Dieser Artikel erschien erstmals in Ausgabe 05/2013 und ist Teil unserer #BESTOFNEON-Reihe.
Das weinrote Betttuch ist voller kurzer schwarzer Haare. Michael Kiok liegt auf der Seite. Ein graues Poloshirt spannt am Bauch. In der linken Hand hält er eine Tüte Erdnussflips. Ein paar Flips in den Mund, ein paar für Cessy. Mit der rechten Hand streicht Kiok über ihren Körper. Cessy beugt sich über sein Gesicht. Leckt mit ihrer langen Zunge nach Kioks Lippen. Die Zungen spielen in der Luft miteinander. Nach ein paar Minuten springt Cessy vom Bett. Michael Kiok setzt sich auf, lächelt und wischt ihren Speichel vom Kinn. "Das ist eines unserer Rituale. Cessy bekommt immer die letzten Erdnussflips aus der Tüte", sagt Michael Kiok und wird rot im Gesicht.
Mehr als neun Millionen Hundebesitzer in Deutschland gehen mit ihren Hunden Gassi oder bringen ihnen Kunststücke bei. Für Kiok ist es normal, Cessy auch zwischen den Beinen zu streicheln. Etwa 100.000 Männer und Frauen in Deutschland fühlen sich sexuell zu Tieren hingezogen, schätzt Kiok. Tierschützer und Behörden wollen offiziell lieber keine Schätzung abgeben.
Jedenfalls, das erfährt man von Michael Kiok, haben viele der Menschen, die sich zu Tieren hingezogen fühlen, auch regelmäßig Sex mit ihnen. Mit Katzen. Hunden. Pferden. Männlich. Weiblich. Missionarsstellung. Oral. Masturbation. Doggy Style.
Der Bundestag will Michaels Beziehung illegal machen
Es ist halb elf am Donnerstagabend, dem 13. Dezember 2012 im Bundestag in Berlin. Nur wenige Abgeordnete sind noch anwesend. Einer der letzten Punkte der Tagesordnung, die Novelle des Tierschutzgesetzes, erzeugt Unruhe: Neben der Kastration von Ferkeln und dem Brandzeichnen von Pferden ohne Betäubung soll der sexuelle Kontakt zwischen Menschen und Tieren verboten werden. Klatschen. Murmeln. Zwischenrufe. "Ich meine, wir sollten uns wenigstens dahingehend einig sein, dass derjenige, der ein Tier für seine abartigen sexuellen Neigungen missbraucht und dabei dem Tier Schmerzen zufügt, bestraft werden soll", sagt Hans-Michael Goldmann, der Sprecher für Tierschutz der FDP-Bundestagsfraktion.Bei seiner Rede für das neue Gesetz ist er der Einzige, der das Wort "Zoophilie" ausspricht. "Das hat nichts mit der Liebe zu einem Tier zu tun", sagt Goldmann und bekommt Beifall von den Abgeordneten.
Goldmann ist Tierarzt, und Kollegen haben ihm unzählige Fotos von Missbrauchsfällen gezeigt. "Mit dem Verbot wird die Ahndung erleichtert und der Schutz der Tiere erhöht", sagt er. Die Regierungsfraktionen stimmen für das Gesetz. Sex mit Tieren wird strafbar. Wer das Gesetz bricht, wird bis zu 25 000 Euro zahlen müssen – sobald Bundespräsident Joachim Gauck das Gesetz unterschrieben hat und es im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wird.
Aus Michael Kioks Sicht verläuft der Verkehr in beiderseitigem Einverständnis
Michael Kiok lebt in einem fünfzig Quadratmeter großen Holzhaus in der Ortschaft Welver nahe Hamm in Westfalen. Mit seinem Kopf kann Kiok fast die Decke berühren. Die einzigen Nachbarn, die direkt an seinem Grundstück leben, sind Kühe. Im Frühling und Sommer.
Die Kühe haben ihn zuerst kaltgelassen, jetzt freut er sich, wenn sie bald wieder auf der Weide stehen. "Die haben schöne Augen und sind gar nicht so unattraktiv, wie ich zuerst dachte", sagt Kiok.
Cessy läuft ins Wohnzimmer. Sie legt beide Vorderpfoten auf die obere Ecke der Matratze.
