Die Szenerie im Mannheimer Gerichtssaal erinnert ein wenig an das erste Spiel eines neuen Bundesliga-Trainers: Beim Fußball beäugen Zuschauer, Journalisten und die gegnerische Mannschaft aufmerksam den gerade verpflichteten Coach auf der Trainerbank, der von Fotografen und Kameramännern umringt wird. Rechtsanwalt Johann Schwenn geht es an seinem ersten Gerichtstag als neuer Verteidiger von Jörg Kachelmann genauso. Während Kamerateams seinen Tisch belagern, verfolgen Richter, Staatsanwälte, Zuschauer und die Journalisten jede Regung des Hamburger Juristen. Schwenn verschränkt die Arme vor seinem Bauch und lässt diese Prozedur ohne erkennbare Gefühlsregung über sich ergehen. Er weiß: Als Anwalt des wahrscheinlich prominentesten Angeklagten der Republik steht er ab sofort unter besonderer Beobachtung.
Der 16. Verhandlungstag ist eine Zäsur im Vergewaltigungsprozess gegen den Wettermoderator. Denn nur zwei Tage zuvor hatte Jörg Kachelmann völlig überraschend seinen bisherigen Hauptverteidiger Reinhard Birkenstock rausgeschmissen. Auch Birkenstocks Kollege Klaus Schroth musste gehen. Ein äußerst ungewöhnlicher Schritt: Das Verfahren läuft schließlich schon seit mehreren Monaten, ein Großteil der Zeugen hat bereits ausgesagt, unter anderem auch das vermeintliche Opfer Silvia May (Name geändert). Kachelmann hat also nicht nur den Trainer, sondern auch den Co-Trainer gefeuert - und das weit nach der Winterpause. Bei Fußballvereinen wird so ein Wechsel fast immer dann vollzogen, wenn der Coach die gesetzten Ziele nicht erreichen konnte, und der Vorstand auch nicht das Gefühl hat, dass sich daran so schnell etwas ändert. Der Job des neuen Trainers: den drohenden Absturz zu verhindern. Häufige Methode: Taktikwechsel.
Mildes Äußeres, angriffslustiger Kern
Johann Schwenn scheint genau das im Sinn zu haben. Rein optisch ist der Wandel deutlich. Denn während sein Vorgänger Birkenstock - ein großer, barocker Typ mit tiefer Stimme - einen eher rauen Umgangston pflegte, erscheint der untersetzte Schwenn mit seinen grauen Haaren, der randlosen runden Brille und der ruhigen, fast leisen Stimme, wesentlich feinfühliger. Doch dass sein milde wirkendes Äußeres kein Rückschluss auf seine Arbeitsweise zulässt und er keineswegs zum Kuscheln nach Mannheim gekommen ist, zeigte Schwenn umgehend. In friedlichem Ton, hanseatisch-unterkühlt, aber mit zuweilen messerscharfen Worten ging er schon an seinem ersten Tag in die Offensive.
Sein erstes Opfer: Die Illustrierte "Bunte". In dem Burda-Blatt waren in den vergangenen Wochen mehrfach Ex-Geliebte von Jörg Kachelmann zu Wort gekommen, die Sexualpraktiken schilderten und insgesamt kein gutes Haar an dem TV-Mann ließen. Das Pikante: Diese Damen - Schwenn nennt sie "Selbstanbieterinnen" - waren zuvor oder danach in nicht-öffentlicher Sitzung vor Gericht vernommen worden. Die Interviews, so Schwenn, seien von einer Redakteurin geführt worden, "die sich sonst an Promis heranwanzt. Sie unterlaufen die Strafprozessordnung und beeinträchtigen die Persönlichkeitsrechte meines Mandanten". Deshalb sei es notwendig, dass Kachelmanns Medienanwalt Ralf Höcker künftig an den eigentlich nicht-öffentlichen Vernehmungen der Ex-Geliebten beiwohnen darf, damit Höcker gegen "dieses Burda-Blatt" vorgehen könne, sagte Schwenn. Keine Widerrede der Richter und Staatsanwälte. Bitte gestattet. Der erste kleine Punktsieg für den Anwalt. Der kündigte später an, die Rolle der Medien - insbesondere der Burda-Blätter "Focus" und "Bunte" - im Rahmen des Verfahrens noch näher untersuchen zu wollen. "Die lassen kein gutes Haar an Herrn Kachelmann und da fragt man sich, welchen Hintergrund dies hat."
