Vierfachmord von Eislingen "Der kann doch kein Wässerchen trüben"

  • von Malte Arnsperger
Die Anklage wirft ihnen vor, nahezu eine ganze Familie ausgelöscht zu haben. Doch an ihrem ersten Prozesstag wirken die beiden 19 Jahre alten Tatverdächtigen eher blass und wenig kaltblütig.

"Als die Wörter laufen lernten", ist der Titel einer Ausstellung zur Geschichte der Schreibmaschine in der Volksbank von Göppingen, die heute Abend eröffnet wird. Schüler der 13. Klasse des Wirtschaftsgymnasiums präsentieren die Schreibmaschinensammlung ihrer Schule. Zwei ihrer Mitschüler allerdings können bei der feierlichen Eröffnung nicht dabei sein: Andreas Häussler und Frederik Begenat sitzen in einem holzgetäfelten Gerichtssaal in Ulm, ihre Hände und Füße in Handschellen. Sie müssen sich seit heute wegen Mordes verantworten.

Der Medienauftrieb im altwürdigen Ulmer Landgericht ist beachtlich. Seit dem frühen Morgen berichten Fernsehen und Radiosender über die beiden Freunde, die vier Menschen eiskalt ermordet haben sollen. Nun werden sie sich zum ersten Mal seit dem Tattag, Karfreitag, wiedersehen. Erst als die Fotografen und Kameraleute den Gerichtssaal verlassen haben, wird Andreas Häussler aus einem Nebenzimmer hereingeführt. Flankiert von zwei Beamten, läuft er mit gesenktem Blick zur Anklagebank, blasses Gesicht, knallrote Schuhe. Kurz schaut er sich mit gerunzelter Stirn im Gerichtsaal um, dann starrt er auf den Tisch vor sich. Wieder geht die Tür zu dem Nebenraum auf. Fredrik Begenat hat die Kapuze seines weiß-grau gestreiften Pullovers tief ins Gesicht gezogen. Andreas hebt kurz den Blick und sucht den Augenkontakt zu seinem Freund, doch der hält sich hinter seiner Kapuze versteckt und kehrt dem anderen den Rücken zu.

Wie professionelle Einbrecher verhalten

Staatsanwältin Brigitte Lutz liest die Anklage vor: Im Juni 2007 sollen die jungen Männer zunächst in eine Schule, dann in einen Tennisclub eingebrochen sein. Ihre Beute: Unter anderem ein Computer, Bargeld, Spirituosen und Zigaretten. Einige Monate später brechen sie erneut in das Vereinsheim ein und stehlen 90 Euro und eine Flasche Ouzo. Kurze Zeit danach seilen sie sich wie professionelle Einbrecher über das Dach durch den Lichtschacht hinab in einen Supermarkt und klauen Parfum und Alkohol. Im Oktober 2008 erbeuten sie 1700 Schuss Munition, 19 Waffen, darunter die beiden späteren Mordwaffen, aus dem Schützenverein Eislingen, wo beide zu diesem Zeitpunkt noch Mitglieder sind.

Keiner erwischt sie. Im Februar 2009, so schätzt es die Staatsanwaltschaft ein, ist es nicht mehr nur Abenteurertum, das die Freunde trieb. Damals soll Andreas Häussler zusammen mit seinen beiden Schwestern Ann-Christin (24) und Annemarie (22) eine Vollmacht für das Konto seiner Mutter bekommen haben. Zu diesem Zeitpunkt habe sich Andreas entschlossen, seine Eltern und die Schwestern zu töten, um an die 256.000 Euro zu kommen. Seinem Freund habe er von seinen Plänen erzählt.

Am Gründonnerstag 2009 wollen sie, so die Anklage, ihre Pläne in die Tat umsetzen. Den geklauten PC werfen sie in einen Bach, um Spuren zu verwischen. Die beiden Tatwaffen, zwei Pistolen Marke Hämmerli und Ruger, hatten sie am Tag zuvor bereits getestet - auf Tierschädel sollen sie geschossen haben, so die Staatsanwältin.

