Frau Schwarzer, glauben Sie immer noch, dass Herr Kachelmann schuldig ist?
Ich habe noch nie "geglaubt", dass Herr Kachelmann schuldig ist. Im Gegenteil: Ich hielt seine Schuld zunächst für unwahrscheinlich. Und ich bin offen für alles in diesen Prozess gegangen, habe mich bestmöglich informiert – und teile aufgrund meiner Eindrücke und Kenntnisse inzwischen die Einschätzung der Staatsanwaltschaft: Ich glaube heute der Ex-Freundin.
Aber Sie waren doch bei vielen Prozesstagen nicht vor Ort, während einige Kollegen wirklich fast alle gut 40 Prozesstage beobachtet haben. Zudem war die Öffentlichkeit bei vielen Zeugenaussagen ausgeschlossen. Konnten Sie sich also überhaupt ein umfassendes Bild machen, um zu dieser Einschätzung zu kommen?
Ich bin nicht die Einzige, die nicht 43 Tage lang täglich im Gerichtssaal saß. Das können nur Journalisten, die hauptberuflich den Fall begleitet haben. Was nicht mein Fall ist. Ganz nebenher bin ich ja noch Chefredakteurin von Emma. Aber: Ich war mindestens an einem Dutzend Tage anwesend – und für die restlichen Tage liegen mir Protokolle aller öffentlichen Verhandlungen vor. Ich gehöre also zu den Bestinformierten.
Bereuen Sie Ihre Entscheidung, für die "Bild"-Zeitung vom Prozess berichtet zu haben?
Bereuen? Warum sollte ich! Die Zusammenarbeit mit "Bild" ist sehr fair. Und es ist gut, dass in diesem so brisanten Fall wenigstens eine Stimme in einem der "Leitmedien" gegenhält. Denn "Die Zeit" und "Der Spiegel" waren extrem parteiisch – sie wussten schon Monate vor dem Prozess, dass Kachelmann unschuldig ist und die Frau lügt.
Täuscht der Eindruck, dass Sie auch Schaden genommen haben bei diesem Verfahren?
In Ländern wie Amerika und Frankreich ist es zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Skandal um Strauss-Kahn selbstverständlich, dass Frauen gegen eine Berichterstattung auf Kosten der Opfer auf die Straße gehen. Dass in Deutschland so eine Friedhofsruhe herrscht, ist in der Tat ein Problem. Aber es ist nicht mein Problem. Und es hindert mich nicht, meine Stimme zu erheben. Ich lasse mich nicht einschüchtern. Das war schon immer so – und so wird es bleiben.
Sie sind als mediale Gegenpartei zu Ihren Kolleginnen aufgetreten und haben mehr oder weniger Partei für die Nebenklägern ergriffen. Ist das unabhängiger Journalismus?
Ja. Denn die geradezu fanatische und skrupellose Voreingenommenheit meiner Kolleginnen Rückert und Friedrichsen war für mich überhaupt erst der Auslöser, persönlich dem Prozess zu folgen. Dabei habe ich keineswegs "Partei" für die Nebenklägerin ergriffen, ich bin lediglich nicht selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie lügt. Sondern, dass einer von beiden lügt. Ich habe mich also auch in die Lage der Frau versetzt.
Wie lautet Ihr persönliches Resümee aus diesem Prozess?
Das lässt sich erst nach dem Urteil sagen.
Und wann werden Sie das Buch dazu veröffentlichen?
Ich sitze gerade an den letzten Zügen eines Buches, das mir viel mehr bedeutet und im September erscheinen wird. Ein objektives Buch – das nicht mit Billigung oder quasi im Auftrag der Verteidigung geschrieben wird – wäre erst möglich, wenn der Fall abgeschlossen ist. Und das hängt vom Urteil ab und der Frage, ob Revision eingelegt wird.
Wie haben Sie Ihre Journalisten-Kollegen während dieses Prozesses empfunden?