Sie blickt Kiok in die Augen. Die linke Pfote streckt sie nach seinem Arm. Das ist das Zeichen. "Jetzt nicht, wir haben Gäste", sagt Kiok und streichelt Cessy über den Kopf. Was er jetzt nicht macht, tut er sonst zwei- oder dreimal in der Woche: Cessy befriedigen. Dann steckt er seine Finger in ihre Vagina. Sie macht rhythmische Bewegungen und fängt an zu hecheln, wenn sie kommt. "Ihr macht das Spaß und mir auch. Manchmal kommt sie sogar zweimal hintereinander zu mir. Würde sie das tun, wenn es ihr nicht gefiele?", fragt Kiok und grinst dabei. Aus seiner Sicht verläuft der Verkehr in beiderseitigem Einverständnis.
Bis 1969 war Zoophilie in Deutschland bereits einmal verboten
Ein Verbot von Zoophilie gab es in Deutschland bis 1969. Der Paragraf 175 b stellte "widernatürliche Unzucht mit Tieren" unter Strafe.
Der Paragraf 175 verbot auch Homosexualität.
Mit der Liberalisierung des Sexualstrafrechts wurde beides gestrichen. Für den ehemaligen Verfassungsrichter Winfried Hassemer ist das neue Verbot ein Rückschritt. "Dass Sex mit Tieren widerwärtig ist, reicht nicht, um ihn zu verbieten", sagt Hassemer. Denn das Tierschutzgesetz stellt die "erheblichen Schmerzen oder Leiden" von Tieren bereits unter Strafe und damit auch sexuellen Missbrauch. "Moralische Fragen sind keine Sache des Strafrechts", sagt Hassemer.
Kiok redet offen über seine Neigung, aber was bei ihm im Bett geschieht, dabei darf niemand zuschauen
Ein Mann knöpft sich die Hose auf. Streift sie über seine Beine. Er legt sich zu der Schäferhündin auf das Bett. Streichelt über ihren Rücken, über ihre schwarzen Haare.
Reibt seinen nackten Körper an ihrem.
Küsst sie. Spreizt mit einer Handbewegung ihre Beine.
Auf dem Computerbildschirm von Michael Kiok läuft eine Dokumentation über Zoophilie.In dem Film wird eine Szene gezeigt, in der ein Mann mit seiner Hündin schläft. "Die Hündin liegt da und reagiert überhaupt nicht auf die Liebkosungen von Pascal. Hätte sie Spaß, wäre sie viel mehr involviert", sagt Kiok, und seine Stimme wird lauter. Er redet offen über seine Neigung, aber was bei ihm im Bett geschieht, dabei darf niemand zuschauen.
Auch seine Familie weiß nicht viel über sein Liebesleben. Seine Mutter hat aus der "Bild"- Zeitung von Kioks Beziehung zu Cessy erfahren. "Ich habe meine Frau für einen Hund verlassen" hieß die Schlagzeile im April 2010.
Auf dem Foto leckt Cessy über Kioks Wange.
Kiok sagt, er habe sich leider auf den Bericht in der "Bild"-Zeitung einlassen müssen, über ihn geschrieben hätten sie auch, wenn er nicht mit ihnen gesprochen hätte.
Sein Vater war Alkoholiker. Er war aggressiv, und ihm rutschte öfter einmal die Hand aus.
Das erste Mal wurde er mit 12 mit einem Hund intim
Als Kind flüchtete er sich vor der Gewalt des Vaters in seine Fantasiewelt, zu bellenden Helden und sprechenden Bären. Sein Lieblingsbuch war "Bambi". Die erste Zärtlichkeit mit einem Hund tauschte er im Alter von zwölf Jahren aus. "Es gab bei uns einen Schäferhund, der in einem Zwinger lebte. Anfangs hatte ich Angst vor ihm", sagt Kiok. Einmal spielte er in der Nähe des Zwingers. Er bemerkte, dass der Hund ihn beobachtete. "Ich ging zu ihm, und er leckte an meinem Finger. Das war eine emotionale Explosion. Ich wollte mehr davon", sagt Kiok. In der Pubertät schlich er nachts heimlich zum Zwinger. Er wollte den Hund streicheln. "Ich habe meinen Arm durch den Türspalt gestreckt. Der Hund stellte sich so hin, dass ich nur an seine besten Teile gekommen bin. Ich fand das aufregend." Statt mit seinen Freunden auf Partys zu gehen und Mädchen kennenzulernen, schaute er lieber Tierdokumentationen im Fernsehen an. "Ich konnte mir das nicht erklären, aber es erregte mich zu sehen, wenn Tiere miteinander Sex haben", sagt Kiok.
