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stern-Kolumne "Winnemuth" Nach Hause kommen

Ein Leben unterwegs, frei und unbelastet von Routine und den ewig gleichen Gesichtern. Doch dann kommt der Moment, da will man nur noch eins: die ewig gleichen Gesichter zurück.
Von Meike Winnemuth

"Hey, was machst du denn hier?"
"Ich bin wieder da."
"Kurz?"
"Länger."
"Oh."

Die hochgezogenen Augenbrauen meiner Käsefrau könnte man auf mehrere Arten lesen: Jaja, länger. Sagt sie immer, und dann isse ganz schnell wieder weg. Oder: Wollte sie nicht eigentlich wieder ein ganzes Jahr weg sein? Was zum Teufel macht sie hier? Zwei Tage zu Hause, zehn Leute auf der Straße getroffen, Nachbarn, Bekannte, Hundebesitzer auf unserer räudigen Freilaufwiese, und alle mit demselben verwunderten Blick: Du hier? Oh.

Ja, oh. Finde ich ja selber. Ich wollte noch gar nicht wieder hier sein. Aber noch weniger will ich derzeit weg sein. In den vergangenen fünf Jahren bin ich irgendwie in ein Heute- hier-morgen-dort-Leben hineingerasselt, in dem meine Abwesenheit zum Normalfall wurde. Reportagereisen, eine einjährige Weltreise, eine monatelange Lesetour, dazwischen immer mal wieder für ein Viertel oder halbes Jahr Redaktionsaushilfe in einer anderen Stadt - als Hafenarbeiter, bevor es wieder hinaus auf hohe See ging. Ich bin, dass wir uns nicht missverstehen, gern und freiwillig und glücklich da hineingerasselt, so gern, dass ich auch für 2014 wieder eine ganzjährige Abwesenheit geplant hatte: zwölf Monate in zwölf deutschen Städten, jeden Monat ein neues Zuhause auf Zeit, ein neues Puzzlestück zum großen Rätsel Heimat. Deutschland, was ist das? Wo bin ich hier überhaupt? Ich wusste viel zu wenig von meinem eigenen Land, fand ich, und dass es höchste Zeit war, das zu ändern.

Nun sind fünf Monate vergangen, die ich in Trier, Spiekeroog, Potsdam, Konstanz und Bamberg verbracht habe. Das war zugleich nah und fern, fremd und vertraut, ein Abenteuer vor der eigenen Haustür, wie ich es mir erhofft hatte. Aber dabei ist etwas Seltsames passiert: Auf der Suche nach der Heimat habe ich mein Zuhause aus dem Blick verloren.

Heimweh nach Schlechtwetter

Kürzlich sagte Wolfgang Joop in einem "Welt am Sonntag"-Interview über sein früheres Vagabundenleben: "Ich verhielt mich wie ein kleiner Junge, der immer erwartet, dass sich alle freuen, wenn er nach Hause kommt. Bis ich plötzlich feststellen musste: Es gibt gar kein Zuhause mehr für dich. Denn ein Zuhause musst du dir emotional verdienen." So ist es. Bevor es für mich kein Zuhause mehr gibt, weil ich alles, was es für mich dazu macht, vernachlässigt habe, muss ich das Reisen für einige Zeit lassen. Nicht ganz, nie ganz, aber zumindest so, dass das Zuhause-Sein nicht mehr die von allen (auch von mir) bestaunte Ausnahme ist.

Deshalb: ein herzlicher Dank allen, die mir den Weg und das Wegsein in den vergangenen Monaten so leicht gemacht haben, und ein großes Schade an diejenigen, zu denen ich es vorerst nicht mehr schaffe. Ich habe so viel Wunderbares erlebt und trotzdem etwas Entscheidendes nicht, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich es vermissen könnte: Kontinuität, Zugehörigkeit, Routine, Beständigkeit. Meine Freunde. Meine Familie. Meine Käsefrau. Meinen afghanischen Bäcker. Sogar meinen Friseur, verdammt noch mal (niemand davon ist natürlich wirklich "mein", aber alle fühlen sich so an). Und wer hätte gedacht, dass man sogar Heimweh nach schlechtem Wetter haben kann? Am wunderschönen windstillen Bodensee dachte ich, ich muss ersticken, wenn mir nicht sofort eine anständige Sturmböe die Lunge bläht.

Wie ich mich kenne, schlägt das Pendel irgendwann wieder in die andere Richtung aus. Aber dafür muss es Schwung holen. Ich muss mich irgendwo abstoßen können, um die nächste Bahn zu schwimmen, ich brauche einen Beckenrand. Mal sehen, wie lange. "Ein Stück Sterntaler wie immer?", fragt meine Käsefrau. "Ja. Oder warte. Was ist das für ein Käse dort, hast du den neu? Davon bitte was." Ein halbes Pfund Fremdheit in der Heimat, das ist das Mindeste.

Die Kolumne ...

... von Meike Winnemuth finden Sie immer schon donnerstags im aktuellen stern.

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