Um das Problembewusstsein zu schärfen, hier eine Version der Schöpfung, wie sie hätte auch aussehen können:
Gott machte also Licht und Himmel, Erde und Wasser, Menschen und Tiere. Dann ruhte er. Und als er erwachte, lag die Welt gleich zweimal zu seinen Füßen. Fassungslos bemerkte er, dass es sich bei einer davon um eine exakte Kopie der anderen handelte, die allerdings deutlich schlechter verarbeitet war. Die Ränder der Flüsse und Meere waren so unsauber, dass es bereits erste Hochwasser gab. Und am Südpol entdeckte er ein Schild: Die Erde - 70 Prozent günstiger. Made in China.
Wenn wir uns kurz in Gott hineinversetzen, spüren wir eine deutliche Verärgerung. Hatte er sich das nicht alles ausgedacht? Hatte er nicht herumgetüftelt, bis jeder Stein im Yosemite- Nationalpark an seinem Platz war und auch die Pinguine endlich begriffen hatten, wie dieser Watschelgang funktioniert? Und nun das: die billige Version seiner genialen Idee auf dem Grabbeltisch des Universums.
Jetzt könnte man sagen: Was soll's? Gott hat nur sechs Tage dran gearbeitet! Beim Möbeldesign dagegen dauert es Jahre, bis aus einem ersten Gedanken ein Entwurf und schließlich ein fertiges Produkt geworden ist. Weshalb das Klauen von feinen Ideen anderer Leute in diesem Bereich besonders schäbig ist. Genau wie das Kaufen der nachgemachten Möbel, wie man sie im Internet oder auch bei Händlern erhält, die nonchalant fragen, wer eigentlich perfekt sei. Es fühlt sich übrigens auch für Menschen ohne Respekt vor geistigem Eigentum schäbig an. Weil üblicherweise bei den verwendeten Materialien und bei der Verarbeitung so lange gespart wird, bis man von gutem Design gar nicht mehr reden kann.
Ich weiß das genau, ich besaß nämlich auch schon mal ein Plagiat. Von einem weißen Thonet-Freischwinger. Auf dem Flohmarkt erworben. Leider war es ein ziemlich schlechter Nachbau, irgendetwas stimmte mit dem Winkel der Sitzfläche nicht. Man musste die Füße mit den Kufen verknoten, um nicht gleich wieder herunterzurutschen. Ich fand ihn trotzdem wunderschön. Weshalb ich weiter auf ihm saß und bald begann, auch auf Stühlen, die besser konstruiert waren, auf idiotische Art meine Beine zu verknoten. Ich war jung, ich wusste es nicht besser, ich besaß damals auch BAP-Platten.
Was aber ist mit demjenigen, der bei vollem Bewusstsein Plagiate kauft? Muss man es ihm übel nehmen, wenn er kein Geld für ein Original ausgeben möchte, nur weil er die Kopie bei Ebay billiger bekommt? Wir gehen einfach mal davon aus, dass Menschen, die sich für Arne Jacobsen, Mies van der Rohe, Le Corbusier und Wilhelm Wagenfeld interessieren, selten an der Verarmungsgrenze leben. Entscheidungen wie: "Apfel aus dem Bioladen oder von Aldi?" oder "Stuhl von Thonet oder von Möbel Kraft?" sind keine existenziellen Fragen, sondern solche der Prioritäten. Weswegen wir gerne Adorno abwandeln würden: "Es gibt keinen wahren Sitzkomfort auf dem falschen Stuhl."
Am ehesten zu tolerieren sind die Leute, die angesichts meines Moormann-Regals rufen: "So eines hat Björn/ Alexander/Harald für uns auch gebaut!" Allein das handwerkliche Geschick verdient Respekt. Wobei man nicht damit rechnen sollte, dass Nils Holger Moormann, der Besitzer der Herstellerfirma, diese Meinung teilt. Immerhin hat er schon Ikea verklagt, weil dort seine Tischböcke "Taurus" nachgebaut und als "Sture" angeboten wurden. Nach zwei Jahren Nervenkrieg musste Ikea die Böcke vom Markt nehmen. Eine schöne Geschichte: Kleine, innovative Firma gewinnt gegen dreist kopierenden Branchenriesen.
Oft liegen die Dinge komplizierter. Wie das Beispiel vom Lampendesigner zeigt, Freund einer Freundin, der sich schrecklich aufregt, wenn wieder mal jemand seine Entwicklungen geklaut hat. Vielleicht verliert er dadurch so viel Geld, dass es bei ihm zu Hause nur noch für Nachbauten reicht. Dort steht näm-lich der eines Vitra-Sofas. Die Freundin weiß übrigens nicht, ob das Sofa bequem ist. Wir sitzen da nie drauf, sagt sie. Wahrscheinlich muss man die Beine verknoten, um nicht herunterzurutschen.