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In Dnipropetrowsk spielen Kinder und Jugendliche. Die Motorräder bieten etwas Ablenkung, mitten im Kriegsgeschehen.
Ukrainische Soldaten im Donbas

Bewertung des Kriegsgeschehens Wenn der Wunsch den Blick auf die Wirklichkeit trübt: Ukraine-Experten und ihre falschen Prognosen

Militärexperten spielen eine wichtige Rolle bei der Deutung des Kriegsgeschehens in der Ukraine, auch für uns Journalisten. Doch gerade jene, die Russland schwach sehen, lagen mit ihren Einschätzungen häufig daneben – und sind trotzdem weiterhin gefragt. Unser Autor wirft einen kritischen Blick auf Prognosen, auch auf seine eigenen.
Excalibur-Granaten, Panzer und Raumgewinne: stern-Militärexperte erklärt Waffensysteme und Kriegsgeschehen

Ukraine-Krieg Excalibur-Granaten, deutsche Panzer und Raumgewinne: stern-Experte erklärt Waffensysteme und Kriegsgeschehen

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Hendrik Holdmann (stern) Die lange von der Ukraine angekündigte Offensive im Süden des Landes bei Cherson hat begonnen. Was genau passiert da? Und ist es überhaupt eine echte Offensive?


Gernot Kramper (stern) Die Ukraine ist in diesem Frontabschnitt an mehreren Abschnitten offensiv geworden. Das heißt, sie sind praktisch aus ihren Positionen herausgekommen und haben die Russen zurückgedrängt. Das ist also offensiv, eine offensive Operation. Die Ukraine nennt es auch eine Offensive. Das ist es in der Tat nicht, wenn man genau ist. Es sind praktisch taktische und regional begrenzte Gegenstöße. Für eine echte Offensive müssten diese Operationen die Kraft haben, die gesamte Front der Russen in dieser Gegend auszuhebeln oder wegzudrücken. Und das haben sie nicht. Es sind regional begrenzte Gegenstücke, die aber zu Geländegewinnen geführt haben. Das heißt, es ist eine Frage der Terminologie. Man kann also offensiv tätig sein. Aber für den Terminus Großoffensive, sage ich jetzt mal, reicht es eben nicht. Dafür sind die eingesetzten Kräfte dann doch zu klein.


Hendrik Holdmann (stern) Wie bewertest du, was da gerade passiert?


Gernot Kramper (stern) Es zeigt ja, dass die Ukraine überhaupt offensiv werden kann. Man hat also, wenn auch in kleinerem Maßstab als vielleicht angekündigt, neue Truppen, frische Truppen aus dem Westen des Landes herangeführt. Es gibt neues Gerät. Es sind die T72-Panzer aus Polen gesichtet worden, es sind Mannschaftstransporter und Schützenpanzer aus dem Westen gesehen worden. Das heißt, man hat immer noch Reserven, die man zumindest zu regional begrenzten Vorstößen hat zusammenziehen können. Das ist ja schon mal so ganz positiv. Das muss man auch klar so sagen, weil das ist ja ein Ermüdungskrieg und derjenige, der das machen kann, kratzt irgendwo diese Truppen noch zusammen und setzt sie in Bewegung. Dazu auch weiterhin sehr positiv für die Ukraine: Es sind ihnen Geländegewinne gelungen, insbesondere in der Gegend um Cherson, obwohl die Russen ja sehr wohl gewusst haben, dass diese Offensive kommen kann. Und dennoch haben sie sie nicht gewissermaßen schon im Ansatz abwürgen können oder stoppen können. Das ist also auch weiter positiv. Positiv könnte man auch sagen: Die Ukrainer sind in die Bewegung gekommen, obwohl sie ja nur sehr begrenzte Luftwaffe einsetzen können. Das heißt aber auch, dass die russische Luftwaffe in diesem Gebiet massiv behindert sein muss, weil das kann sich ja jeder ansehen. Das ist also etwas anders als im Donbass. Im Donbass ist das eine Gegend die ist so ein bisschen hügelig, aber vor allen Dingen ist die absolut zersiedelt. Das ist so wie bei uns das Ruhrgebiet, städtebaulich ganz schrecklich. Aber überall sind so kleine Siedlungen und Gebäude und auch schwere Fabriken, während hier diese Gegend ist eher, das ist eher eine Steppe, das ist von Senken, das ist sehr flach. Da gibt es natürlich auch Dörfer oder Städtchen und es gibt auch Wälder. Aber im Großen und Ganzen ist das offenes Gelände und ein offenes Gelände offensiv zu werden ohne eigene Luftwaffe, ist eigentlich nicht möglich. Aber wenn die russische Luftwaffe sehr stark behindert wird, ist es offenbar doch möglich gewesen. Das war jetzt der positive Teil. Man muss aber auch sagen: Die Ukrainer sind nur an ein oder zwei Stellen tiefer ins russische Gebiet eingedrungen. An anderen Stellen sind sie deutlich gestoppt worden und zum Teil auch wieder zurückgedrängt worden. Und in diesen beiden tieferen Stellen sieht es zumindest im Moment nicht so aus, als würden sie den Vorstoß wirklich ausnutzen können. Also man kann sich jetzt daran berauschen, dass sie da praktisch mit Ihren Truppen wie mit einem Finger in die russische Front reingedrückt haben. Aber es sind bis jetzt keine echten Kesselbildungen gelungen. Wobei man auch sagen muss, bei der ganzen Begrenztheit dieser Operation sind die Kessel dann eben auch entsprechend klein, da Kessel man dann 400 Soldaten ein. Das ist jetzt nicht Stalingrad 3.0 oder so etwas. Das ist Ihnen nicht gelungen. Und Sie stecken da fest. Jetzt muss man sehen: Gelingt es Ihnen, diese Offensive weiter zu nähren? Und wenn Ihnen das nicht gelingt, dann wird es den Russen gelingen, sie wieder zurückzudrängen. Das ist aber im Moment durchaus offen.