Am Abend des 9. April gehen sie um 22 Uhr in das Haus der Familie Häussler und töten dort mit 19 Schüssen die Schwestern. Die Eltern sitzen zu diesem Zeitpunkt in einem Lokal. Andreas und Frederik treffen sie dort gegen 23 Uhr. Die Jungen bleiben nicht lange, gehen bald nach Hause. Im Wohnzimmer warten sie auf die Rückkehr von Hansjürgen und Else Häussler. Sie sterben kurz nach Mitternacht durch insgesamt 11 Schüsse.

Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Die Jugendkammer des Landgerichts Ulm verhandelt hinter verschlossenen Türen, weil sich die Angeklagten in dem Prozess auch wegen Taten verantworten müssen, die sie begangen haben sollen, als sie noch minderjährig waren. Nach dem Jugendgerichtsgesetz (Paragraf 48 Absatz 1) ist deswegen die gesamte Verhandlung einschließlich der Urteilsverkündung nichtöffentlich. Nur neun Journalisten sind als Zuschauer bei der Verhandlung zugelassen, um über den Prozess zu berichten. Das Gericht beruft sich dabei auf den im Gesetz stehenden „besonderen Grund“ und berücksichtigt damit, dass die Tat bundesweit in den Medien und damit auch in der Öffentlichkeit für großes Aufsehen gesorgt hat. Nur namentlich zugelassene Journalisten dürfen nach einer Ausweiskontrolle in den Saal. Diese können jederzeit aufgefordert werden, die Verhandlung zu verlassen, zumindest für Teile des Verfahrens. Hans Steffan, Anwalt des Angeklagten Andreas Häussler, beantragte vor der Anklageverlesung aber, die Medienvertreter für die ganze Dauer des Prozesses auszuschließen. Das Gericht wies diesen Antrag ab. (mta/dpa)

Georg Häussler schüttelt den Kopf. "Ich begreife das einfach nicht", sagt der 69-Jährige. "Wie kann der Andreas so etwas tun?" Häussler ist der Halbbruder des getöteten Familienvaters und tritt als Nebenkläger in dem Verfahren auf. Im Juli 2008 habe er seinen Halbbruder und dessen Familie bei einem Fest erlebt. "Wenn man den Andreas damals gesehen hat, dann denkt man nur: Der kann doch kein Wässerchen trüben." Auf einen tiefen Konflikt habe damals nichts hingewiesen. Eher scherzhaft habe Hansjürgen gesagt, mit seinen Töchtern sei er zufrieden und den Andreas, den "bekomme er auch noch hin".

Die Staatsanwaltschaft gibt zwar an, dass sich Andreas "zumindest ab Herbst 2008 von seiner Familie unverstanden, unterdrückt und bevormundet" gefühlt habe und deswegen sein Zuhause verlassen wollte. Ein wirkliches Motiv für den Mord sieht Staatsanwältin Brigitte Lutz darin aber nicht. Doch für den Anwalt von Andreas sind gerade die Konflikte in der Familie von zentraler Bedeutung. Andreas habe so unter seinem Vater gelitten, dass er sogar Selbstmordfantasien gehabt habe, so Hans Steffan. Die Situation habe sich dann zugespitzt - bis zu jenem 9. April. Aus Habgier habe Andreas aber nicht gehandelt.

Ähnlich sieht es Frederiks Anwalt Klaus Schulz. Auch für seinen Mandant sei das Geld kein Motiv gewesen. Wirklich erklären kann sich Schulz aber die Tat auch nicht, er sieht sie als Resultat einer "verhängnisvollen Freundschaft". Die beiden Anwälte kündigten dennoch an, dass ihre Mandanten die Morde gestehen werden. Ihnen kommt es dann vor allem darauf an, dass das mildere Jugendstrafrecht (Höchststrafe 10 Jahre) angewandt wird. Ein Gutachter der mit beiden Angeklagten gesprochen hat wird sich dazu im weiteren Verfahren äußern. "Es ist einfach so unwirklich und unfassbar", sagt Frederiks Mutter nach dem ersten Prozesstag, an dem sie ihren Sohn in Handschellen sah. Mit Tränen in den Augen sagt die kleine Frau: "In so einem Augenblick will man sein Kind einfach nur in den Arm nehmen."

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos

Mehr zum Thema