Sexueller Missbrauch "Ich schäme mich"

  • von Uta Eisenhardt
Die Geständnisse wertete die Richterin "als glaubhaft und ernst gemeint". Wohl auch deshalb kamen ein Ehepaar und deren Freund mit Bewährungsstrafen davon. Sie hatten die minderjährige Tochter zu pornographischen Aufnahmen gezwungen.

Eine halbe Stunde nach der Urteilsverkündung zittert Valerij M. immer noch. Seit zwei Nächten habe er kaum noch geschlafen, sagte er. Soeben ist der momentan vom Dienst suspendierte Polizei-Kommissar vom Landgericht Berlin wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwölf Fällen zu einer Strafe von 22 Monaten zur Bewährung verurteilt worden. Er hatte vor Gericht gestanden, er habe die Tochter seines Freundes Günter K. aufgefordert, seinen bekleideten Genitalbereich zu berühren, was Doreen auch tat. Ein anderes Mal hatte er das an Windpocken erkrankte Mädchen mit einer Tinktur betupft - auch im Schambereich. Mindestens zehn Mal hatte er Doreen und deren zwei Jahre ältere Freundin Janine nackt und in pornografischen Posen fotografiert.

Seinen ehemaligen Freund Günter K., einen 53jährigen arbeitslosen Schlosser, verurteilte das Gericht wegen eines obszönen Nacktfotos mit seiner damals acht Jahre alten Tochter und wegen der Beihilfe zu den pornografischen Aufnahmen in zehn Fällen zu einer Bewährungsstrafe von 19 Monaten. Die inzwischen getrennt von ihrem Mann lebende Petra K., eine 49jährige arbeitslose Rettungssanitäterin und Altenpflegerin, bekam 18 Monate Haft auf Bewährung. Sie hatte Kenntnis von den pornografischen Shootings gehabt - das bewertete das Gericht als Beihilfe zum sexuellen Missbrauch von Kindern. Außerdem soll jeder der drei Angeklagten 180 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.

Mit diesem Urteil beendete das Gericht einen bizarren Prozess, der auch das Ende der 15jährigen Beziehung des Ehepaars K. markiert. Diese pflegten in puncto Sexualität einen "offenen und freizügigen Umgang" und bezogen in ihre "sexualisierte Lebenssituation" irgendwann auch Tochter Doreen ein, so formulierte es die Vorsitzende Richterin Petra Müller in ihrer Urteilsbegründung. Wie bereits auf stern.de berichtet, wurden dem Paar und dessen Hausfreund Valerij M. anfangs 83 Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern vorgeworfen. Darunter 80 pornografische Foto-Sessions mit Doreen und ihrer Freundin Janine. Da die Fotos von der Polizei nie gefunden wurden, basierte die Anklage auf einer Schätzung der Freundin Janine.

Streit ums Geständnis

Valerij M. gab vor Gericht etwa zehn bis fünfzehn solcher Sitzungen zu. Um den Mädchen die Aussage vor Gericht zu ersparen, schlossen sich Ankläger und Gericht dieser Version an und kürzte die Anklage um 70 Fälle. Dürr fielen die Geständnisse aller drei Angeklagten aus, der Staatsanwalt wählte dafür sogar das Wort "Lippenbekenntnis": "Ein reumütiges Geständnis war es für mich nicht", warf er Valerij M. vor. "Sie haben Ihre Miene während der ganzen Verhandlung nicht verzogen."

Die Angeklagten hätten ein Delikt begangen, das mit sechs Monaten bis zehn Jahren Haft geahndet werden kann. Für den kleinen, schmächtigen Ex-Polizisten forderte der Ankläger eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten, eine Strafe, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Günter K. wollte er mit zwei Jahre Haft zur Bewährung bestrafen. Für dessen Frau Petra, die er "eher als absolute Randfigur im Vergleich zu ihrem Ehemann" bezeichnete, forderte er 15 Monate Haft zur Bewährung.

Dankbarer für die Geständnisse zeigt sich dagegen Rechtsanwältin Änne Ollmann, die für Dorren K. die Nebenklage vertritt. Es sei nicht auszuschließen, dass das Mädchen durch sein Erscheinen vor Gericht traumatisiert werden würde. Ungleich problematischer sei für Doreen der Umstand, gegen die eigenen Eltern und gegen den langjährigen Freund der Familie aussagen zu müssen. "Das Geständnis der Angeklagten ist als sehr wertvoll zu betrachten", sagt Ollmann in ihrem Plädoyer.

