry, Uschi Glas ist auf der Leitung"
Und selbst als Kollege tappte man in seine Falle, wenn er erst lange sehr persönlich von sich, seiner Frau und überhaupt über die Liebe sprach und ganz en passant "geht's dir auch so?" fragte. Und wenn man da "Ja" und noch zwei Sätze mehr sagte, war es ein Paul-Sahner-Interview aus dem es schwer war, wieder auszusteigen. Paul musste seine Prominenten auch nie lange bitten, sie kamen von selbst, manche in München bettelten richtig. Einmal rief ich ihn an, und er musste das Gespräch zweimal kurz unterbrechen, "warte einen Moment. Lothar Matthäus will etwas." Und dann, 10 Minuten später, "sorry, Uschi Glas ist auf der Leitung". Wenn Paul etwas mehr Sarkasmus in der Seele gehabt hätte, mehr Bosheit vielleicht, hätte aus ihm ein deutscher Tom Wolfe werden können. Das Wissen, wer mit wem warum für wieviel Geld in welchem Bett schläft, hatte er.
Aber Bosheit, noch nicht einmal eine Spur davon, war nicht seins. Er wäre nie auf die Idee gekommen, etwas zu enthüllen, sondern arbeitete immer daran, dass sich die Menschen vor ihm selbst enthüllten. Und sich hinterher auch noch glücklich bedankten. Das ist eine Technik, die es kaum noch gibt. Weil sie Geduld erfordert, Kenntnis verlangt und vor allem: Benehmen. Man bekommt nichts aus Prominenten heraus, wenn man sie verhört, wenn man sie foltert, bohrt und sie infrage stellt. Man kann diesen Berg Eitelkeit nicht wegsprengen, sondern muss sagen "schöner Berg" und über ihn hinübersteigen. In letzter Zeit rief Paul nicht mehr an, er war im Teil-Ruhestand. Ich hätte ihn bald einmal angerufen. Denn in der Geschichte, die wir einst nicht hinbekamen, gibt es Neuigkeiten. Glaube ich zumindest. Müsste ich Paul Sahner mal fragen, ob er das auch gehört hat.