Gangs in China Erpressung im Vorübergehen

Von Ellen Deng, Peking
In Südchina breitet sich eine neue Art des Verbrechens aus: Jugendliche werfen sich auf fahrende Autos und erpressen von den Fahrern eine "Entschädigung" - und manchmal entführen sie diese sogar.

Bei diesem Verbrechen ist es manchmal schwer zu unterscheiden, wer Opfer und wer Täter ist. Nehmen wir zum Beispiel den Teenager Xiaobao. Als die Polizei und sein Vater ihn im Dorf Yongxing in der Provinz Guangdong fanden, war sein linker Ellbogen gebrochen. Als er wieder zu sich kam, sagte er den Polizisten: Eine kriminelle Gruppe hat ihn betrogen, ihn von seiner Kleinstadt im Kreis Wenyuan in die Stadt Foshan gelockt unter dem Vorwand, dort gäbe es Arbeit für ihn. Dann legten sie ihn herein, betäubten ihn mit einer Droge. "Als ich schlief, brachen sie meinen Arm."

Schüler sind Opfer - und Komplizen

Xiaobao sagt, er wurde dann von den Kriminellen gezwungen, als "Opfer" von "Autounfällen" aufzutreten: "Gewöhnlich wählten sie eine überfüllte Straße, ließen uns‚ auf den Boden fallen, wenn ein Auto überholte oder die Spur wechselte, um so den Anschein eines Unfalls zu erwecken. Dann stürzten alle Leute aus der Gang auf den Autofahrer zu, um ihn mit allen Mitteln zu erpressen."

Jung, naiv, herumhängend, werden solche Schüler leicht zum Werkzeug der Gangs. Xiaohui, ein 16-Jähriger aus der Provinz Guangdong, kam nur um eine Fingerbreite "am falschen Weg" vorbei. Als er in der Dämmerung zum Internetcafé ging, stoppte ihn ein Mann. "Er nannte sich A Min, lud mich ein gemeinsam loszuziehen und Spaß zu haben, ich war einverstanden. Als wir später zusammen aßen, sagte er, lass uns Boxauto spielen, den Arm brechen und in ein Auto springen. Wenn wir Glück haben, könnten wir 20.000 bis 30.000 Yuan Entschädigung herausbekommen (das sind umgerechnet 2000 bis3 000 Euro), und wir teilen das Geld."

Xiaohui ließ sich zunächst überreden, bekam aber schließlich Angst. Einen Tag später, als ihm vier Männer beibringen wollten wie man in das Auto springt und ihm beinahe den Arm brachen, sagte er Nein. Zwei Tage später rannte er weg und kehrte nach Hause zurück. Die Gangs locken oft Schüler aus anderen Städten an, nach zwei oder drei Einsätzen schicken sie sie wieder weg, damit der Polizei nichts auffällt.

Merkwürdige Patienten im Krankenhaus

Solche Gangs treiben ihr Unwesen vor allem in Guangzhou und Shenzhen, den beiden wichtigsten Städten der Provinz Guangdong. Diese Kriminellen sind der Alptraum jedes Autofahrers, besonders von denjenigen, die aus einer anderen Stadt kommen oder selbst gegen eine Verkehrsregel verstoßen haben.

In den letzten Monaten nahm die Orthopädische Abteilung der Klinik der Zhongshan-Uni in Guangzhou sieben "Verwundete" mit ähnlichen Symptomen auf: Der Bruch war bei allen auf der Unterseite des linken Vorderarms und so schwach, dass er die Funktionsfähigkeit des Arms kaum störte.

Einer Krankenschwester fiel auf: "Dieser junge Mann war schon vor drei Wochen da, wie kann er schon wieder den gleichen Bruch haben?!" Außerdem schrien diese Patienten immer sofort "Schmerz!", wenn irgendein Teil ihres Arms berührt wurde.

Die Verwundeten hatte es eilig, die Röntgenuntersuchung ihrer Knochen zu bekommen, und danach schoben sie den "Unfallverursacher" raus und machten mit ihm woanders einen privaten Deal.

Keiner will mit der Polizei zu tun haben

Warum privat? Nach chinesischem traditionellem Denken heißt es: "Versuche erst den Fehler weniger ernst klingen zu lassen und verkleinere ihn dann zu nichts." Von dieser Idee beeinflusst, wird es zum ersten Tipp von Chinesen bei Unfällen: "Lieber Geld verlieren und dadurch Unglück vermeiden." Sprich: Sofort etwas bezahlen, statt sich mit Polizei und Versicherungen herumzuschlagen.

Vor allem unerfahrene Fahrer reagieren sehr nervös, wenn sie das erste Mal in eine solche Situation kommen. Wenn ihnen jemand "großzügig" vorschlägt, sich mit einer "kleineren Entschädigung" zufrieden zu geben, folgen sie dem und fühlen geradezu Dankbarkeit.

Auf der anderen Seite machen das unklare Gesetz bei solchen Scheinunfällen und die schwachen Strafen dafür den Gangs Mut. Zwar schreiben die Zeitungen regelmäßig über sie, aber man hört selten von Verhaftungen. In Shenzhen, der anderen großen Stadt in der Guangdong-Provinz, gilt es als Beleg für Scheinunfälle, wenn ein Mensch fünfmal in solche verwickelt ist.

Aber die betrogenen Fahrer kommen kaum an solche Daten. Wenn sie die Polizei anrufen, fehlt es ihnen an Beweisen für ihre Unschuld. Und da sie oft erst ein paar Tage nach dem Unfall zur Polizei gehen, sind ihre Klagen für die Beamten nur Geschwätz.

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