Mir schienen erschreckend viele Kollegen und Kolleginnen – nicht alle! – schlicht opportunistisch. Sie haben ihre Berichterstattung an der jeweils vorherrschenden Meinung orientiert. Man konnte regelrecht zusehen, wie sie sich dem dominanten und autoritären Ton des Kachelmann-Verteidigers Schwenn beugten.
Im Prozess wurde das dominante und oft rücksichtlose Liebesleben des Angeklagten angesprochen, trotzdem haben sich zahlreiche intelligente und unabhängige Frauen mit ihm eingelassen: Wie erklären Sie sich das?
Das ist eine interessante Frage. Ich denke, die Sehnsucht der Frauen ist groß, an die Liebe zu glauben. Sollen denn diese Frauen einen Mann, der ihnen quasi täglich schreibt, dass er sie liebt, heiraten will, Kinder mit ihnen will und Häuser für eine gemeinsame Zukunft mit ihnen besichtigt – sollen solche Frauen von vorneherein davon ausgehen, dass das alles nur Scharlatanerie ist? Eigentlich ist es doch rührend, dass Frauen immer noch bereit sind, Männern zu glauben, oder?
Was lernen Sie daraus als Journalistin, was als Frauenrechtlerin, was als Mensch?
Ich habe in diesem Prozess gelernt, dass das Recht in Deutschland noch in einem viel stärkeren Ausmaß als befürchtet strukturell täterorientiert ist. Das heißt: Täter haben sehr viel mehr Rechte als Opfer. Das muss sich ändern.
Hat sich Ihr Bild von der Justiz in Deutschland geändert?
Nein, nicht von der Justiz. Aber vom Recht, das oft so erschütternd wenig mit Gerechtigkeit zu tun hat. Und vom Beruf des Verteidigers.
Was für ein Bild haben Sie denn nun von diesem Beruf?
Kein sehr gutes. Früher, als ich noch naiv war, war die Verteidigerin nach der Journalistin mein Traumberuf. In der Realität ist es aber natürlich so, dass Recht nicht gleich Gerechtigkeit ist. Ein "guter" Verteidiger holt seinen Mandanten raus, egal mit welchen Mitteln und egal, ob unschuldig oder schuldig. In Prozessen, bei denen es um Sexualgewalt geht, kann die Unschuld des Angeklagten natürlich nur auf Kosten einer Demontage des Opfers "bewiesen" werden. Darum hat ja auch Strauss-Kahn gerade in den USA die teuerste Detektei anheuern lassen. Doch in Amerika wird so ein Mann nicht damit durchkommen. Da gibt es, dank der Frauenbewegung, schon seit 1974 die "Sondereinheit gegen sexuelle Verbrechen". In Deutschland aber haben Angeklagte eine sehr starke Stellung – und das oft eben auch auf Kosten von Opfern. Das ist im deutschen Recht eine Reaktion auf das Nazi-(Un)Rechtswesen gewesen. Aber bei Sexualverbrechen ist der Angeklagte an sich schon meist dem Opfer sozial und ökonomisch überlegen. Das Opfer hat also kaum noch eine Chance.
Würden Sie eine Vergewaltigung ohne Zeugen anzeigen?
Bei Sexualverbrechen gibt es quasi nie Zeugen. Sie müssen trotzdem als Verbrechen verfolgt werden können. Doch ich verstehe, wenn eine Frau heute, nach der Erfahrung mit dem Kachelmann-Prozess, eine Vergewaltigung nicht mehr anzeigt. Gerade darum sind wir alle in der Pflicht, mit Kräften dazu beizutragen, dass genau das nicht passiert! Sexualverbrechen dürfen in unserem Rechtsstaat nicht wieder zu einem straflosen Verbrechen werden und Opfer müssen weiterhin wagen können, einen Täter anzuzeigen – ohne Angst haben zu müssen, ein zweites Mal zum Opfer gemacht zu werden.
Würden Sie nochmal mit Herrn Kachelmann tanzen?
Nein.
Würden Sie sich von Herrn Schwenn verteidigen lassen?
Nein. Ich würde mich schämen, wenn ein Anwalt wie Herr Schwenn mich verteidigen würde.