"Mangelnde Moral und Fürsorge"

Das Mädchen ist derzeit in einer betreuten Wohngruppe untergebracht. Dort würde das seit seiner Geburt essgestörte und extrem dünne Kind medizinisch behandelt. Nebenklägerin Ollmann wirft den Eltern vor, sie hätten das Kind in seinem krankhaften Essverhalten bestärkt - durch das ständige Posieren vor der Kamera, durch das Versprechen, sie bei einer Model-Agentur anzumelden. Doch damit sei nun glücklicherweise Schluss. Dort wo die 12jährige derzeit lebt, dürfe sie einfach ein Kind sein und könne ihren Weg gehen, "unbelastet von den Fotos".

Kurz vor der Urteilsverkündung demonstrierten alle drei Angeklagten ihre Reue. Den Anfang machte Günter K.: "Ich schäme mich, ich habe als Vater versagt." Dennoch hofft er eines Tages wieder ein normales Verhältnis zu seiner Tochter zu finden. Petra K. sagt: "Es tut mir leid, dass ich meine Tochter nicht schützen konnte." Am ausführlichsten äußert sich Valerij M. Er möchte sich bei allen entschuldigen. "Ich hoffe, dass die Mädchen eine Zukunft haben, die sie glücklich werden lässt." Er wisse, seine Taten seien nicht wieder gut zu machen.

In ihrem Urteil bescheinigte die Vorsitzende Richterin Petra Müller dem angeklagten Vater "mangelnde Moral und Fürsorge" für ihre Tochter und deren Freundin. Die Eltern, denen das Treiben von Valerij M. nicht verborgen geblieben sei, hätten ihm dennoch "Tür und Tor für sein Handeln geöffnet", so die Richterin. Sie förderten die Aufnahmen, bei denen der Scheidenbereich der beiden Minderjährigen im Mittelpunkt stand, sie stellten ihm sogar das in der Wohnung befindliche "Fotostudio" - eine plüschig eingerichtete Abstellkammer - zur Verfügung und entzogen ihrer Tochter damit den familiären Schutzraum.

Anders als der Staatsanwalt empfanden die Richter die Geständnisse der Angeklagten "als glaubhaft und ernst gemeint". Ohne diese hätte man der Tochter Doreen nicht den Loyalitätskonflikt ersparen können, da die pornografischen Aufnahmen nie gefunden wurden. "Nicht jeder, der Kindesmissbrauch sexuellen Missbrauch begeht, muss seine Strafe im Vollzug verbüßen", begründete die Richterin das auf den ersten Blick milde Urteil. "Die von den Angeklagten begangenen Taten sind im unteren Teil des Missbrauchs angesiedelt." Nahezu wöchentlich werden an den Landgerichten schlimmere Fälle publik - Fälle bei denen den Kindern auch körperliche Gewalt angetan wurde.

Valerij M. bangt nun vor einer möglichen Revision durch die Staatsanwaltschaft, die ihn wesentlich härter bestrafen wollte, als es das Gericht tat. In jedem Fall wird der frühere Polizei-Kommissar seinen Job verlieren, ebenso seine Pensionsansprüche. All das, weil es bei ihm nicht rechtzeitig "Klick" gemacht habe, wie er stern.de sagte. Er machte sich Vorwürfe, weil er sich nicht habe abgrenzen können von dieser Familie, von seinem früheren Freund Günter K., den er durch die Leidenschaft für das CB-Funken kennen gelernt hatte. Diese Freundschaft vergleicht der schnauzbärige Mann mit dem Verhalten einer Ehefrau, die immer wieder zu ihrem sie schlagenden Mann zurück kehrt. Diese Diskrepanz will der Ex-Polizist nun mit psychotherapeutischer Hilfe aufarbeiten.

Parallel dazu bemüht er sich um den Einstieg in einen neuen Job. Das sei schwierig, denn "wer wird schon jemand einstellen, der so ein Verfahren hinter sich hat?", sagt M. Sehen Sie es positiv, habe ihm sein Therapeut empfohlen. Er habe jetzt die Chance auf einen ganz neuen Anfang - weg vom Schreibtisch. Vielleicht könne er Arbeit als Hausmeister finden, "denn handwerklich bin ich nicht ganz ungeschickt".

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