Deutscher auf Südsee-Insel vermisst Die Legende vom Kannibalen Henri H.

  • von Florian Wöhrle
Knochen an einer Feuerstelle: Nach dem Verschwinden eines norddeutschen Abenteurers auf einer Südseeinsel sind sich die Behörden sicher: Er wurde umgebracht. Aber hat ihn sein Mörder auch verspeist? Die Einheimischen wehren sich - und bekommen Unterstützung aus Europa.

Knochen, Zähne, Kleiderreste: Das ist wahrscheinlich alles, was von Stefan R. aus dem schleswig-holsteinischen Haselau auf der Südseeinsel Nuku Hiva übrig geblieben ist. Nach Ansicht der Ermittler auf Tahiti deutet alles darauf hin, dass der Unternehmensberater einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Eine Bestätigung lässt aber noch auf sich warten: Die verkohlten Überreste, die von örtlichen Gendarmen gefunden worden waren, sind jetzt auf dem Weg nach Paris zur DNA-Analyse. Das Ergebnis steht laut Bundeskriminalamt erst in der kommenden Woche fest.

Klar ist laut Staatsanwalt José Thorel dagegen bereits, dass der Vermisste nicht das Opfer eines Menschenfressers geworden ist. "Die Ermittlungen deuten auf keinen Fall auf Kannibalismus hin", sagte Thorel in Papeete, der Hauptstadt des französischen Überseegebiets Polynesien.

Als Hauptverdächtiger gilt der einheimische Jäger Henri H. Der 31-Jährige hatte den Deutschen offenbar zu einem Ausflug eingeladen, von dem der Insulaner allein zurückkam. Er berichtete der wartenden 37-jährigen Lebensgefährtin des Deutschen von einem Unfall. Doch statt dem vermeintlich verletzten Stefan B. zu helfen, habe sich Henri H. an ihr vergangen und sie an einem Baum gefesselt zurückgelassen, berichtete die Frau der Zeitung "Dépêche de Tahiti".

Auf der Insel und in der ganzen Region fürchtet man nun, dass durch den Fall das uralte Bild von menschenfressenden Ureinwohnern aufgefrischt wird - und so die Touristen ausbleiben könnten. "So etwas hat es hier noch nie gegeben", sagte die stellvertretende Bürgermeisterin von Nuku Hiva, Déborah Kimitete, dem Lokalblatt "Les Nouvelles de Tahiti". Sie beschreibt den gesuchten 31-Jährigen als gutmütigen Menschen. "Jeder kannte ihn."

"Beleidigung für die Einheimischen"

Die Südsee-Forscherin Marie-Noëlle Ottino-Garanger bestreitet Berichte, in denen der Tourist bereits als Opfer von Kannibalismus hingestellt wurde. Es handele sich um "typische Hirngespinste einiger Europäer", die die einheimische Bevölkerung beleidigten. Auf der Inselgruppe der Marquesas, zu der Nuku Hiva gehört, gebe es seit dem Ende des 19. Jahrhunderts keine Menschenopfer mehr.

Auch Professor Hans Fischer vom Hamburger Institut für Ethnologie will nichts von menschenfressenden Wilden wissen: "Das ist mehrere hundert Jahre her, dass es so etwas gegeben hat", sagte der Wissenschaftler stern.de. Er ist sich sicher: "Die ganze Geschichte hat einen persönlichen Hintergrund."

Bei der deutschen Polizei hält man die Kannibalismus-Theorie ebenfalls für wenig glaubwürdig. "Ich halte es für verfehlt, gleich auf Kannibalismus und einen kulturellen Hintergrund zu schließen", sagte Polizeipsychologe Adolf Gallwitz zu "Spiegel Online". "Auch in Deutschland werden immer wieder Leichen stümperhaft entsorgt, das ist nichts, was es nur in der zweiten oder dritten Welt gäbe."

Freundin reist zurück

Während in Europa mit DNA-Technologie weiter ermittelt wird, geht man derweil in Französisch-Polynesien mit klassischen Mitteln auf die Jagd nach dem mutmaßlichen Mörder Henri H.: "Eine Spezialeinheit mit Spürhund ist auf der Insel unterwegs", sagte Konsul Dieter Flach der NDR Welle Nord. Die Insulaner hätten keine Vorstellung, wie es zu dem möglichen Mord gekommen sein könnte. "Es bleiben viele, viele Fragen offen."

Die Freundin des vermissten Schleswig-Holsteiners bereitet sich laut des Konsuls inzwischen auf ihre Rückkehr nach Deutschland vor. Sie werde in den kommenden Tagen in Begleitung eines Arztes zurückfliegen, berichtet der NDR. Sie war zusammen mit Stefan R. im April 2008 von der Türkei aus mit einem 14 Meter langen Katamaran aufgebrochen und hatte Ende August das in Französisch-Polynesien gelegene Pazifik-Archipel der Marquesas-Inseln erreicht.

Florian Wöhrle, mit Agenturen

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