Wenn Gérald Kidd Berlins Secondhandläden durchstöbert, arbeitet er sich mit geübten Griffen durch die Ständer voller abgelegter Kleider. Bunte Muster schiebt er achtlos zur Seite, ebenso Modelle, deren Stoffe bereits verschlissen sind. Sein Jagdtrieb gilt Stücken, die Logos von Yves Saint Laurent, Chanel oder Lanvin im Innenfutter tragen. Der 31-Jährige ist kein Markenfetischist, sondern Couture- Designer: Aus gebrauchter Luxusmode schneidert er Unikate.
Kidd gehört zu der Riege junger Kreativer aus Berlin, die sich als Thirdhand- Couturiers bezeichnen und auf das Umgestalten von Altkleidern spezialisiert sind. Ob Designerstücke oder No-Name- Klamotten zu Kilopreisen - sie zerschneiden, flicken und färben, was ihnen in Secondhandläden, auf Flohmärkten und in Internet-Auktionshäusern in die Hände fällt. Ihre Mode entspricht dem, was gefragt ist: cooles, nachhaltig gefertigtes Design. Gekauft werden die aufgewerteten Entwürfe nicht nur von den Lohas, den modernen Ökofans also, sondern auch von Leuten, die sich mit individueller Mode abheben wollen.
"Unsere Entwürfe sind bewusst aus alten Stoffen gefertigt", sagt Kidd. "Es werden heute Unmengen neuer Gewebe produziert, dabei sind gebrauchte Baumwolle, Leinen oder Seide oft von wesentlich besserer Qualität."
Nicht nur Privatleute kaufen Secondhand
Probleme, an geeignete Ware heranzukommen, haben die Modemacher nicht. Etwa 300 Millionen Kleidungsstücke werden jährlich von deutschen Haushalten ausrangiert. Was nicht zu Putzlappen recycelt oder in Dritte-Welt-Länder verschifft wird, landet in Secondhandläden. "Vor allem in wirtschaftlich schlechten Zeiten sind Altkleider gefragt", sagt Daniela Kaminski, Geschäftsführerin von "Second-Hand vernetzt". 1500 Läden sind in ihrem Verein organisiert, und immer wieder höre sie, dass nicht nur Privatleute dort einkaufen, sondern auch Modemacher. "Secondhandläden sind für sie wie ein Schlaraffenland, in dem sie günstig an hochwertige Stücke herankommen", sagt Kaminski.
Auch Gérald Kidd, der während seines Modestudiums in Antwerpen ständig pleite war, kam so zur Thirdhand-Couture. Heute ist jedes seiner Einzelstücke, die nur auf Bestellung erhältlich sind, aus Gebrauchtmode gefertigt. Er zerschneidet die 50 bis 100 Euro teuren Designerkleider in ihre Bestandteile, um verschiedene Modestile sowie teure und preiswerte Modelle zu mixen. Stolz verweist Kidd auf seine Mini-Kollektion, für die er Chanel-Blusen verschiedener Jahrzehnte miteinander kombiniert hat. Herzstück ist ein grünes Cape, das aus fünf Hemden gefertigt ist. An den Rücken einer Harlekin-Bluse aus den 80er Jahren hat er gemusterte Vorderteile aus den Sechzigern und Siebzigern genäht. "Jedes Teil erzählt für mich eine Geschichte", sagt der Designer, der für jedes Stück etwa zwei Wochen benötigt. "Ich bündele sie und füge ihnen mit meiner Arbeit ein neues Kapitel hinzu."
Alte Anzughosen werden zu Beinkleidern
Weitaus preiswerter als die Kidd-Kleider, die zwischen 250 und 1800 Euro kosten, sind die Entwürfe von Daniel Bixel. Der 24-Jährige arbeitet alte Anzughosen zu Beinkleidern um, die oben weit sind und an den Unterschenkeln eng zusammenlaufen. Kostenpunkt: 140 Euro. Verkauft werden die Stücke in Läden wie dem Weißen Raum in der Mulackstraße in Berlin und bei Anberg in Hamburg. "Ich versuche, ähnliche Stücke in großen Mengen zu finden", sagt der Designer. "So kann ich kleine Serien herstellen."
Auch wenn man sich in Berlin gern damit schmückt, mit Armut kreativ umzugehen - der Thirdhand-Trend stammt nicht von dort. Das Pariser Künstlerkollektiv Andrea Crews machte bereits 2002 mit flippig greller Dritthandmode auf sich aufmerksam. Während einer Performance im Museum Palais de Tokyo gestaltete es aus einem Berg ausrangierter Klamotten Einzelstücke. Das Kunstprojekt entwickelte sich zu einem Modegeschäft. Obwohl die Gründerin Maroussia Rebecq behauptet, ihre Recyclingstücke seien ein Protest gegen den heutigen Massenkonsum, arbeitet sie seit Kurzem mit dem Sportartikel- und -modehersteller Nike zusammen, der dem Schneiderkollektiv ausrangierte Stücke zum Umgestalten zur Verfügung stellt.
Für die meisten Thirdhand-Macher käme eine solche Kooperation nicht infrage. "Ich fühle mich verpflichtet, nachhaltige Unikate zu entwerfen", sagt Gérald Kidd. "Gleichzeitig mit Massenherstellern zusammenzuarbeiten - das halte ich für inkonsequent." Bleibt abzuwarten, wie Kidd entscheidet, wenn ein großes Label bei ihm anklopft ...