Hendrik Holdmann (stern) Etwas überraschend gibt es jetzt Berichte, dass die Ukraine eine weitere Offensive oder Offensiv-Aktionen gestartet hat – und zwar im Norden. In Balaklija bei Charkow sollen ukrainische Truppen schnelle Geländegewinne verzeichnen. Auf Twitter spricht zum Beispiel der Militärexperte Neil Hauer vom größten Durchbruch seit der ersten Kriegswochen. Was ist darüber bekannt?


Gernot Kramper (stern) Also da kann man Hauer recht geben. Aber der Mann ist natürlich immer sehr euphorisch, was die Ukraine angeht. Es ist in der Tat so, dass die Truppen ungefähr 20 Kilometer weit vorgerückt sind. Sie haben eine wichtige Autobahn oder Nationalstraße, wie immer man das jetzt nennen will, unterbrochen, wichtige Versorgungslinien, haben mehrere Städte eingenommen, wobei man aber auch sagen muss, das sind wirklich Städtchen. Also so, das sind keine Großstädte, sondern das sind so Gegenden, die hatten vorher mal 6000 Einwohner. Das ist alles sehr flach, das sind einzelne Häuser. Und dann gibt es eine Schule und Verwaltungsgebäude und vielleicht noch eine Turnhalle und eine Fabrik. Das darf man sich jetzt also nicht wie Essen oder so was vorstellen. Aber immerhin, dass es ihnen gelungen ist, unter 20 Kilometer weit vorgerückt. Und nach meiner Einschätzung ist diese Offensive auch weit geglückter als die im Süden. Im Süden hat die Ukraine meines Dafürhalten massive Verluste auf diesem Vormarsch erlitten und die Russen haben das ganze Internet mit Bildern von zusammengeschossen ukrainischen Soldaten, Konvois und Panzern geflutet. Das hat man vorher so nicht gesehen. Also der Gewinn im Süden ist auch mit massiven Verlusten erkauft worden. Hier im Norden sind die Ukrainer offenkundig auch russische Truppen der zweiten Reihe, da gibt es dann Spezialeinheiten, aber übersetzt ist ja mit Nationalgarde getroffen, und die haben sie sind auch ausgedünnt, die haben sie nicht aufhalten können und deshalb sind sie da sehr schnell vorangekommen. Das ist eigentlich offenbar auch eine Überraschung für die Russen gewesen. Aber eigentlich ist es erstaunlich, dass es jemand überrascht, weil das ist klassische Lehre, dass Offensiven oder Vorstöße zeitlich versetzt gemacht werden. Also du greifst an einem Punkt A tief im Süden an und lässt dir dabei Zeit und denkt der Gegner: Oh wow, da müssen wir ihn jetzt stoppen, schiebt da mehr Reserven hin und versucht da, das zu stoppen. Und der eigentliche Stoß findet dann ganz woanders statt, jetzt hier im Norden, und der dann entblößt ist. Das sind aber ehrlich gesagt so Tricks, die gab es schon immer im ersten und zweiten Weltkrieg auch. Also die dürfte auch jeder russische Stabsoffizier im Stabsoffizier für Dummies Handbuch wirklich so nachlesen können. Ist also ein bisschen überraschend, aber offenbar muss es den Ukrainern ja gelungen sein, die Bereitstellung an Truppen vor den Russen geheim zu halten. Wobei man sagen muss, es ist dadurch, dass die Menge an Truppen, die eingesetzt wird, ja auch wirklich sehr begrenzt ist, eben keine Großoffensive ist, ist das natürlich leichter. Es ist ja nicht so, dass da jetzt eine ganze Panzerarmee zusammenkonzentriert werden. Sondern sowohl im Süden wie auch im Norden sind das so Operationen, die sich auf der Ebene einer verstärkten Brigade, wenn man jetzt mal so NATO Normgrößen nimmt. Die Truppen in den aktuellen Kriegen sind ja immer so, dass die etwas hochtrabende Namen für deutlich kleinere Truppen benutzen. Und auch die ukrainischen Truppen sind ja abgenutzt. Es sind also begrenzte Mengen und Truppen. Es gelang offenbar, das zu verbergen, und sie sind weit vorangekommen. Das ist in der Tat außerordentlich spannende Entwicklung. Aber im Süden und Norden wie auch im Süden gilt natürlich Das sind Anfangserfolge. Damit ein wirklicher Erfolg daraus wird, müssen diese Erfolge vergrößert werden, und man muss in die Tiefe weiter vorgestoßen werden. Und das ist nur möglich, wenn eine Offensive – man sagt: "Die muss genährt werden". Das heißt, nach der ersten Welle muss eine zweite, dann müssen immer neue, frische Truppen nachgeschoben werden, sonst ist das in der Regel eigentlich nicht möglich. Und man kann nur hoffen, dass den Ukrainern das gelingt. Weil wenn ihnen das nicht gelingt, wenn es nicht gelingt, diese Vorstöße zu vertiefen oder oder zu verstärken, wird es den Russen früher oder später gelingen, sie auszuknipsen oder zurückzudrängen. Und dann ist das natürlich alles umsonst gewesen. Also dafür, dass man dann, was weiß ich, drei Wochen irgendwo ein Dorf oder so ein Städtchen erobert hat, dann wieder die ukrainische Fahne weht. Das ist ja für die PR vielleicht ganz nützlich, aber das bringt ja nichts. Diese minimalen Eroberungen bringen für die jeweilige Seite nur etwas, wenn es dauerhaft gelingt, sie zu halten.


Hendrik Holdmann (stern) Die Ukraine-Strategie, darüber haben wir auch schon einige Male gesprochen, vor allem Fluss-Übergänge und Munitionsdepots im Hinterland zu zerstören, scheint Wirkung zu zeigen. Wie könnte Putin darauf reagieren? Wie könnte Moskau jetzt seine Taktik anpassen?


