Eine Stunde Wartezeit macht biestig: "Wie alt ist die jetzt eigentlich?" fragt ein genervter Fotograf seinen Nachbarn. "Die Campbell? Mitte, Ende 40. Naomi, die Model-Omi." Das stimmt zwar nicht ganz - Naomi feiert im Mai ihren 38. Geburtstag - aber wer dutzende Fotografen, Kameramänner, Journalisten zusammengepfercht vor einer Pressetribüne mehr als eine Stunde lange warten lässt, braucht sich über hämische Kommentare nicht wundern. Es ist Tag zwei der Berlin Fashion Week und Veranstalter IMG hat sein Aushängeschild Naomi Campbell als Moderatorin der Pressekonferenz einfliegen lassen. Nicht ganz ungefährlich, gilt das Topmodel in der Branche als unberechenbar und schwierig. Bei der Eröffnungsshow von Hugo am Sonntagabend blieb ihr Platz jedenfalls leer.
Auch im alten Postbahnhof, der neuen Location für die Modeschauen, macht sich Nervosität breit. Die Presse ist genervt, erste Fotografen rebellieren: "Lasst uns doch wenigstens schon mal zum Laufsteg gehen, ich hab kein Bock mehr hier drauf", schimpft ein Reporter. Manche Kollegen buhen. Doch so einfach ist das nicht. Zwar ist es bereits 13.20 Uhr, in vierzig Minuten möchte Victoria Strehle ihre Strenesse-Blue-Kollektion zeigen, doch solange Miss Campbell die Schauen nicht eröffnet hat, kann eben nichts beginnen. Auch die PR-Menschen sind genervt, alles wird sich nach hinten verschieben, Organisationschaos.
Zucker für die Zicke
Dann schließlich, erst ein Raunen, Lichter blitzen und Naomi Campbell ist da. Im Schlepptau Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf, Joop-Designer Dirk Schönberger und Eva Padberg. Aber das tut nichts zur Sache, da alle nur Naomi sehen wollen. Da ist auch eine Padberg, eigentlich offizielle Gallionsfigur der Fashion Week, nur Nebensache. Was dann passiert, beweist, dass eine schöne Frau sich eben alles leisten kann. Campbell, im cremefarbenen Miniröckchen und Stiefeln mit Bleistiftabsätzen, positioniert sich schüchtern lächelnd vor der brüllenden Fotomeute und haucht scheu ins Mikrofon: "Sorry for being late". So das war's. Noch ein Augenaufschlag von unten und schon ist der Reporter-Ärger verflogen. Von Boykott keine Spur mehr. Jetzt geht es nur noch darum, wer das beste Foto des Fräuleinwunders bekommt. Naomis Lobeshymne auf die Berliner Initiatoren, die junge Talente fördern und ihnen mit der Modewoche eine Plattform bereitstellen, wird von "Naomi here", "left please", "give me a smile"-Rufen unterbrochen.
Doch wer Naomi Campbell bisher nur als prügelnde Zicke kannte, ist verblüfft von ihrem Liebreiz. Als sie sich von ihrem erhöhten Regiestuhl erhebt - ihre Beine sind die einzigen, die lässig bis zum Boden reichen - fällt das Mikro mit lautem Knall zu Boden. "Ups, hatte ganz vergessen, dass das noch in meinen Schoß lag", säuselt sie. Und als sie verbaselt, an Joop-Designer Dirk Schönberger zu übergeben: "Ups, ganz vergessen, Dirk anzukündigen." Unfähig, aber irgendwie niedlich dieser Kleinmädchencharme. Von Model-Omi keine Spur.
"Bucht mehr farbige Models"
Da schaut selbst Kollegin Eva Padberg verdutzt: "Jaja, ich weiß schon, warum ihr heute alle so zahlreich erschienen seid", sagt sie mit Seitenblick auf ihre Kollegin, aber man möge doch bitte die schöne Mode nicht vergessen. Findet auch Campbell und mahnt die Fotografen, die Rede der anderen nicht immer mit Naomi-Rufen zu unterbrechen. Aber so ist das nun einmal, wenn man im Mittelpunkt des Interesses steht. Nachdem die Vertreter der Politik, Veranstalter und Designer zu Wort gekommen sind, hat Naomi dann doch noch eine Botschaft zu verkünden: "Ich möchte die Designer daran erinnern, auch farbige Models zu buchen, denn die sind in den letzten Jahren im seltener auf dem Laufsteg". Nun hat Campbell die Journalisten endgültig auf ihrer Seite, statt Buhrufen schallt es Applaus.
Nach zwanzig Minuten ist der Spuk dann auch wieder vorbei. Das Supermodel haucht ein letztes "And sorry again for being late" ins Mikro und schwebt von dannen. Die anschließende Schau von Strenesse besucht sie zwar nicht mehr - die Aufmerksamkeit gehört wieder ganz Promis wie Franziska von Almsick, Mika Häkkinen und Eva Padberg - aber angeblich soll sie noch hinter dem Catwalk ihren Charme versprüht haben. Und das ausnahmsweise mal im wörtlichen Sinne.