M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Prostlos – wie Cafés und Kneipen aus den Städten verschwinden

  • von Micky Beisenherz
Eine Kneipe in Hamburg: Die Leute sehnen sich nach tresenhafter Zuwendung, meint Micky Beisenherz
Eine Kneipe am Hamburger Großneumarkt: Die Menschen sehnen sich nach dieser tresenhaften Zuwendung, meint Micky Beisenherz
© privat
Einstige Lieblingsorte unseres Kolumnisten Micky Beisenherz werden durch Billigbuden ersetzt. Warum nur scheinen Behörden die Bar- und Cafébetreiber zu hassen?

Stell dir vor, es ist Adventskalenderzeit – und alle Türen gehen zu. Wenn mich dieser Tage Wehmut umflort, ist das nicht dem Glühwein oder Wham geschuldet. Vielmehr bedrückt es mich zu sehen, wie lieb gewonnene Institutionen schließen. So hat das "Café Ferdinand" dichtgemacht. Ein Ort, der mir stets als Orientierung diente, allen zu erklären, wo in Bochum meine Wohnung lag: "Einfach nur am 'Café Ferdinand' rein und dann die Straße rauf." Den Weg kannte jeder. Jetzt ist der Laden dicht. Die neuen Besitzer der Immobilie erhöhten die Miete auf groteske Art und benahmen sich insgesamt, nun ja, wenig weihnachtlich. Ein schönes Café weniger, in das man dieser Tage hätte einkehren wollen, um sich vor dem Besuch bei den Eltern die nötige Gelassenheit anzutrinken oder das Fehlen von Freunden zu kaschieren. Ich saß da gern, trank nach dem Fußball ein Helles, hörte den Leuten zu. Nun ist es weg. Auch weg.

Micky Beisenherz: eine Hommage an die Eckkneipe

Das "Café Ferdinand" ist überall. Oder war überall. In München-Schwabing ging ich gern ins "Occam Deli". Dieses sensationelle Trüffel-Omelette und die coolen Jungs vom Service ließen mich durch die halbe Stadt dorthin latschen. Hier war nicht nur die Eierspeise hochkalorisch. Das ganze Viertel kam mir hier so saftig und gebuttert vor. Essen, trinken, gucken. 2024 um diese Zeit mussten sie schließen. Die Vermieter hatten plötzlich die Miete verschlimmfacht. Die Betreiber einer internationalen Fresskette hatten kein Problem damit.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Was haben wir eigentlich verbrochen, dass unsere Viertel mit seelenlosen Burgerläden zugemüllt werden? Haben wir nichts Besseres verdient? Warum lassen Bürgermeister und Kommunen es zu, dass allen Betreibern von Gastronomien und Einzelhändlern die Lebensader abgeklemmt wird? Dein Laden in Hamburg läuft gut, obwohl du bereits 90 Stunden die Woche arbeitest? Knallen wir dir doch einfach mal für die nächsten sechs Monate ein Gerüst davor, sodass einfach NIEMAND mehr spontan einkehren mag.

Ein befreundeter Gastronom bekam aus dem Nichts eine Steuerprüfung und muss aus der leeren Hose 30.000 Euro nachzahlen. Darum kann er sich kümmern, während er alleine an der Maschine steht, weil seit Corona deutschlandweit sämtliches Personal in einer Aerosolwolke vom Arbeitsmarkt geweht wurde. Meine Stammkneipe wird von einem übereifrigen Ordnungsbeamten mit Selbstwirksamkeitssehnsucht genervt, der sie zwingen will, ihre 60.000 Euro teure Markise gegen eine neue auszutauschen, die dem Denkmalschutz entspricht. Und dem Betreiber eines Restaurants in meiner Heimat hatten sie über Nacht den philippinischen Koch abgeschoben, weil ein übereifriger Innenminister seine Fangquote erhöhen will. Man möchte annehmen, die Städte schicken quartalsmäßig ihre Profikiller los, die letzten tapferen Kaufleute zu erledigen.

Die einzig noch gut laufende Kneipe, so scheint es, ist die von "Inas Nacht", nicht nur, weil jeder die tolle Ina treffen will, sondern auch, weil Menschen sich nach dieser tresenhaften Zuwendung sehnen.

Digitale Netzwerke ersetzen analoge Begegnungsräume 

Wenn schon Stadtbilddebatte, dann gerne darüber, warum Innenstädte nur noch aus Chinamüll-Verklappungsstationen, Franchise-Fressvorhöllen oder LAP-Coffee-Verrichtungsboxen bestehen. Eine unselige Troika aus Bürokratie, Baustellen und unregulierter Gier schamloser Vermieter, die in den allgemeinen "Die Anderen machen's doch auch"-Vibe einstimmen. Eine Missachtung, die sich rächt. Kein Zufall, dass der Aufstieg digitaler Netzwerke, dieser den politischen Diskurs zersetzenden Erregungsinkubatoren, parallel zum Kneipensterben begann. Da, wo analoge Begegnungsräume verschwinden, blicken Menschen vereinsamt in den digitalen Zerrspiegel X oder Facebook.

Wenn Sie im nächsten Jahr mit Ihrem Betrieb die Weihnachtsfeier begehen wollen, ziehen Sie besser mal Hölzchen, in wessen Wohnzimmer sie stattfinden soll. Das Stammlokal dürfte längst dicht sein. Aber möglicherweise hat sich das mit Ihrem Betrieb auch erledigt.

Als ich in den Lokalnachrichten las, dass in der Castroper Kneipe "Kulisse" einer randaliert hat, dachte ich nur: Ach, schön. Wenigstens die gibt's noch. Fast ein wenig tröstlich, dass Künstler wie Zartmann neuerdings ihre Musikvideos in alten Eckkneipen drehen, weil sie diese anheimelnde Ästhetik so anspricht. Wenn sie nach dem Dreh noch dortbleiben und ein paar Freunde anrufen, öffnen sich vielleicht auch wieder ein paar Türchen.

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