Gernot Kramper (stern) Das ist unglaublich schwierig, weil die Ukraine profitiert davon, dass sie vom Westen oder von den USA, um jetzt mal die Sache beim Namen zu nennen; im Wesentlichen sind es ja die USA, sehr präzise Waffen großer Reichweite haben und Fluss-Übergänge, Brücken und Depots haben auch den Vorteil, dass es ja keine beweglichen Ziele sind, sondern die sind auch Depots im Wesentlichen im statischen Rahmen. Das heißt, die können aufgeklärt werden. Die können mit Satellitenaufnahmen aufgeklärt werden. Da helfen die Amerikaner den Ukrainern ja auch ganz offenkundig. Aber die können natürlich auch durch Partisanen, Sympathisanten oder so etwas weitergeleitet werden. Der Fluss-Übergang ist eben auch noch nächste Woche da und dann können die sehr gezielt in Angriff genommen werden und das unterbricht die Nachschublinien der Russen. Umgekehrt habe ich aber natürlich auch gesagt, in der Ukraine gibt es dummerweise eine Menge Flüsse und die Russen zerstören natürlich die Nachschublinien der Ukraine auch und die haben damit auch zu kämpfen. Aber die Zeiten, dass die Russen praktisch, die Infrastruktur so 20, 30 Kilometer hinter der Front mehr oder minder wie in Friedenszeiten benutzen können, sind eben vorbei und da ist eben schwer darauf zu reagieren. Die Russen werden sicherlich den einen oder anderen Raketenwerfer inzwischen auch zerstört haben. Also da gibt es ja widersprüchliche Meldungen. Das lässt sich auch nicht so überprüfen. Aber die Amerikaner schieben ja kontinuierlich nach. Insofern ist da nicht zu erwarten, dass eine wahnsinnige Wende kommt. Und die Wende könnte kommen durch diese Drohnen-Importe, von denen wir gehört haben.


Hendrik Holdmann (stern) Jetzt gibt es Berichte, dass die USA Excalibur-Granaten liefern möchte. Soweit ich informiert bin, ist das die präziseste Artillerie-Munition, die die NATO zur Verfügung hat. Was bedeutet das für den Krieg?


Gernot Kramper (stern) Also wenn ich das richtig sehe, sind diese Granaten bereits in der Ukraine. Es gibt jedenfalls Bilder, die das zeigen. Man kann diese Bilder ja auch immer doktern, aber im Großen und Ganzen würde ich davon ausgehen, dass sie zumindest in kleinen Teilen schon da sind. Der wesentliche Punkt bei den Excalibur-Granaten ist das, dass sie die Reichweite der Artillerie so ungeheuer steigern. Das heißt eine normale Granate, die fliegt praktisch aus dem Rohr, weil sie von der drei Ladung herausgedrückt wird. Und da ist aus technischen Gründen irgendwann mal Schluss, was man so erreichen kann und oder vernünftigerweise erreichen sollte. Die Excalibur-Granate ist eben eine reichweiten-gesteigerte Granate und man kann sagen, das ist eine Mischung zwischen einer Granate und einer kleinen Rakete. Da die, die jetzt in ihrer Laufbahn ist, hat sie praktisch noch so ein Nachbrenner und deshalb fliegt sie weiter als die Kanone sie raus pusten würde. Man hat also eine sehr viel höhere Reichweite, die nicht so bei 50, 60 Kilometern, dass sie effektiv einsetzbar ist. Und dazu schlägt sie auch noch sehr präzise oder relativ präzise ins Ziel ein. Und da so ein Überfall der Artillerie ja nicht so funktioniert, dass du auf das Ziel nur eine Granate abwirfst, sondern sagen wir mal, das sind vier Haubitzen und die schießen jeweils drei Mal hintereinander, dann fällt das alles auch zugleich runter. Wenn das richtig eingestellt ist, dann sind das zwölf Granaten. Damit ist dann das Ziel schon ziemlich sicher vernichtet. Das heißt, die hat keine Präzision von 20 Zentimetern, wie man sich das manchmal bei James Bond vorstellt. Aber auf dem offenen Feld oder auf für Panzer ist das definitiv eine Bedrohung. Aber der eigentliche Punkt ist nicht die Super-Präzision, sondern dass sie so weit kommen und nicht unpräziser werden. Würde ich mal formulieren. Und 50, 60 Kilometer das ist schon sehr ordentlich.


Hendrik Holdmann (stern) Scholz will weiter keine Leopard-2-Panzer an die Ukraine liefern. Warum eigentlich nicht?


