M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Merzflix: Jede Woche eine neue Folge "Was hat er diesmal gemeint?"

  • von Micky Beisenherz
Micky Beisenherz über Friedrich Merz
Unser Kolumnist Micky Beisenherz wundert sich über die verbalen Aussetzer des Bundeskanzlers
© stern-Montage: Fotos: Henning Kretschmer / stern; KI-Generiert / Nikolas Janitzki, Dpa (1), Adobe Stock (2)
"Was hat er sich dabei wohl gedacht?" Wenn Micky Beisenherz Bundeskanzler Friedrich Merz reden hört, kommt ihm eine alte TV-Reihe in den Sinn.

Man muss dem Mann dankbar sein. Er bringt die Leute zusammen. Linguisten wie einfache Bürger stehen staunend vor Zitaten des Kanzlers und interpretieren sich förmlich wund. Ein interdisziplinärer Volkssport. Wie einst in der Sendung "1000 Meisterwerke" analysieren die mehr oder weniger Gelehrten den Kanzlersatz einem Kunstwerk gleich und fragen sich: "Wie hat er's wohl diesmal gemeint?"

In erstaunlichem Tempo hat der Mann eine Anzahl von Bangern hingelegt, die ihn zu einer Art Haftbefehl des Konservativismus gemacht haben. Hits wie "Kleine Paschas", "Die Deutschen kriegen keine Termine mehr beim Zahnarzt" und die frisch abgeschwollene "Stadtbild"-Debatte füllen ein eigenes Best-of-Album.0

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Googelst du "Merz", bietet die Autovervollständigung direkt "Empörung" an. Und der Mann liefert beständig, zuletzt auf einem Handelskongress in Berlin. Da wusste er, frisch vom Klimagipfel in Brasilien zurückgekehrt, über den Austragungsort Belém zu berichten, dass alle mitgereisten Journalisten froh gewesen seien, wieder nach Deutschland zu dürfen. Das war vermutlich die Wahrheit. Aber keine, die man so deutlich hätte aussprechen müssen.

Für das überreizte Internet ging zur Vorweihnachtszeit der Stern von Belém auf. Der angefressene Bürgermeister der Metropole reagierte so besonnen wie handelsübliche Berliner AktivistInnen ("Hitler!", "Nazi!"), und der Rest Deutschlands ächzte kapitulierend: "Ach, Merz." Andere sparten sich die Puste, wissend: Als Nächstes ist der Kanzler beim G20-Gipfel. In Johannesburg.

Nun könnte man zur Kanzlerentlastung anführen, dass Brasiliens Präsident Lula den Austragungsort Belém bewusst gewählt hat, um auf die dramatischen Folgen des Klimawandels für die Lebensqualität der Menschen hinzuweisen. Insofern hätte Merz die Botschaft freundlicherweise in die Welt getragen.

Micky Beisenherz: Wer alles nicht so meint, ist am Ende nicht ernst zu nehmen

Leider entfahren dem robusten Sauerländer immer wieder grobe sprachliche Skizzen, sodass man sich fragen muss: Ist der Mann einfach nur denkfaul oder hat er immer noch nicht begriffen, in welcher medialen Wirklichkeit er sich befindet?

Hat man in analogen Zeiten Blödsinn noch abtun können mit "Das versendet sich", bleibt im Multimedia-Zeitalter jeder noch so kleine Blödsinn im Internet hängen wie Hundekot im Wohnzimmer-Flokati. Da entpuppt sich der "brillante Rhetoriker" Merz (wer hat das eigentlich in die Welt getragen?) als Klempner der Sprachmacht, der an einem kernigen Zitat noch drei Tage nacharbeiten muss, bis allen klar ist, was er damit eigentlich sagen wollte.

Unsere Verstörung mag daran liegen, dass Merz die Impulskontrolle von einem Rottweiler auf einem Kreuzberger Kinderspielplatz hat. Möglicherweise haben uns die letzten rund 20 Jahre schlicht abgestumpft, dank einer Kanzlerin Merkel, Sternzeichen "Vage", und ihres Teflon-rhetorischen Nachfolgers Scholz, der Sphinx aus Osnabrück.

Wir dürfen auch happy sein mit einem Friedrich Merz, der so anders als sein Vorgänger deutlich Absichten formuliert. Wer das tut, dem darf man zutrauen, die Dinge zum Besseren zu wenden und anzupacken. Merz sollte nur begreifen, dass die Dinge, die ich in Raum A sage, auch in Raum B gehört werden. Dann sollte man auch dazu stehen können, ohne anschließend zerknirscht sagen zu müssen: "War nicht so gemeint." Wer alles nicht so meint, ist am Ende nicht ernst zu nehmen.

Deshalb gelten auch und besonders für den Kanzler die weisen Worte von Harry Rowohlt: Sagen, was man denkt. Und vorher etwas gedacht haben.

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos