Wenn man im kleinen Talheim bei der schwäbischen Stadt Reutlingen den Namen Torsten S. fallen lässt, landen die Bürger schnell bei einem anderen Namen: Robin Hood. S., der ehemalige Filialleiter der Sparkasse Talheim, steht vor dem Tübinger Landgericht - wegen Untreue in 118 Fällen. Über einen Zeitraum von drei Jahren hob er insgesamt 860.000 Euro illegal von Kundenkonten ab, um anderen Kunden Kredite gewähren zu können. Andere Talheimer munkeln freilich dies: Dass von dem verheirateten S. heimlich Filmchen gedreht worden seien, die ihn mit seiner Geliebten zeigten. Es ist eines der schmuddligeren Gerüchte, die nach der aufsehenerregenden Festnahme von S. in dem kleinen Ort köcheln.
Fakt ist: Es war ein unmoralisches Angebot, dass dem früheren Leiter der Sparkassenfiliale Mössingen-Talheim das Genick brach. Der Banker bot einer kreditunwürdigen jungen Frau bei einem Beratungsgespräch im Frühjahr 2004 3000 Euro an - gegen Sex. "Ich habe sie gefragt, ob sie mit mir schläft", so S. vor Gericht. Hört sich seltsam an? Es geht gerade so weiter: Die gefragte Italienerin stimmte sofort zu. Der vorsitzende Richter mag gar nicht so recht fassen, was er zum Prozessauftakt zu hören bekommt.
Bezahlung in der Sparkassenküche
Der Filialleiter hob das Geld umgehend von einem Kundenkonto ab, sofort danach ging es in die Sparkassenküche. Es kam zur ersten von fünf vereinbarten sexuellen Dienstleistungen. Doch schon bald darauf bekamen die Verwandten der Frau Wind von den abendlichen Treffen in der Sparkasse. Der Bankleiter S. wurde erpressbar. Die meist arbeitslosen Familienmitglieder forderten ihn auf, auch ihnen Kredite zu gewähren - oder aber, seine Ehefrau werde von der Affäre erfahren. Und so begann der Vater von drei kleinen Kindern, einen Betrag nach dem anderen auszuzahlen. Er verschob drei-, vier- oder fünfstellige Beträge von einem Konto auf das nächste: Mal 34.600 Euro, mal 8.000 Euro, mal 25.000 Euro. 40.000 Euro verbrauchte er dabei selbst, bis zu 75.000 Euro erhielt seine verhängnisvolle Affäre.
Sogar Angehörigen der Frau gewährte S. am Ende Darlehen in Höhe von insgesamt 330.000 Euro. Immer aus der Angst heraus, verraten zu werden. Als der Schwindel dieses Frühjahr schließlich aufflog, war der veruntreute Gesamtbetrag immens: In 118 Fällen hatte der 31-Jährige etwa 860.000 Euro illegal von Kundenkonten abgehoben. Äußerst teurer Sex.
Die Fassade eines tadellosen Bankers
S. sieht wie das Klischee eines tadellosen Bankers aus: Kurze Haare, fast randlose Brille, gut sitzender und modischer Anzug. Doch hinter der Fassade gab es Probleme. Die Ehefrau von S. war einst, als 17-jährige Jugendliche, vergewaltigt worden. Weshalb ihr der Sex mit dem Ehemann immer mehr Probleme bereitete. Als zu Hause sexuell fast nichts mehr ging, erlaubte die Ehefrau ihrem Mann, Prostituierte aufzusuchen. Und so kam er beim Beratungsgespräch mit der späteren Geliebten "spontan" auf die Idee, seine berufliche Position auszunutzen. Nicht nur einmal, sondern mehrmals.
Bereits im September 2004 hatte die Geschichte mit einer weiteren Bankkundin für gehörig Unruhe in Talheim gesorgt. Auch für diese Frau empfand S. eine fatale Leidenschaft und bot ihr Geld für Sex an. Diese Frau aber verließ entrüstet die Filiale und zeigte den Banker bei der Polizei wegen sexueller Nötigung an. S. überzeugte seine Vorgesetzten freilich davon, dass der Vorwurf nicht stimme. Der Fall wurde ad acta gelegt.
Nun will der Angeklagte sichtlich reinen Tisch machen. Seine gläubige Mutter seufzt immer wieder, als ihr Sohnes zum Prozessauftakt über sein Sexualleben spricht. Es ist verständlich. Doch das Herumstochern des Richters im Privaten hat einen Grund: Die schwierigen familiären Verhältnisse des Angeklagten könnten sich strafmildernd auswirken. Inzwischen lässt sich der einst als "perfekte Ehemann" geltende S. von seiner Frau scheiden. Das veruntreute Geld wird sein einstiger Arbeitgeber zum größten Teil von den seltsamen Privatkunden zurückholen können. 84.000 Euro allerdings dürften nicht mehr eintreibbar sein.