Gernot Kramper (stern) Also es gibt für jeden dieser einzelnen Rüstungsgüter immer eine unglaubliche Menge an Begründungen. Also beim Leopard zwei ist es natürlich, dass die Bundeswehr selber nicht so viele Leopard zwei hat. Wir haben so schlapp 300 Stück und wenn wir davon wirklich Kriegseinsatz fähig sind, das dürften natürlich noch mal deutlich weniger sein. Und dann sind wir hier in den NATO-Verbänden eingebunden. Da tut man sich schwer. Es ist auch nicht so leicht, welche aus dem Bestand schnell aufzurüsten. Aber man muss sagen, dieser Krieg dauert jetzt ja mittlerweile ein halbes Jahr. Und wenn man da früher entschieden hätte, dürfte schon der eine oder andere Panzer fertig sein.Es gibt auch einen Grund, warum man den Leopard eins nicht liefern sollte oder ob der Mader nicht eigentlich eine alte Mühle ist, die vor allen Dingen die, die außer Dienst gestellt worden sind. Aber bei uns gibt es immer nur Gründe, warum man etwas nicht machen kann. Und die Ukraine braucht diese Waffen dringend, und zwar auch Waffen zweiter und dritter güte. Also es ist so, dass Truppen der Ukraine laufen zu Fuß über offene Felder. Und das geht natürlich nur solange gut, solange überhaupt gar kein Gegner da ist. Oder sie benutzen Schulbusse oder was weiß ich Sprinter, irgendwelche Kombis. Und das sind alles Waffen, die von einem Maschinengewehr so durchsiebt worden ist. Wer da den Magen für hat, kann sich das gerne auch auf Twitter gibt es das auch, aber natürlich vor allen Dingen auf anderen Kanälen ansehen. Die Truppen werden da drin einfach so zusammengeschossen und die werden natürlich mit dem alten Mader, der auch sonst auf dem Stand der 70er Jahre ist und nicht super modernisiert worden ist, durchaus besser bedient zum Transport oder mit dem Dingo oder dem Fuchs oder was wir alles haben. Und man müsste meiner Ansicht nach wirklich auch die Reste auskehren, die man irgendwie hat. Die Sachen fahrfähig machen. Und ja klar, der Leopard eins hat zum Beispiel keine echte Panzerung, aber es ist trotzdem immer noch eine fahrbare Kanone und. Es kann ja nicht die Argumentation sein, dass man sagt, ob das was technisch up to date ist, das können wir nicht liefern, und das andere ist uns zu schlecht. Das ist ja überhaupt gar keine Position. Ich denke, wir müssen da deutlich mehr tun, weil dieses Nichtstun führt dazu, dass die Ukraine ungeheuere Verluste hat und dieser Krieg auch endlos weitergeht. Und die Russen sind sich ja im Übrigen auch nicht zu schade, ihren Soldaten lieber Uralt-Gerät zu geben, als ihnen zu sagen: Ach, wir spritzen Schulbusse.


Hendrik Holdmann (stern) Was macht den Leopard-2-Panzer denn so attraktiv auf dem Schlachtfeld?


Gernot Kramper (stern) Der Leopard zwei Panzer gilt als einer der besten Panzer der Welt. So Bums. Der hat auch Probleme. Das hat man ja im Irak gesehen, weil er auch Schwachstellen hat. Die Leopard zwei, die wir zur Verfügung stellen können, haben allesamt kein aktives Schutzsystem, also ein System, was praktisch nicht, das nicht durch Panzerung versucht, eine angreifende Rakete abzuwehren, sondern diese angreifende Rakete im Anflug praktisch irgendwie abzuschießen. Und das haben ganz wenige Panzer in der Bundeswehr und die wir exportieren oder weggeben könnten, hätten das vermutlich auch nicht. Unsere Panzer hätten in der Ukraine ähnliches Problem sehen wie die russischen Panzern. Der Leopard zwei hat das Magazin nicht, hat das Magazin der Munition nicht so wie die Russen-Panzer in einem in einem Karussell unter dem Turm, dass manche Treffer sofort zu Explosionen führen. Aber auch der Leopard zwei hat die Munition nicht in einem extra Schutzraum, von dem die Besatzung wiederum in einer anderen Schutzgrenze getrennt ist. Klar kann man sagen, der Leopard zwei kann ein paar Volltreffer überleben. Vor allen Dingen würde er in aller Regel wahrscheinlich nicht so spektakulär explodieren. Aber man muss sagen, damit die Männer in dem Panzer sterben, ist es nicht nötig, dass der Turm 500 Meter durch die Luft fliegt. Das ist das sieht so ganz gut oder spektakulär aus. Aber diese Treffer führen dazu, dass so ein Einbruch ist, dass in der Tat so eine Art Strahl in dem Panzer ist und da die Temperatur ungeheuer ansteigt und sich alles Mögliche entzündet. Und das ist so oder so fatal, auch wenn der Panzer hinterher vielleicht heiler aussieht als ein T 72. Also im Prinzip ist es aber, muss man klar sagen, die Ukraine hat einfach ja keine Panzer mehr. Die sind ja auch froh, wenn sie die T72 aus Polen bekommen. Und wenn sie die T72 aus Polen gerne nehmen, dann werden sie auch für einen nicht modernisierten Leopard zwei A4 oder fünf oder was wir da noch zusammenkratzen kann, dankbar sein. Also so, man muss im Moment halt sehen, was man hat, weil man die Ukraine nicht darauf vertrösten kann, zu sagen:0 Ah ja, jetzt entwickeln wir hier ganz tolle Sachen und in vier Jahren sind die fertig. Das ist ja alles Quatsch.


Hendrik Holdmann (stern) Wir gehen mit großen Schritten auf den Winter zu. Zunächst der Herbst, dann der Winter. Darüber wird schon viel diskutiert, was der Winter für den Krieg bedeutet. Was ist deine Einschätzung? Wie wird sich der Krieg in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln?


