Berlin Fashion Week Fetische in Fahrt

  • von Viola Keeve
Frozen Hibiscus oder Bat Attack sind keine hippen Bandnamen, sondern Designer der etwas anderen Art. Passend dazu präsentieren sie ihre Gothic-, Rock'n Roll- und Fetischware auf dem "Underground Catwalk", dem längsten fahrenden Laufsteg der Welt.

Eigentlich alles wie immer im Untergrund Berlin Alexanderplatz: Menschen eilen kreuz und quer durch das mintgrün gekachelte Gewölbe zu den U-Bahn-Linien U8, U2 und U5. Wären da nicht diesmal die Fernsehkameras, die Menschentraube aus Schwarz gekleideten Gästen mit roten oder violetten Haaren, ausrasierten Nacken, High Heels, Lackmänteln, Piercings und Tattoos - und ein gelber U-Bahn-Zug, leer und abgesperrt mit rot-weißem Band. Dazwischen seltsam, wie aus der Zeit gefallen, BVG-Mitarbeiter in preußischem Ordnungsblau mit Mütze und Krawatte, die die illustren Gäste davor bewahren sollen, auf die Gleise zu fallen. Plötzlich wird die Fotografenmeute hektisch: Denn Verona Pooth schreitet im niedlichen goldenen Sixtieskleidchen mit schwarzer Bluse, schwarzer Leggins und Sonnenbrille im Haar die hässliche Steintreppe herunter, posiert, kichert und steigt in das VIP-Abteil der Linie U5.

Dort sitzen schon andere Promis: Regisseur Oskar Röhler ("Elementarteilchen") in schwarzem Anzug und Handballer Stefan "Kretzsche" Kretschmar (14 Tattoos, sieben Piercings, in Augenbraue, Nase, Ohr, Bauchnabel und Zunge), lässig, entspannt mit Jeans, Sweater und metallbeschlagenen Knobelbecherstiefeln. Er, der gerade seine Karriere als Spieler beendet hat, ist der Schirmherr des Events "Underground Catwalk", der zum zweiten Mal während der Berliner Modewoche stattfindet. "Die Veranstalter mussten mich nicht lange überreden, die Idee zu unterstützen. Auch für meine eigene Fashion Linie KR-73 und einige befreundete Labels, deren Klamotten ich gern trage, ist das eine optimale Plattform, fernab der meist etwas trockenen Modenschauen. Der Underground Catwalk ist für mich sicherlich die spannendste Modepräsentation der Fashion Week!", so Kretzsche.

Models auf zwei Rädern

Gut gelaunt wirkt er, scherzt, staunt und grinst, als die 20 Models der Agentur Rockstar Models auf ihren Rollerskates und Plateausohlen durch den ratternden Zug wanken. Erst sie machen die Schau zum Erlebnis, endlich keine kargen, dürren, spaßbefreiten Anziehpuppen wie sonst, sondern Charaktere, schillernd, offen und schrill. Durch den Zug dröhnt Ideal "Ich fühl mich gut, ich steh auf Berlin", eine Coverversion von Kraftwerks "Das Model" und Nancy Sinatras "These boots were made for walking".

Zwischen großen, breitschultrigen, pockennarbigen Bodyguards in schwarzen Anzügen winden sich die "Ladies in Plaste", wie ein Gast staunend bemerkt. Getränkeengel mit Shorts und weißen Flügeln servieren Prosecco aus Dosen und klebrig süße Energiedrinks aus weißen, krankenhausartigen Plastikbeuteln. Vom kleinen BVG-Bildschirm lächeln traut vereint zwei bekannte Partymotten, Bürgermeister Klaus Wowereit und Topmodel Eva Padberg. Und über einem Fahrgast im VIP-Waggon hängt - sehr bizarr - ein Aufruf der Firma Bioskin, die für eine Studie dringend Männer und Frauen mit Haarausfall, Schuppenflechte, Neurodermitis und Fußpilz zwischen den Zehen sucht.

Redcat 7 mit Marie-Antoinette-Perücken

Als der Sonderzug an der Heinrich-Heine-Straße am Ende hält, unter dem Sage Club, in dem die After Show Party am Pool steigt, stehen zwei große, üppige Models von Redcat 7 mit Marie-Antoinette-Perücken, wunderschönen altrosa Roben mit Korsagen und schwarzen Fransen vor dem Ticketautomaten. Neben ihnen wartet ein Model im blauweißen Fifties-Trägerkleid von Frozen Hibiscus und eines im edlen Leoparden-Lederkorsett von Atemlos Design zwischen leicht irritierten türkischen Jugendlichen, jüngeren Frauen mit Kindern und Kopftüchern und älteren Flaschensammlern mit Strickwesten und Plastiktüten, die die Mülleimer durchkämmen, auch das gehört zum Gesicht von Berlin.

Schon deshalb wirkt der "Underground Catwalk" wie eine bunte, erfrischende Abwechslung zur sonst eher ernsten, gediegenen Modewoche in der Hauptstadt, Subkultur in doppeltem Sinn. Das hat schon Charme, mit Verona und Kretzsche im Lack- und Latexexpress durch den Berliner Untergrund zu ruckeln, bestaunt und belächelt von Passanten an den Stationen Jannowitzbrücke, Hermannplatz und Heinrich-Heine-Straße. Für den Veranstalter hat sich die Idee schon jetzt gelohnt: "Die 300 Gästetickets waren schon nach zwei Tagen ausverkauft", sagt Organisator Alexander von Hessen der Berliner Agentur Alternative Media & Events.

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