Schwere Angriffe auf das Gericht
Die folgenden Angriffe Schwenns hatten dann vor allem das Gericht zum Ziel. Offenbar hatte eine Ex-Geliebte unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt, dass sie mit den Sexualpraktiken Kachelmanns einverstanden sei, sich aber nicht genauer dazu geäußert. Schwenn kritisierte den Fragestil der Beisitzenden Richterin, die "konkrete" Aussagen gefordert hatte. Wie eine Schülerin maßregelte er sie: "Eine Frage kann mal missraten, aber das sollte keine Methode haben. Wenn jemand sagt, er sei mit Praktiken einverstanden gewesen, ist das höchst konkret. Und wir werden jeder weiteren nicht-offenen Frage beanstanden." Schweigen auf der Richterbank. Schwenn: "Wenn Sie das bedenken, werden Sie in mir einen sehr ruhigen Zuhörer finden." Nachdem die Staatsanwaltschaft Verständnis für die Richterin äußerte, setzte Schwenn seinen nächsten Nadelstich. "Was ich von der Kammer zu halten habe, kann ich erst nach dem Urteil sehen. Ich bin aber gespannt, wie die weitere Befragung läuft." Rumms. Das saß.
Auch Schwenns Vorgänger Birkenstock war oft wenig zimperlich mit der 5. Strafkammer umgegangen. So hatte er zwei Befangenheitsanträge gegen die Richter gestellt und sich vehement gegen die Ablehnung von Gutachtern gewehrt, die von ihm beauftragt worden waren. Vor diesem Hintergrund und wenn man bedenkt, dass dem Birkenstock-Team bislang keine erkennbar groben Fehler unterlaufen sind, ist der Verteidigerwechsel wenig einleuchtend. Schließlich hatten Birkenstock und Schroth ihren Mandanten - wenn auch spät - aus der Untersuchungshaft bekommen. Zudem haben sie prominente Gutachter beauftragt, die Kachelmann alle entlasten und deren Aussage noch aussteht. Doch darauf wollte sich Kachelmann nicht mehr verlassen. Es überwog bei ihm offenbar das Gefühl, dass nach den belastenden Aussagen einiger Zeugen seine Verurteilung immer näher rückt. Anders sei die Entscheidung nicht zu erklären, meint Nebenklägervertreter Thomas Franz: "Mein Eindruck ist, dass die bisherige Beweisaufnahme nicht die Erkenntnisse gebracht hat, die sich die Verteidiger erwartet haben. Man wechselt den Anwalt nicht einfach so."
Schwenns Erfahrungsschatz blitzte auf
Mit Schwenn hat Kachelmann nun einen Verteidiger, der sich in den vergangenen Jahren einen Namen als Spezialist für Vergewaltigungsfälle gemacht hat. Ihm ist es mehrfach gelungen, Wiederaufnahmeverfahren und Freisprüche für bereits verurteilte Vergewaltiger zu erreichen. Seinen juristischen Erfahrungsschatz ließ Schwenn auch in Mannheim aufblitzen - als kaum verhohlene Drohgebärde den Richtern gegenüber. Es sei auffällig, dass sich das Gericht auf Zeugen beschränke, die Sexualpartner des Angeklagten seien. Der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs, der für eine Revision zuständig wäre, habe höhere Anforderungen an einen Freispruch als an eine Verurteilung. "Das führt zu der verbreiteten Überbesorgtheit bei Richtern, dass es eine Urteilsaufhebung zur Folge hat, wenn ein Gericht einer Sache nicht gründliche nachgeht", sagte Schwenn. Dann feuerte er mehrere fast schon unverschämte Breitseiten auf das Gericht ab: "Wenn ein Zeuge aber darauf aus ist, seine Privatsphäre zu schützen, wird deutlich, wie abstoßend diese Befragung ist. Täuschen Sie sich nicht, das diese Aussagen irgendwelchen Indizienwert haben. Überlegen Sie sich, ob es vielleicht der falsche Weg ist."
Wie sein eigener Weg in dieses Verfahren aussah, wollte Schwenn den gespannt wartenden Journalisten am Ende das Verhandlungstages nicht erläutern. Dass er selber aber von seinem künftigen Weg überzeugt ist, tat er dann aber kund: "Wenn die wirklich werthaltigen Beweismittel für das Urteil herangezogen werden, dann ist mir um Herrn Kachelmann nicht bange."