Gernot Kramper (stern) Im Moment muss man klar sagen: Da gibt es ganz klar zwei Möglichkeiten. Gelingt es der Ukraine, diese Vorstöße sowohl im Süden, aber vor allem im Norden bei Charkow weiter zu vertiefen und weitere Kräfte zuzuführen und die Russen unter Bedrängnis zu haben. Dann muss man sagen, dann gehen die einigermaßen beruhigt in den Winter. Da muss Putin sich wirklich was einfallen lassen. Der ist nicht am Ende seiner Möglichkeiten. Er könnte ja auch die Mobilmachung erklären, was er bis jetzt ja aus politischen Gründen nicht möchte, aber was er natürlich sofort tun könnte. Aber das wäre eine große Beruhigung. Das heißt für die Invasoren tatsächlich zurückgedrängt werden. Sollte es Kiew aber nicht gelingen, diese Offensiven zu nähern, ist durchaus zu erwarten, dass vor Einbruch des Winters die Ukrainer wieder auf ihre Ausgangsstellung oder gar dahinter zurückgeworfen werden. Das wäre psychologisch natürlich sehr schlecht, weil man dann sagen muss, dass diese Anstrengung verpufft ist. Da kann man dann Propaganda oder PR-Videos drehen, wie man möchte. Wenn die Soldaten an ihren ausgebrannten Wracks wieder die Ausgangsstellung zurück gedrängt werden, wird das eine schwere Niederlage auch für Kiew, wie das andere eine schwere Niederlage für Putin wäre. Umgekehrt halte ich es aber jetzt –um was Positives zu sagen – den Kriegsverlauf im Moment nicht so mehr das ist es wird Russland nicht. Er wird nicht in der Lage sein, den Donbass zu erobern vor Einbruch des Winters. Die Ukrainer halten nach wie vor die letzte Städtekette. Die Russen kommen ja irgendwie voran, aber wirklich unmerklich ist es wirklich ganz, ganz, ganz langsam. Und es ist im Moment nicht zu sehen oder abzusehen, dass sie in der Lage wären, die Donbass Verteidigung oder die letzte Donbass Verteidigung Verteidigung der Ukraine zu durchbrechen. Und das ist ungeheuer wichtig, weil hinter dieser Städte-Linie kommt erst mal nichts. Das wäre sehr schwer für die Ukraine, falls sie da rausgeworfen werden, eine weitere vor den großen Flüssen, um eine weitere Verteidigungslinie aufzubauen. Das heißt, nach dem Fall von Lyssytschasnk und Sewerodonzek hat man ja eigentlich fast erwartet, dass die Russen in diese Linie einbrechen. Das ist ihnen nicht gelungen und im Moment sieht es auch nicht so aus, als würden sie das können, weil sie ja sicherlich vollauf damit beschäftigt sind, die Einbrüche, die die Ukraine gemacht hat, abzudichten und versuchen zurückzudrängen. Und wie schwer ihn das fällt, daran sieht man, wie abgekämpft die Truppen sind. Ich habe ja gesagt, dass es keine Großoffensive ist, in dem Sinne, dass da Armeen bewegt werden, sondern dass das praktisch noch verstärkte Brigaden sind in normaler Zählung. Und aber die Russen haben aber offenbar auch nicht mehr genug Material, um eine verstärkte Brigade mit zwei Divisionen zu kontern oder so etwas, sondern die Einheiten mögen ja heißen, wie sie wollen, aber sie sind offenbar sehr schwach und kann das nicht. Der Krieg kommt wirklich in eine Ermattung.

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Gernot Kramper (stern) Das ist der spannendste Moment, den wir von jetzt bis Ende August erwarten dürfen. Und dagegen ist die Frage, ob der Bachmut fällt oder so, doch noch zweitrangig. Aber normalerweise wäre das ja viel klüger, eine Offensive nicht in allen Details anzukündigen und damit der Gegner schon mal zwei, drei Monate Zeit hat, sich wirklich darauf einzustellen. Das ist ja ein sehr gefährliches Spiel mit den Geheimdienstdaten, weil man muss ja auch sagen, der Westen, insbesondere den Amerikanern, gebricht es an Feinden auf diesem Globus nicht. Dieses Spiel kann man ja auch umgekehrt machen.


Hendrik Holdmann (stern) Russlands Außenminister Lawrow hat verkündet, dass man über den Donbass hinaus jetzt auch noch weitere Ziele ins Visier nimmt. Was könnten diese nächsten Ziele sein?


Gernot Kramper (stern) Also zuerst muss man mal sagen, dass das natürlich nichts Neues ist. Die Bescheidung auf dem Donbass ist ja geschehen, nachdem diese Großoffensive um Kiew und Charkow gescheitert sind, man sich auf den Donbass konzentriert hat. Und das war immer klar, dass das ein erster Schritt für Russland ist. Wenn Sie da Erfolg haben, werden Sie versuchen, weitere Gebiete in der Ukraine zu erobern. Genau genommen den kompletten Süden, die Oblasten, von den sie schon Teile haben um Cherson herum und auf Dauer sicherlich auch Odessa als Hauptkriegsziel. Die Äußerung von Lawrow bedeutet jetzt aber ein bisschen etwas Anderes. Das bedeutet, dass die Gebiete, aus denen die Mehrfachfaketenwerfer der USA heraus operieren, verstärkt von den Russen unter Feuer genommen werden. Das heißt, diese Raketenwerfer haben ja eine relativ hohe Reichweite, vielleicht kriegen sie sogar noch Munition mit noch größerer Reichweite. Das heißt, die müssen sich im unmittelbaren Frontgebiet untergestellt, versteckt oder irgendwie verborgen werden, sondern die sind ein ganzes Stück weit weg von der Frontlinie. Und man muss erwarten, das sind primäre Ziele für die Russen und die werden massiv angegriffen. Oder die Russen werden versuchen herauszubekommen, wo diese Raketenwerfer sind, wo sie abends und nachts abgestellt werden. Und das wird nach der Natur der Sache auch zu zivilen Opfern führen, weil diese Raketenwerfer werden ja nicht in der Kaserne, wo dann obendrauf steht: Oh hier geheimes Lager oder so untergestellt, sondern die werden in irgendeinem Lager für Landmaschinen, was man so findet, versteckt. Und weil die sich ununterbrochen bewegen müssen und ununterbrochen versteckt werden müssen, kann ich mir nicht vorstellen, dass das nur in rein militärischen Installationen stattfindet.


Hendrik Holdmann (stern) Die Ukraine hat Gegenoffensiven angekündigt, unter anderem auf die wichtige Stadt Cherson. Welche Taktik steckt dahinter?


