"Ich war nach dem Club noch bei einem Typen", sagt meine Freundin und nimmt grinsend noch einen Schluck Tee, "der war süß." Wir sitzen zu dritt auf dem Sofa und bringen uns gegenseitig auf den neusten Stand. "Ach ja?", frage ich. "Lass mal sehen." Schließlich ist jede Geschichte besser, wenn man ein Gesicht dazu hat. Oder zumindest Geschichten über Typen, die man nach dem Feiern noch ein bisschen besser kennengelernt hat – if you know what I mean.
Doch meine Freundin zuckt bedauernd mit den Schultern. Sie wisse nur seinen Spitznamen, sonst nichts. Und der, das habe sie bereits gecheckt, bringe einem bei einer schnellen Facebook-Suche überhaupt nichts. Doch da hat sie die Rechnung ohne mich gemacht, denn was ich habe, sind einige ganz besondere Fähigkeiten. Fähigkeiten, die ich mir im Laufe vieler Jahre angeeignet habe. Fähigkeiten, die mich für Leute wie ihn zum Alptraum… Nee, Moment, das war was anderes.
Mir doch wurst, ob dein Facebook auf privat gestellt ist
Aber tatsächlich möchte ich jetzt und hier eine These aufstellen: Es ist völlig egal, wie privat dein Facebook-Profil ist und ob laut Einstellungen nur deine Mama und deine Oma deine Posts lesen dürfen – wir sind inzwischen so tief in den Weiten des Internets verwurzelt, dass ich anhand geringster Informationen jede Person ausfindig machen kann.
Beispiel: Meine Freundin kannte also nur den Spitznamen des Typen, nennen wir ihn Mister X. (Hat noch irgendjemand früher gerne "Scotland Yard" gespielt?) Außerdem kannte sie den ungefähren Vornamen – man hatte sich in gewissen Zuständen kennengelernt, da verschwimmen die Dinge gerne – seines Mitbewohners und wusste, dass dieser irgendwo in der Stadt an einer Förderschule arbeitete. Gut.
Fix alle Förderschulen der Stadt googeln, dann die aussortieren, die vermutlich zu weit weg vom Wohnort liegen. Auf der Fakultätseite den entsprechenden Namen suchen und finden, diesen bei Facebook eingeben, seine Freundesliste anklicken, nach einigen Variablen des genannten Spitznamens suchen und voilà – keine fünf Minuten später hatte ich Mister X auch schon an der virtuellen Angel. Trotz falschen Namens und "Nur Freunde"-Einstellung. Da können mir die neuen Facebook-Poster in der U-Bahn erzählen, was sie wollen.
Das Internet weiß alles und vergisst nie. Isso.
Und das lässt sich tausendfach wiederholen. Als ein Kumpel vor Kurzem noch unsicher war, wo sein zukünftiger Erasmus-Mitbewohner jetzt eigentlich genau herkommt, wusste ich bereits, dass dessen Mutter erst seit vier Stunden Facebook hatte und er seit Jahren treuer Fan eines Basketball-Viertligisten war. Du nennst es creepy, ich nenne es effizient.
Wir mögen glauben, dass wir noch Kontrolle über unsere Daten haben. Dass wir zumindest beeinflussen können, wer uns in sozialen Netzwerken findet. Aber die Zeiten sind vorbei. Jeder hat unsere Daten und wir fragen uns nicht einmal mehr, wozu sie die eigentlich brauchen. Ach, der Sushi-Laden will eine Kopie meiner Geburtsurkunde? Wird schon zu irgendwas gut sein. Ich muss eine Speichelprobe abgeben, um dieses Shirt zu kaufen? Ist halt ein exklusiver Shop. Mein Arbeitgeber will, dass ich auf der Fakultätseite der Schule stehe? Ach, wer geht da schon drauf.
Ich will mich über all das überhaupt nicht beschweren. Ich bin niemand, der sich hinter einer Wand von Privatsphäreeinstellungen versteckt und wer sich einen Moment nimmt, wird innerhalb kürzester Zeit im Zweifel mehr über mich wissen als meine eigene Oma. Aber wir sollten uns immer im Klaren darüber sein, dass das Internet alles weiß, nie vergisst und sich einen feuchten Kehricht für deine Privacy Settings interessiert. Und dass jeder eine Freundin wie mich hat, die weiß, wie man es richtig navigiert. Just saying.