Seine Nachbarn mögen Kiok nicht
Heute ist Michael Kiok 52 Jahre alt und arbeitet in einer Bibliothek in Nordrhein-Westfalen.
Nachdem die Lokalpresse über Kiok berichtet hatte, ließ sich sein Büronachbar umsetzen.
Die anderen schwiegen nur. "Ein Student wollte wissen, was ich mit meiner Hundedame so mache. Ich hab's ihm erzählt, und er hat dann gelacht", sagt Kiok.Im Jahr 2009 gründete Kiok den Verein ZETA, "Zoophiles Engagement für mehr Toleranz und Aufklärung". Das war eine Reaktion auf einen ersten Gesetzentwurf für das Verbot von sexuellen Kontakten zwischen Menschen und Tieren, den die Grünen veröffentlicht hatten. "Wir passen nicht in die Gesellschaft, aber ein Verbot wollen wir nicht einfach akzeptieren", sagt Kiok. Inzwischen zählt der Verein knapp hundert Mitglieder. Ihr geheimes Erkennungszeichen ist ein Tattoo mit dem griechischen Buchstaben Zeta. Kiok trägt es an der rechten Hand. In Deutschland ist er das Gesicht der Zoophilie geworden.
Bekanntheit hat Konsequenzen: Die Dorfbewohner meiden ihn. "Früher haben sie mich gegrüßt, heute tun das viele nicht mehr", sagt Kiok. Einer spuckte vor ihm sogar mal auf den Boden. An die Ablehnung hat er sich gewöhnt. Anonyme Anrufer beschimpfen ihn. Tierschützer schreiben Trauerkarten und fragen: "Na, heute schon vergewaltigt?" Viele Briefe sind adressiert an den "Sadisten Kiok".
Im März 2012 demonstrierten etwa vierzig Zoophiliegegner in Kioks Wohnort. In der Stadtmitte von Welver verteilten sie Flugblätter mit Fotos von Kiok. Sie trugen orangefarbene Warnwesten mit der Aufschrift "Stoppt sexuellen Missbrauch an Tieren". Mit Megafonen und Trillerpfeifen gingen sie durch das Dorf bis zu Kioks Haus und hielten Fotos von missbrauchten Hunden und Katzen hoch. "Ich habe mich nicht getraut, die Polizei zu rufen. Ich habe gewartet, bis sie wieder gegangen sind", sagt Kiok.
Zehn Jahre lang war Kiok mit einer Frau liiert
Zehn Jahre lang hat Kiok versucht, normal zu sein. Mit 27 Jahren begab er sich in Therapie. Am Ende wollte er mit einer Frau zusammenleben. In einer Tageszeitung schaute er nach Anzeigen und antwortete Lena, die eigentlich anders hieß. Lena hat ein Kind. Sie verstanden sich auf Anhieb und zogen zusammen. Zehn Jahre waren sie ein Paar, sechs davon verheiratet. "Die Beziehung funktionierte nicht. Einmal sagte sie halb im Spaß: Nur einmal Sex im Monat sei für sie ein Grund zur Trennung." Selbst das eine Mal im Monat funktionierte nur, wenn er dabei an Sex mit Tieren dachte. Neben Cessy hat er nie Probleme zu kommen.
"Sex mit Tieren ist Vergewaltigung", sagt die Tierärztin Nicola Siemers. Sie hat die Internetplattform "Tierärzte gegen Zoophilie und Sodomie " gegründet und ist eine der Initiatorinnen, die die Petition mit der Forderung der Gesetzesänderung an den Bundestag schickten.
Vergangenes Jahr im Februar lag in der Klinik, in der sie arbeitet, ein Hund auf ihrem Behandlungstisch. Der Hund blutete, sein Anus stand offen. Siemers konnte sich das nicht erklären. Bis sie googelte. Mit ein paar Klicks fand sie Videos von Männern, die Pferde oral befriedigen, oder Frauen, die mit Rüden schlafen. Sie fand Fotos von Hunden, die an Ketten auf einen Tisch gebunden wurden, um von einem Mann penetriert zu werden. Sie schrieb Briefe an Politiker, nahm an Mahnwachen teil und machte auf das Thema aufmerksam. "Tiere haben kein Sexualleben wie der Mensch", erklärt sie. Eine Hündin ist nur ein- bis zweimal im Jahr läufig. In der übrigen Zeit ist sie nicht an Geschlechtsverkehr interessiert und beißt den Rüden weg. Eine kastrierte Hündin wie Cessy befindet sich permanent in dieser hormonellen Phase. Cessys Verhalten habe Kiok antrainiert, meint Siemers. Der Hund wolle seinem Herrchen gefallen und handle deshalb aus einem Zwang heraus.