Gernot Kramper (stern) Das ist schwierig. Das muss man mit zwei Sachen teilen. Das eine ist ein politischer Moment, und das andere ist ein militärischer Moment. Der politische Moment ist das, dass die Ukraine braucht dringend Erfolge am Boden. Also der Rückzug oder das Zurückdrängen der Russen vor Kiew und Charkow war so ein Erfolg. Bloß im Falle von Charkow stehen die ja schon wieder vor den Vorstädten, das ist ja ein guter Teil des russischen Rückzugs oder des ukrainischen Vormarsches, ist ja bereits wieder verpufft. Also man braucht aus politischen Gründen unbedingt einen Erfolg für die eigenen Truppen, für die eigene Bevölkerung, aber auch für den Westen. Weil die Ukraine wird von uns unterstützt. Wenn sie eine Chance auf Sieg hat. Oder sagen wir mal so: In dem Moment, wo es aussah, als würden die Russen große Schwierigkeiten haben vor Kiew oder Charkow, da kam die Diskussion mit den schweren Waffen auf. Sehr viele Staaten im Westen sind so Hasenfüße. Die wollen sich gerne auf der Gewinnerseite sehen, aber die scheuen das Risiko, wenn sie auf der Verliererstraße sind. Dafür braucht man unbedingt diesen Erfolg. Dafür wird diese Offensive ja auch nonstop beschworen. Also eine Offensive ist ja so eine ganz gute Sache, sag ich mal, aber normalerweise wäre das ja viel klüger, eine Offensive nicht in allen Details anzukündigen und damit der Gegner schon mal zwei, drei Monate Zeit hat, sich wirklich drauf einzustellen. Dieses Reden über diese Offensive hat nur politische Dimensionen. Jetzt kommen wir zum militärischen Teil. Der Punkt ist das, dass die Ukrainer sich vor Cherson an die Stadt herangearbeitet haben, da auch mehrere von diesen Dörflein oder Städtchen erobert haben und sie versuchen, eine Ausgangsposition für einen Angriff auf die Stadt zu erobern. Die haben dort den Vorteil, dass die Russen den Großteil ihres Materials und vor allen Dingen ihrer Männer im Donbass konzentriert haben. Das heißt: Sie sind nicht in der Lage, eine durchgehende Frontlinie, vor allem nicht so tief gestaffelt mit mehreren Linien und Bunkern und alles auch besetzt aufzubauen, sondern das sind einzelne Feuerpunkte. Und dann gibt es zwischendurch auch mal wieder gar nichts. Das ist bei diesem Krieg nicht zu vermeiden, weil die Frontlinie insgesamt ist relativ lang. Also das sind ja nicht nur die Kilometer in der Luftlinie, sondern das sind ja auch Kringel. Das ist also relativ lang. Und dafür reichen die Truppen einfach nicht aus, um da praktisch so einen Verhau wie im Ersten Weltkrieg aufzubauen. Das reicht eben nicht. Und da sehen die Ukrainer offenbar eine Chance. Ihre Strategie wird sein, das ist ehrlich gesagt auch schon angekündigt und man kann das sehen, zu versuchen, die Versorgungslinien der Russen zu behindern, indem sie Brücken zerschießen, indem sie Eisenbahnlinien zerschießen und sie dort in eine prekärere Situation zu bringen. Jetzt ist es aber so, dass diese Offensive ja in der Tat noch gar nicht stattgefunden hat. Also so, das sind ja alles nur Geplänkel und Vorstöße. Offensive würde ja bedeuten, dass man große mobile Kräfte, sehr viel Feuerkraft hat, um an diese Stadt heranzukommen. Und diese Stadt verläuft ja an einem riesigen Fluss. Das ist wirklich ein richtig großer Fluss, der muss ja auch irgendwie überquert werden und überschlagen werden. Und insgesamt ist das nicht unbedingt zu erkennen, dass das ein leichtes Unterfangen wird. Das Attraktive daran ist, dass die wieder Befreiung von Cherson wäre eben ein Riesen PR-Vorteil. Aber wenn der Ukraine oder Kiew es gelingen würde, diese Stadt und diese Region einzunehmen, hätten sie die Möglichkeit, unmittelbar Richtung Krim zu drücken, wenn sie so stark sind. Und das würde wiederum die gesamte russische Position in der Ukraine – dann nicht zum Zusammenbrechen bringen – aber da müssen die Russen massiv umdenken, weil das dürfte nicht passieren, dass die Ukrainer das Kiew ja praktisch an dieser Stelle bis zum Meer wieder durchstoßen. Bloß damit das möglich ist, müsste man eine richtige Armee haben mit Panzerverbänden, allen drum und dran. Und jetzt kann man sich überlegen, gibt es die und wir wissen da nichts von? Oder auch die Russen zeigen keine Bilder davon? Oder existiert dieses in Anführungsstrichen Millionenheer und ein bisschen in der Phantasie und in der Propaganda? Das kann man im Moment nicht abschätzen, da will ich auch keinem das abnehmen. Das muss man so ein bisschen selber. Ich wäre persönlich skeptisch, dass da wirklich diese Mengen an Truppen mit modernem Gerät und ausgerüstet und ausgebildet zur Verfügung stehen. Das Problem bei dieser Offensive ist vor allen Dingen sie verschiebt sich nach hinten. Es ist August genannt worden, August ist ja auch vier Wochen. Also es gibt einen 1. August und es gibt einen letzten August. Und je länger die Ukraine dort nicht in die Puschen kommt, umso länger haben die Russen Zeit, im Donbass ihre Position zu verfestigen. Und wenn die erst einmal in günstigen Positionen sind oder bestimmte Ziele erreicht haben, wird es ihnen ja sehr viel leichter fallen, ihre Truppen dort heauszuziehen und in den anderen Raum wiederum zu bringen. Das sind ja auch alles keine großen Entfernungen und diese Kriege sind nicht so schnell. Das wird auch auf Seiten der Ukraine nicht so sein, dass man auf einmal: Am Montag fängt das an und Mittwoch ist die Schlacht entschieden. Das geht alles sehr langsam. Also wäre ich persönlich skeptisch, ist aber total wichtig.


