Juni-Ausgabe NEON #06/2017

Juni-Ausgabe: NEON #06/2017
Gehen oder bleiben? Warum die schwierigste Entscheidung der Liebe eigentlich ganz einfach ist | Neue Altruisten – Wieso dein Banker mehr Leben retten kann als dein Arzt | Tunesien – Wo der arabische Frühling in die nächste Runde geht | Shitstorm, na und? Wie man sich sein Leben im Netz zurückholt u.v.m.

EDITORIAL von Christopher Piltz, Redakteur

Was macht ein Revolutionär in der Mittagspause? Er baut sein Haus um. Weil zu wenige Helfer da waren, packte ich mit an

Ali Rebah, im Bild von hinten zu sehen, gehört zu denen, die vor sechs Jahren die Revolution in Tunesien auslösten. In einer alten Garage gründete er einen Radiosender und berichtete über die Proteste. Das war ziemlich riskant, weil für Medien damals noch strenge Zensur galt. So verstärkte er die Unruhen – und die Macht des Volkes. Während der Arabische Frühling in vielen Ländern nur kurz hoffen ließ, hat sich in Tunesien eine Demokratie entwickelt.

Allerdings ist das Land noch lange nicht da, wo Ali Rebah es haben will. Als ich ihn in seiner Heimatstadt Kasserine besuchte, hetzte er von Termin zu Termin, um Unterstützer für seinen Sender zu gewinnen.

Er will seinen Hörern Lust machen, ihr Land weiterzugestalten.

Zwischendurch gestaltet er im Kleinen weiter: Er baut sein Haus um. Als ich für die Recherche dort war, bekam der Innenhof ein Tor.

Juni-Ausgabe: NEON #06/2017
© Arnau Bach

Um dem Staub und dem Lärm der Bauarbeiten zu entgehen, waren Ali Rebahs Frau und sein kleiner Sohn eine Woche zuvor vorübergehend ausgezogen. Nachdem ich Ali drei Tage lang begleitet hatte, lud er mich zum Abendessen zu sich nach Hause ein. Vor der Tür bat er mich, kurz zu warten, er brauche Vorsprung, um aufzuräumen.

Tatsächlich hatte der gestresste Revolutionär sich eine Art Junggesellenwohnung eingerichtet. Das Geschirr stapelte sich in der Spüle, im Flur lag ein Haufen Klamotten.

Im Wohnzimmer, das er freigeräumt hatte, setzten wir uns aufs Sofa. Alis Mutter brachte Couscous hoch, den sie gekocht hatte, sie wohnt im Stockwerk unter Ali. Dann sahen wir zusammen fern, eine Dokumentation über Restauranttester, die in edlen Lokalen in New York unterwegs sind. Was für ein Kontrast: Alis Heimat Kasserine ist eine der ärmsten Regionen Tunesiens.

Am nächsten Morgen kämpfte Ali weiter, für die Demokratie in Tunesien, für mehr Wohlstand und Jobs, für ein besseres Leben.