stern-Titel Warum ausgerechnet der "Barbie"-Film eine neue Debatte über wahre Männlichkeit anstößt

stern-Cover zum Thema Männlichkeit
Das Titelthema der aktuellen stern-Ausgabe handelt von der Suche nach wahrer Männlichkeit
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"Wann ist ein Mann ein Mann?" Moritz Herrmann, Autor der aktuellen stern-Titelgeschichte, versucht sich an einer Antwort. Außerdem: ein Blick auf die Affäre Aiwanger.

Die erste CD, die ich mir in meinem Leben gekauft habe, heißt "Bochum", von Herbert Grönemeyer. Was haben wir die Zeilen dieses Albums mitgegrölt, darunter: "Wann ist ein Mann ein Mann?", ohne irgendeine Ahnung, wie diese Frage zu beantworten wäre. Wir waren schon völlig damit überfordert, ein Mann zu werden, was auch immer das heißen mag.

Ist es heute leichter geworden? Die ganze Welt stürmt in einen Film, der "Barbie" heißt und der ebenso sehr um Ken kreist. Jenen nicht ganz so hellen blonden Jüngling, dem irgendwann dämmert, dass er für Barbie kaum mehr ist als ein austauschbares Accessoire – und der sich auf die Suche nach einer Welt macht, in der Männer, auch die nicht ganz so hellen, ein natürliches Recht auf Vorherrschaft haben. Doch eben diese sollen Männer künftig nicht mehr automatisch haben, schon gar nicht die berüchtigte Spezies der alten weißen Männer. Das führt dazu, dass manche Männer die Welt nicht mehr verstehen, etwa Karl-Heinz Rummenigge, Ex-Fußballer. Der konnte die Kritik am Präsidenten des spanischen Fußballverbands für dessen Kuss auf den Mund der Weltmeisterin Jennifer Hermoso so gar nicht nachvollziehen. Er habe auch schon im Überschwang der Gefühle Männer geküsst, erklärte Rummenigge, Emotionen gehörten im Fußball dazu. Na, wenn das so ist, stellen wir uns in den Worten von Annalena Baerbock alle einfach mal vor, Angela Merkel hätte Philipp Lahm nach dem WM-Gewinn 2014 abgeschleckt. Merkt Rummenigge es selber?

Unser Titelautor Moritz Herrmann ist ein Mann in den besten Jahren, wenn man das noch so sagen darf, 35 Jahre, Vater einer sechsjährigen Tochter. Ob er die Grönemeyer-Frage beantworten kann, müssen Sie nach der Lektüre selbst entscheiden. Aber Vorsicht: Sie könnten danach einen Ohrwurm haben. "Wann ist ein Mann ein Mann?", Sie wissen schon. 

Wie schwer Aiwanger eine glaubhafte Distanzierung vom ekligen Inhalt des Schreibens fällt!

Als Mannsbild hat sich auch der Aiwanger Hubert gern inszeniert. Dem Chef der Freien Wähler ist es in Bayern sogar gelungen, ein Alphamännchen wie Markus Söder neben sich ein bisschen verweichlicht aussehen zu lassen. Söder kokettiert, er habe zwei linke Hände, deswegen habe er Politiker werden müssen. Hubert, Landwirtssohn, packt hingegen gern an, selbst mit der Mistgabel (und könnte sich mit der notfalls auch die Demokratie zurückholen). Eine Enthüllung der "Süddeutschen Zeitung" über ein antisemitisches Flugblatt stellt nun die Frage, ob sein Weltbild schon früh ziemlich abwegig war. Aiwanger behauptet, sein Bruder habe das Schreiben verfasst, in dem es um einen Wettbewerb geht, bei dem als erster Preis ein "Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz" winkt. Er habe es nur in der Tasche mit sich geführt und dafür die Strafe kassiert, weil er niemanden "verpfeifen" wollte.

Manche versuchen, nun einen Medienskandal zu entfachen, die "SZ" habe unfair berichtet. Aber im Kern sind die wichtigsten Vorwürfe bestätigt, und Aiwanger hatte früh jede Gelegenheit, sich zu erklären, was er aber verweigerte. Der wahre Skandal ist ohnehin ein anderer: wie schwer Aiwanger offenbar eine glaubhafte Distanzierung vom ekligen Inhalt des Schreibens fällt. Mit einer "Jugendsünde" hat das nichts zu tun. 

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Erschienen in stern 36/2023