Hendrik Holdmann (stern) Die ukrainische Armee will Russland Schwarzmeerflotte versenken, war zu hören. Einige Kriegsschiffe sollen schon zurückgezogen worden sein, von russischer Seite aus. Kann die Ukraine überhaupt die Flotte von Land aus versenken? Kriegsschiffe hat sie ja nicht mehr.


Gernot Kramper (stern) Erst mal ist ihnen das ja gelungen mit der Moskwa, indem sie mit Drohnen einen Scheinangriff geflogen haben. Und haben sie dann zwei Raketen abgefeuert, eigener Produktion. Wenn das dann stimmt, dass es Neptunraketen waren. Die Ukraine bekommt Anti-Schiffs-Raketen aus dem Westen und hat sie aus Großbritannien bekommen. Da kann man ja darüber streiten, welche Reichweite die haben. Also weil das ist ja nicht so ein großes Meer, aber es ist nun auch kein Badesee. Jetzt muss man auch sagen, auch das ist natürlich eine Sache. Da haben wir ja auch unsere Finger im Spiel. Oder wir natürlich nicht die Deutschen, sondern die Amerikaner mit Sicherheit, weil man ja die Zieldaten braucht. Es reicht ja nicht die Rakete irgendwie abzuschießen, also jetzt irgendwo hinzubringen und die hat eine Reichweite und die zielte irgendwie auf irgendein Meer. Sondern man braucht schon detaillierte Zieldaten, um das Ziel zu erreichen und um die Abwehr dieser Schiffe zu durchbrechen – so war es ja bei der Moskwa – ist es sogar wichtig gewesen, genau zu wissen, wie die gerade im Wasser liegt, also welche Richtung das Schiff hatte, damit man den Radarschatten der Aufbauten ausnutzen konnte. Das heißt: Diese Daten wird Kiew so nicht alleine generieren können. Wie auch? Sondern die kommen von amerikanischen Aufklärungsflugzeugen. Also auch wenn das wahrscheinlich dann offiziell abgestritten würde. Aber im Prinzip ja, ist das möglich. Kiew alleine kann das aber ganz sicher nicht, weil sie dazu inzwischen nicht mehr die Raketen haben. Sie müssten die Raketen bekommen, sie müssten die Ausbildung bekommen und sie müssten die Zieldaten bekommen. Sie müssten praktisch nur einen LKW Fahrer haben und irgendjemand, der da auf den roten Knopf drückt. Die Frage ist jetzt bloß: natürlich will der Westen das? Das ist ja ein sehr gefährliches Spiel mit den Geheimdienstdaten, weil man muss ja auch sagen, dem Westen, insbesondere den Amerikanern, gebricht es an Feinden auf diesem Globus nicht. Dieses Spiel kann man ja auch umgekehrt machen und weitreichende Anti-Schiffs-Raketen an irgendwelche Rebellen liefern und dann noch Zieldaten versuchen, hinterher zu geben. Und das ist ja etwas, was die Amerikaner nun sicherlich am Horn von Afrika beispielsweise nicht unbedingt gerne hätten. Also muss man da sehen, wo man bleibt und das andere ist ja auch für die Ukraine: es gibt ja auch immer das Ziel, dass man dann Putins Lieblingsspielzeug, diese Krim-Brücke zerstört oder was weiß ich. Diesen Flughafen auf der Krim. Das ist auch so ein Prestigeobjekt. Könnte man auch zerstören und angreifen, wenn man weitreichende Raketen hat. Bloß das wird ja ohne Frage eine weitere Eskalation der Gewaltanwendung durch Russland nach sich ziehen. Und die würde ja in der Ukraine stattfinden. Es wird ja immer so getan, als würde Russland nur die nukleare Option nach oben haben. Und das ist meiner Meinung nach nicht richtig, sondern man kann, wie man immer in der Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg gesehen haben. Man kann ganze Städte auch konventionell ausradieren, mitsamt allen Einwohnern. Und insofern muss man sich fragen, ob das jetzt ein schlauer Move ist, einen PR-Erfolg zu haben, um diese Brücke zu wegsprengen und dann eventuell alle Kraftwerke in der Ukraine zu verlieren im Gegenzug.


Hendrik Holdmann (stern) Russland soll Gefängnisinsassen mit dem Versprechen der Freiheit rekrutieren. Ist das eine normale Taktik oder gehen Putin die Soldaten aus?


Gernot Kramper (stern) Na ja, Putin gehen ja immer die Soldaten aus. Das ist ja von Anfang an eines der Krux dieser Kriege gewesen, weil diese beiden Armeen, sowohl die Ukraine wie auch die Russen, die sind einerseits sehr stark ausgerüstet, haben sehr viel Material, aber es fehlt ihnen eben an Kämpfern. Und aus innenpolitischen Gründen will Putin nicht eine Mobilmachung machen und einfach Reservisten einziehen. Die Ukraine hingegen hat natürlich eine sehr rigide Wehrpflicht eingeführt und setzt die auch durch. Und wir sollen jetzt ja nicht glauben, dass alle Leute nur freiwillig zu den Fahnen eilen. Da sind ja manche auch nicht so begeistert. Das will Putin aus innenpolitischen Gründen nicht. Diese Karte könnte er natürlich jederzeit ziehen. Also versuchen sie, Leute her zu bekommen und das eine, was sie machen, ist das, dass sie praktisch bei uns heißen die dann gerne Söldner arbeiten, dass sie praktisch sagen: Hallo, du bist eigentlich Soldat, du meldest dich doch jetzt freiwillig und dann kriegst du nicht irgendwie nur 150 $ umgerechnet als Wehrpflichtiger. Wir zahlen richtig viel Geld. Und es gibt zumindest Hinweise darauf, dass die Russen für Soldaten 4.000 $ im Monat bezahlen, wenn die sich sechs Monate verpflichten. Und solange die Kohle da ist, hoffen sie, auf diese Weise Soldaten zu bekommen, weil das sind Summen, die man in Russland als normaler Mensch oder als Arbeiter oder so einfach nicht verdienen kann. Das ist absolut jenseits. Und das andere ist das, dass Sie mit allen Tricks natürlich versuchen, Freiwillige zu finden. Und jetzt muss man sagen, die Idee, dass man Leute, die irgendwas wollen, aus dem Gefängnis raus wollen, einen Pass wollen oder dieses oder jenes, dass man die ködert, um in den Krieg zu ziehen, das ist nicht gerade neu. Also mein Vater wäre beispielsweise auch nach Amerika ausgewandert in den 50er Jahren, und den hätten sie auch gerne genommen. Bloß er hätte dann vorher eine Runde in Korea drehen müssen und das hat ihn dann doch davon abgeschreckt. Insofern hat das natürlich ein Ruch – gerade mit Gefängnissen. Aber eigentlich ist das ganz typisch, ob das jetzt Freiwillige sind oder ob das so ein Dreh ist, dass da eine Amnestie verkündet wird. Und auf einmal sind sie alle Freiwillige. Das ist nicht einzig für Russland und hat natürlich soeinen unmoralischen Hau. Ich würde es jetzt nicht als Verzweiflungstat sehen. Es ist eine Methode in Anführungsstrichen, Freiwillige zu generieren. Die wollen tatsächlich nicht so freiwillig sind, ohne eine Mobilmachung zu machen, ohne Reservisten mit Kraft des Gesetzes anzuziehen.