Sie will, dass Zoophile keine "Opfer" mehr halten dürfen. Ihr geht das neue Gesetz nicht weit genug, sie fordert ein kontrolliertes Tierhaltungsverbot.
An der Hundeschule nannten sie Michael und Cessy das "rasante Rudel"
Tierschützer versuchten Michael Kiok vor ein paar Monaten wegen Tierquälerei anzuzeigen. Die Amtsveterinärmedizinerin kam unter Schutz von zwei Polizisten und prüfte die artgerechte Haltung. Sie stellte keine Auffälligkeiten fest. "Obwohl Cessy kastriert ist, hat sie eine Scheide und Gefühle wie vorher. Ich mache also nichts, was Cessy nicht gefällt. Wenn sie keine Lust hat, läuft nichts", sagt Kiok.Die Goldmedaille hängt in der Küche. Kiok nimmt sie in die Hand und betrachtet den eingeprägten Mann, der mit einem Hund im Gleichschritt springt. Die Auszeichnung haben Kiok und Cessy gemeinsam gewonnen. An der Hundeschule, 2006. Sie waren das "rasante Rudel", weil sie bei der Prüfung am besten harmonierten. "Eigentlich sind wir total verschieden. Cessy ist verspielt und übermütig, sehr dominant. Und ich bin genau das Gegenteil. Wir funktionieren aber ganz gut zusammen", sagt Kiok.
Jeden Morgen um 4 Uhr 30 klingelt der Wecker. Cessy liegt neben Kiok, wenn er aufwacht. Am Ehebett hat er einen kleinen Holztritt für sie gebaut und einen Teppich daraufgelegt. Er küsst sie auf den Kopf, zieht sich an und bereitet ihr ein Frühstück. "Wir gehen jetzt spazieren", sagt Kiok. Wenn er mit Cessy redet, behandelt er sie wie eine gleichberechtigte Partnerin.
Einmal verliebte sich Michael in einen Elefanten, ein anderes Mal in ein Pferd
Wie viele Zoophile lebt auch Kiok bisexuell und nicht monogam. Vor Cessy war Kiok mit einem Rüden zusammen. Neben Cessy hat er noch zwei Katzen. Mit denen schmust er allerdings nur. Einmal war Kiok in eine Elefantendame verliebt. Sie war eine von mehreren Elefanten, die in der Manege in einem Zirkus Kunststücke zeigten. "Sie hat mir in die Augen geblickt, und ich habe sofort gesehen, was für eine starke und charismatische Frau sie ist", sagt Kiok. Den Blickkontakt suchte sie immer wieder während ihres Auftritts. Die Kommunikation mit Tieren hat Michael Kiok in Seminaren gelernt. Er glaubt, ohne Worte zu verstehen, wie seine Hundedame tickt. Was sie sich wünscht. Wo er sie berühren soll.
Ein anderes Mal machte er eine Pause an einem Autobahnrasthof und hatte einen Flirt mit einem Pferd. Neben dem Parkplatz war eine Pferdekoppel. Abseits der Gruppe stand ein Haflingerhengst. Kiok blickte dem Hengst tief in die Augen. Er beobachtete, dass der Penis des Pferdes erigiert war. "Wir zogen uns gegenseitig hoch, nur mit Blicken", sagt Kiok.
Um das Gesetz in letzter Minute zu verhindern, hat der Verein ZETA einen Brief an Bundespräsident Gauck geschrieben. Sie haben ihm Zoophilie erklärt und hoffen, dass er das Gesetz nicht unterzeichnet. Tut er es doch, wird Kiok zusammen mit seinen zoophilen Freunden gegen das neue Gesetz klagen.
Zusatz: Dieser Text stammt aus einem NEON-Heft von 2013. Inzwischen ist laut §3 des Tierschutzgesetzes verboten, "ein Tier für eigene sexuelle Handlungen zu nutzen oder für sexuelle Handlungen Dritter abzurichten oder zur Verfügung zu stellen und dadurch zu artwidrigem Verhalten zu zwingen." Wer gegen dieses Gesetz verstößt, muss mit Geldstrafen von bis zu 25.000 Euro rechnen.