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Was macht eigentlich... ...Sabine Bergmann-Pohl?

Nach der ersten freien Wahl in der DDR wurde die Ärztin aus Ost-Berlin 1990 Präsidentin der Volkskammer und Staatsoberhaupt - bis zur Wiedervereinigung am 3. Oktober.

Sie stehen unter Zeitdruck. Wo müssen Sie denn gleich hin?

Zur südkoreanischen Botschaft hier in Berlin. Die wollen mich zum Deutschen Roten Kreuz befragen.

Warum immer noch dieser Stress?

Als Politikerin kann man es wohl nicht so einfach ruhen lassen. Ich bin in sieben, acht Ehrenämtern aktiv und allein schon als Präsidentin des Berliner DRK voll ausgelastet. Das DRK ist für mich eine Herzensangelegenheit. Ich verdiene kein Geld damit, kriege ja meine Pension.

Sie sind das letzte Staatsoberhaupt der DDR. Empfinden Sie Stolz?

Nein, denn das Amt fiel mir durch Zufall in den Schoß. Meine Hauptaufgabe war die Arbeit als Präsidentin der Volkskammer. Das Amt des Staatsoberhaupts lief nebenher. War eher ein Zweitjob. Übrigens war ich eine Woche lang auch noch Oberbefehlshaberin der Streitkräfte. Das war schon alles eine spannende und amüsante Zeit.

Waren Sie damals der Aufgabe überhaupt gewachsen?

Die Frage hat sich nie gestellt. Fast alle waren neu in der Politik. Wir wurden ins Wasser geworfen und mussten schwimmen, auch wenn wir nicht schwimmen konnten.

Dennoch: Fühlten Sie sich nie überfordert?

Na klar! Schon die zweite oder dritte Sitzung endete in einem Riesen-Tohuwabohu. Ministerpräsident Lothar de Maizière wollte nicht nach der Formel der DDR-Verfassung schwören. So etwas war nicht im Protokoll vorgesehen. Also haben wir dann die Eidesformel aus dem Verfassungsentwurf des Runden Tisches genommen. Ich war schon sehr ehrgeizig damals und wollte den Einheitsprozess mitgestalten.

Zur Person

Sabine Bergmann-Pohl, 1946 in Eisenach geboren, arbeitete nach dem Medizinstudium als Lungenfachärztin in Ost-Berlin. Für die Blockpartei CDU zog sie im März 1990 nach der ersten freien DDR-Wahl in die Volkskammer ein. Als dort gewählte Präsidentin war sie auch Staatsoberhaupt. Nach der Wiedervereinigung übernahm Helmut Kohl sie als Bundesministerin ohne Geschäftsbereich, 1991 wechselte sie als Staatssekretärin ins Gesundheitsministerium. Von 1990 bis 2002 war sie außerdem CDU-Bundestagsabgeordnete. Die Mutter zweier Kinder ist in zweiter Ehe verheiratet und lebt in Zeuthen bei Berlin.

Schwelgen Sie in Erinnerungen?

Ich habe viele Bilder, auf denen ich mit berühmten Politikern zu sehen bin. Aber ich gucke sie mir nicht an, bin vielleicht zu alt und uneitel dafür. Die Bilder hängen bei mir zu Hause auch nicht an der Wand. Da hängen nur die Fotos meiner Kinder.

Wie denken Sie über den Palast der Republik, in dem die Volkskammer tagte und der gerade abgerissen wird?

Da kommt Wehmut auf. Aber noch mehr Zorn! Der Abriss ist geschichtslos, denn der Palast ist eine historische Stätte der Wiedervereinigung. In Westdeutschland wäre er nicht demontiert worden.

Noch Kontakt zu ehemaligen Weggefährten?

Ja, natürlich zu denen aus meiner Partei, etwa Lothar de Maizière und Theo Waigel. Bei den anderen Parteien habe ich unter anderem noch Kontakt zu Marianne Birthler und Ilja Seifert von den Linken.

Eine Ihrer Kolleginnen war die junge Angela Merkel …

Sie hat schon damals klug agiert, und die geschickte Art und Weise, wie sie ihr Amt als stellvertretende Regierungssprecherin ausfüllte, fiel auf. Ich empfinde Stolz, dass eine ostdeutsche Frau die erste Bundeskanzlerin geworden ist.

Denken Sie manchmal noch in Wessi-Ossi-Kategorien?

Die Kenntnis der Westdeutschen über uns Ossis ist leider immer noch relativ gering. Es gibt weiterhin Vorurteile und eine gewisse Arroganz uns gegenüber. Hätten die Westdeutschen die Wiedervereinigung allein bewerkstelligen müssen, dann wären wir heute noch nicht so weit.

Werden Sie noch auf der Straße erkannt?

Kaum. Aber einmal habe ich in Berlin bei Karstadt an der Wühltheke nach einer Jeans geschaut, da merkte ich, dass mich zwei Männer beobachteten. Sagte der eine: "Guck mal, das ist doch die Bergmann-Pohl." Sagte der andere: "Das kann nicht sein, das hat die doch gar nicht nötig."

Interview: André Groenewoud print

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