Hendrik Holdmann (stern) Wie wird sich der Krieg deiner Meinung nach in den nächsten Wochen entwickeln? Was erwartest du?


Gernot Kramper (stern) Die Russen werden weiter versuchen mit der Donbass-Operation fortzuführen. Es sei denn, sie kommen da überhaupt nicht weiter. Dass es im Moment leichte Stockungen gibt, das hat auch etwas mit Umgruppierungen zu tun und ähnlichen Dingen. Das würde ich jetzt nicht überbewerten. Es ist aber natürlich sehr viel besser, als wenn sie einfach durchmarschiert werden. Das muss man ja auch mal klar sagen. Aber jetzt zu glauben, die können nicht mehr, das kann ich persönlich noch nicht erkennen. Ich würde glauben, dass die Russen den Druck erhöhen. Und wenn das sehr schlecht läuft, bringen sie die Position zum Einsturz. Da das alles sehr langsam geht, wird es nicht passieren, dass die ganzen Städte von den Russen erobert sind, aber dass die Position von Kiew so erschüttert ist, dass sie nicht mehr zu halten ist auf Dauer, dass das absehbar ist, das kann in den nächsten Wochen durchaus passieren. Die große Frage ist das: Werden die Amerikaner stärker weitreichende Raketenwerfer liefern? Da wird man sehen, ob das tatsächlich einen großen Einfluss auf den Krieg hat. Umgekehrt muss man natürlich sagen: Vielleicht finden die Russen auch ein Rezept dagegen und zerstören diese Systeme in größerem Maßstab. Das ist ja im Krieg auch nicht gesetzt. Man sieht an vielen Dingen, dass die die Russen, die Russen, die jetzt kämpfen, sind nicht die Russen, die vor Kiew gestanden haben, also wenn man darauf achtet: es gibt ja kaum noch Videos von größeren Drohnenangriffen aus der Ukraine. Klar, diese kleinen Drohnen, diese zivilen Drohnen, die man als Fotograf oder in der Landwirtschaft benutzt, die sind ununterbrochen im Einsatz. Die nur so eine kleine Reichweite haben. Aber diese großen Kampfdrohnen der großen Zeit ist vorbei, weil die elektronisch gestört werden und unterdrückt werden und weil sie auch schwer bedroht sind und die Russen eine bessere Luftverteidigung haben. Das heißt, man kann nicht unbedingt davon ausgehen, dass das, was letzte Woche funktioniert hat, auch in drei Wochen noch funktioniert. Da muss man sehen, was da passiert. Aber das halte ich für einen ganz entscheidenden Faktor. Und das andere wurde von mehreren Wochen gesprochen hast. Ja, die Cherson-Offensive muss kommen. Das Spannendste wird sein, gelingt es der Kiew, eine wirklich schwere Offensive in diesem Raum zusammenzubringen und wird die Erfolge haben. Dass Cherson da innerhalb weniger Tage befreit wird, das ist ja unrealistisch. Das ist ja so ähnlich wie bei den Russen, dass man immer sagt, ja, das sind nur ein paar Kilometer. Aber wenn die Ukraine selber dort in die Bewegung kommt und diese russische Eroberung, die von den Russen eroberte Stadt, wirklich bedroht und droht, sie zu umfassen, das ist der spannendste Moment, den wir von jetzt bis Ende August erwarten dürfen. Und dagegen ist die Frage, ob der Bachmut fällt oder doch noch zweitrangig.

Video: Papst: Wäre zu einer Reise nach Kiew bereit

Video Papst: Wäre zu einer Reise nach Kiew bereit

STORY: Die Pressekonferenzen von Papst Franziskus über den Wolken sind legendär. Denn immer wieder kommt es bei dieser Gelegenheit, wenn Journalisten und Kirchenoberhaupt unter sich sind, zu einem regen persönlichen Austausch. So auch auf dem Rückflug von Malta nach Rom am Sonntag. Dort äußerte sich der Pontifex unter anderem zu seiner Gesundheit. Der 85-Jährige klagte über Schmerzen im Knie. Und er wiederholte auch seine Bereitschaft, in die ukrainische Hauptstadt Kiew zu reisen. Aber er fügte hinzu, dass man noch nicht genau wüsste, ob das überhaupt machbar sei. In der Vergangenheit hatte Papst Franziskus den russischen Angriffskrieg und die ungerechtfertigte Aggression gegenüber der Ukraine wiederholt scharf verurteilt und die Grausamkeiten im Kriegsgebiet angeprangert.